«Kunden kommen in die Buchhandlung, um sich inspirieren zu lassen»

Text: Regula Freuler | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Der Kunde im Fokus – Januar 2019


 

Orell Füssli feiert 2019 das 500-Jahr-Jubiläum. Angefangen hat es 1519 mit der Buchdruckerei Froschauer und der Bibel. Womit identifiziert sich Orell Füssli Thalia im Buchgeschäft heute?

Nach wie vor mit dem Buch an und für sich, wobei es heute keine Rolle spielt, ob es digital oder gedruckt ist.

Die Digitalisierung hat auch im Buchhandel zu markanten Verwerfungen geführt. Inwiefern hat sich die Art und Weise, wie Ihre Kunden angesprochen und betreut werden, durch die Digitalisierung verändert?

Die Kommunikation ist komplexer und anspruchsvoller geworden. In der Vergangenheit waren Buchhandlungen primär Verkaufspunkte. Heute stehen Erlebnisse, verschiedenste Serviceleistungen und die persönliche Beratung noch stärker im Mittelpunkt. Die Kommunikation läuft über verschiedenen Kanäle – vor Ort und digital – und muss aufeinander abgestimmt sein. Aber die Digitalisierung ist auch eine grosse Chance. Sie ermöglicht uns neue Absatzkanäle und Touchpoints mit den Kunden. So können wir effizient und zielgruppennah kommunizieren.

«Orell Füssli feiert dieses Jahr das 500-Jahr-Jubiläum.»

Welche Rolle spielen im digitalen Zeitalter die physischen Buchhandlungen?

Sie sind nach wie vor sehr wichtig. In den Filialen machen wir das Buch erlebbar. Deshalb setzen wir sehr stark auf Ladenkonzepte, die zum Schmökern, Verweilen und Sich-Treffen einladen. Mit Veranstaltungen und Lesungen in den Buchhandlungen schaffen wir Plattformen für Begegnungen. Der Faktor Mensch ist in Zeiten der Digitalisierung eine der wichtigsten Erfolgspositionen – damit meine ich sowohl unsere Kundschaft als auch unsere Mitarbeitenden.

Wie hat die Digitalisierung Ihre Kunden verändert?

Die Menschen gestalten ihre Freizeit anders. Und sie konsumieren Medien anders – das betrifft auch das Buch. Stark verändert hat sich das Einkaufsverhalten. Die Kunden sind deutlich besser informiert. Sie kaufen spontaner und bewegen sich zwischen den verschiedenen Kanälen schneller hin und her. Das ist für uns die grösste Herausforderung.

Seit 2009 ist der Schweizer Buchhandel um einen Fünftel geschrumpft. Was muss geschehen, damit sich die Entwicklung wieder zum Besseren wendet?

Wir sehen die Digitalisierung nicht als Hindernis, sondern in erster Linie als eine Chance, die Zukunft mitgestalten zu können. Und das tut die Branche auch. Einerseits entwickeln wir neue digitale Produkte wie zum Beispiel eBook-Systeme und neue Vertriebskanäle. Andererseits bieten wir mit unseren Buchhandlungen und den gedruckten Büchern für die Leute auch eine Gelegenheit, ab und zu aus dem digitalisierten Alltag auszubrechen.

Das digitale Buch macht immer noch weniger als 10 Prozent des Schweizer Buchmarktes aus. Versucht Orell Füssli Thalia aktiv, diesen Marktanteil zu vergrössern?

Wir stellen fest, dass immer mehr Leute hybrid lesen. Das heisst, sie mögen zwar nach wie vor das gedruckte Buch, weichen aber auf Reisen und von unterwegs immer öfter auf unseren E-Reader tolino aus. Wir bauen darum das Angebot an E-Books und eReadern aus – und zwar nicht nur online, sondern auch in den Filialen. Eine zunehmende Bedeutung hat das E-Reading im B2B-Bereich. Immer mehr Schulen und Institutionen wünschen digitalisierte Inhalte. Mit der Firma Delivros Orell Füssli AG sind wir der schweizweit führende Anbieter für die Beschaffung, Distribution und Nutzung von elektronischen Inhalten für Firmen und Bildungsinstitute.

Simona Pfister
Die 1985 im sankt-gallischen Wil geborene Ostschweizerin verfügt über ein breites Fachwissen und viel Führungserfahrung im Bereich Detailhandel. Sie war von 2006 bis 2014 für die europaweit tätige Firma boesner GmbH tätig und anschliessend Leiterin Verkauf & Marketing für das Format M-Outlet der Genossenschaft Migros Ostschweiz. Seit Oktober 2018 leitet Simona Pfister bei Orell Füssli den Vertrieb. Als Mitglied der Geschäftsleitung der Orell Füssli Thalia AG ist Simona Pfister neben dem stationären Vertrieb und dem Vertriebs-Controlling auch für das Grosskundengeschäft sowie den Kundenservice verantwortlich.

1996 war buch.ch die erste Internetbuchhandlung der Schweiz, heute gehört sie Orell Füssli Thalia. Wie muss man sich heute optimal auf den Online-Kunden, die Online-Kundin ausrichten?

Die Orell Füssli Thalia hat schweizweit 32 Filialen und ist mit dem «tolino Orell Füssli»-Ökosystem, das aus E-Books, eigenem E-Reader tolino, Cloud und Reading App besteht, sowie über orellfuessli.ch der grösste Schweizer Online-Anbieter der Branche. Nur gerade 2 Prozent unserer Kunden sind reine Online-Shopper. Die meisten Leute, die bei Orell Füssli einkaufen, tun das sowohl im Online-Shop als auch vor Ort in den Buchhandlungen.

Was unterscheidet Orell Füssli Thalia von anderen Anbietern im Buchmarkt?

Im Vergleich zu Pure-Online-Playern setzen wir auf kanalübergreifende Lösungen und Angebote. Der Cross-Channel-Ansatz, den wir seit Jahren pflegen und laufend weiterentwickeln, erlaubt uns, die stationären Filialen mit dem Webshop und mobilen Lösungen zu verbinden. Daraus ergeben sich verschiedene Mischformen von Kaufprozessen – unter anderem online bestellen beziehungsweise kaufen und in der Wunschfiliale abholen –, die den veränderten Kaufgewohnheiten entgegenkommen. Integriert wird dieses Model mit hoher Beratungskompetenz auf der Fläche und einem breiten Sortiment vor Ort.

Dem stationären Buchhandel laufen die Kunden weg, jedes Jahr schliesst rund ein Dutzend Buchhandlungen. Wieso eröffnen Sie 2019 trotzdem zwei neue Filialen?

Bei der Orell Füssli Thalia AG steht eine Expansionsstrategie im Fokus, mit kleineren Flächen an gut frequentierten Lagen. Wir investieren mit klaren Zielsetzungen in die Zukunft. Dabei hat sich jedoch an der strategischen Ausrichtung nichts geändert. Für die Orell Füssli Thalia AG geht es nach wie vor darum, die Marktposition im Schweizer Buchhandel auszubauen. Ziel ist ganz klar, als Buchhändler – stationär, online und digital – die Nummer 1 in der Schweiz zu bleiben. In diesem Jahr eröffnen wir zwei neue Buchhandlungen. Eine an der Europaallee in Zürich und eine im Seedamm-Center in Pfäffikon SZ.

Auf welches Kundensegment richtet man sich dort aus?

An der Europaallee erwarten wir ein urbanes Publikum sowie Pendlerinnen und Pendler. Die Buchhandlung liegt schliesslich direkt am Bahnhof, aber auch in der Nähe von städtischen Arbeits- und Wohnquartieren. In der neuen Filiale im Seedamm-Center in Pfäffikon werden wir eine sehr heterogene Zielgruppe ansprechen, die mehr Zeit zum Entdecken und Verweilen hat.

Ausser Büchern verkaufen Buchhandlungen auch Geschenkartikel, Papeteriewaren, Games, Filme. Wie wählen Sie die Zusatzartikel aus?

Sie sind immer eine Ergänzung zum Buchsortiment. So bieten wir beispielsweise neben Kochbüchern auch hochwertige Koch-Accessoires oder ausgewählte Spezialitäten an. Hier arbeiten wir oft mit Partnern zusammen, die uns passende Artikel zur Verfügung stellen. Das Angebot an Papeteriewaren ist ein Kundenbedürfnis. Und es passt einfach in eine Buchhandlung.

Die meisten Verlage reagieren auf die Krise des Buchmarktes mit Prozessoptimierung und verbesserten Kostenstrukturen. Wie sieht es mit Innovationen bei Orell Füssli Thalia aus?

Wir lancieren laufend neue Projekte. Kürzlich haben wir in Zusammenarbeit mit einem Startup ein personalisierbares Kinderbuch veröffentlicht. Letztes Jahr haben wir gemeinsam mit unseren Lese-Botschaftern Lo & Leduc den YOUNG CIRCLE gegründet, eine Bücher-Community für Jugendliche. Orell Füssli feiert dieses Jahr sein 500-jähriges Bestehen. In diesem Rahmen werden wir bald einige Neuerungen präsentieren.

Die Geschichte von Orell Füssli reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. 1519 wurde in Zürich von Christoph Froschauer eine Druckerei aufgebaut, in welcher unter anderem die Werke von Zwingli und Erasmus von Rotterdam gedruckt wurden. 1780 gründete das Unternehmen, das nun auch Verlag und Buchhandlung war, die «Neue Zürcher Zeitung».

1999 wurde aus Orell Füssli eine Holding, die heute aus den fünf Bereichen Sicherheitsdruck, Verlag, Buchhandlungen, Wirtschaftsinformationen und Atlantic Zeiser (einer Herstellerin von Anlagen zum digitalen Bedrucken und Kodieren) besteht. Die Orell Füssli Thalia AG ist Marktführer im Sortimentsbuchhandel im deutschsprachigen Raum.

www.orellfuessli.ch

Wie die im Juni 2018 publizierte Studie «Buchkäufer – quo vadis?» ergeben hat, ist zwar die Zahl der Buchkäufer gesunken, jedoch stieg die «Kaufintensität» an, das heisst, die einzelnen an Büchern interessierten Käufer geben mehr Geld für Bücher aus. Wie interpretieren Sie das?

Die Studie hat unsere eigenen Erfahrungen bestätigt. Kunden setzen auf Qualität und Hochwertigkeit. Sie kommen in die Buchhandlung, verweilen und lassen sich inspirieren, um dann gleich mehrere Titel zu kaufen. Ich sehe das auch bei mir. Der Stapel an Büchern, die ich zu Hause habe und noch lesen möchte, wird grösser und grösser. Und das nicht erst, seit ich bei der Orell Füssli Thalia AG arbeite.

Laut derselben Studie wird die Kernkundschaft immer älter. Wie tragen Sie dem Rechnung?

Uns ist es ein Anliegen, für alle Generationen da zu sein. Nach diesem Credo richten wir auch unsere Sortimente, Kundenprogramme, Lesungen und Events in den Filialen aus. Eine möglichst grosse Vielfalt ist uns wichtig. Wir bieten unseren Kundinnen und Kunden ein umfangreiches Angebot, das für alle etwas dabei hat. Lesen kennt keine Altersgrenzen.

Der Anteil der 20- bis 29-Jährigen unter den Käufern hat sich seit 2002 halbiert. Wie richten Sie sich auf den Kunden 4.0, die Millennials, aus?

Wir kommunizieren mit ihnen über die passenden Kanäle. Im letzten Jahr haben wir unseren Auftritt auf Instagram ausgebaut und WhatsApp als Kommunikationskanal eingeführt. Auch die Events in den Buchhandlungen richten wir vermehrt auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen aus. Wir engagieren uns zum Beispiel aktiv im Trendbereich Poetry Slam. Mit dem Kids Club und dem Young Circle haben wir zwei Kundenprogramme, die gezielt junge Generationen ansprechen.

Wie wird die Orell Füssli Thalia AG in zehn Jahren aussehen?

In zehn Jahren haben wir unsere Segmente ausgebaut, noch mehr Buchhandlungen eröffnet und unsere Position als grösster Schweizer Anbieter eines Einkaufserlebnisses rund um das Buch weiter ausgebaut. Digital und stationär werden noch mehr miteinander verschmelzen.

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