Vertrauen ist gut, mehr Vertrauen ist besser

Text: Redaktion ceo Magazin | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Vertrauen in der Gesellschaft – September 2019

«Vertrauen bedeutet, den Willen zu haben, sich auf das Gegenüber einzulassen und sich verletzlich zu zeigen», sagt Antoinette Weibel. Die Professorin, die an der Universität St. Gallen lehrt und forscht, schenkt anderen zunächst einen Vertrauensvorschuss.

Es gilt als eine grundlegende Voraussetzung für die Zusammenarbeit, ja ganz generell für alles Wirtschaften: Vertrauen. Ein spannendes Thema, findet Antoinette Weibel, die als Ökonomin seit ihrer Studienzeit am Thema arbeitet. «Vertrauen ist ein Schmiermittel, das Transaktionen erst ermöglicht», sagt die vielbeschäftigte Professorin und Direktorin des Instituts für Arbeit und Arbeitswelten in St. Gallen und versucht sich damit an einer ersten Definition des vielschichtigen Begriffs.

Vertrauen sei aber auch ein «Enabler», der Spielraum für Verhandlungen eröffne und Ressourcen spare. Für Unternehmen ist Vertrauen schliesslich die Grundlage, um gute Leistungen zu erbringen sowie Talente in die Organisationen zu holen und letztere an diese zu binden. Ein Thema, das viel mit Emotionen und Hoffnungen zu tun hat.

Wer Vertrauen schenkt, hofft, dass die andere Partei dieses nicht ausnützt. Dabei müssen sich beide Seiten aufeinander einlassen und willens sein, sich verletzlich zu zeigen, sagt Weibel im Gespräch. Der Charakter der Beteiligten spiele dabei eine wichtige Rolle, ebenso Integrität und Werte. Weibel bringt eine Erkenntnis aus der Spieltheorie ein, einer Methode, die Entscheidungssituationen in sozialen Konfliktsituationen modelliert: «Vertrauen ist abhängig von der Intensität der Beziehung: Je besser man sich kennt und je intensiver der Dialog stattfindet, desto grösser ist der Einbezug in die Entscheidungsprozesse.»

Suche nach zuverlässigen Quellen

«Was wir derzeit erkennen, ist ein zunehmendes Misstrauen in der Gesellschaft, erkennbar gegenüber den Institutionen: den Medien, den Unternehmen, der Politik oder der Regierung, aber auch gegenüber Nichtregierungsorganisationen, den NGO», hat Weibel festgestellt. Dies zeige auch das Edelman Trust Barometer, eine jährlich publizierte Studie des PR-Beraters Edelman, für die zuletzt 33’000 Menschen in 27 Ländern zum Thema Vertrauen befragt worden sind. Die Menschen würden wieder nach zuverlässigen, vertrauenswürdigen Quellen suchen. Generell aber hat sich laut der jüngsten Erhebung der Vertrauensverlust in die Institutionen etwas abgebremst, in einzelnen Regionen sind die Werte sogar wieder leicht gestiegen. «Der freie Fall ist vorbei», so das Fazit des 19. Trust Barometers vom Januar 2019.

«Ziel unseres Forschungsprojekts ist es, Misstrauen mithilfe von Indikatoren messbar zu machen.»

Aufbauend auf Studien wie dieser, forschen auch Antoinette Weibel und ihr Team am Thema Vertrauen und seinem Gegenpol, dem Misstrauen (siehe Box). Wobei: «Misstrauen ist nicht einfach das Gegenteil von Vertrauen, sondern eine eigene Kategorie», sagt sie. Während Vertrauen langfristig erarbeitet werden muss, kommt Misstrauen oft unerwartet und schnell daher.

Antoinette Weibel ist Professorin an der Universität St. Gallen und Direktorin des Forschungsinstituts für Arbeit und Arbeitswelten. Zu ihren aktuellen Forschungsgebieten gehören der Einfluss von Institutionen auf die Motivation von Beschäftigten, Vertrauen im Unternehmen, Stakeholdervertrauen sowie das Wohlbefinden der Menschen an ihrem Arbeitsplatz.

Ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften schloss Weibel 2002 an der Universität Zürich mit einer Promotion zum Thema «Vertrauen und Kontrolle in strategischen Netzwerken» ab. 2008 habilitierte sie sich ebenda mit einer Arbeit über «Voluntary Work Engagement». Im gleichen Jahr übernahm sie den Lehrstuhl für Management an der universitären Hochschule Liechtenstein, 2010 den Lehrstuhl für Personal, Führung und Entscheidung im öffentlichen Sektor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Im Oktober 2010 folgte sie einem Ruf der Universität Konstanz und wurde Inhaberin des Lehrstuhls für Verwaltungswissenschaft. Von 2014 bis 2016 war sie Direktorin am Institut für Führung und Personalmanagement an der Universität St. Gallen und Ordinaria für Personalmanagement.

Weibel ist Mitglied mehrerer Stiftungsräte, Präsidentin des First International Network on Trust (FINT) und Mitglied des Lenkungsausschusses der European Group for Organizational Studies (EGOS). Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und zwei Katzen in der Nähe von Zürich.

Misstrauen messbar machen

Für Unternehmen bedeutet Misstrauen vor allem Aufwand: Zu nennen sind erhöhte Kontrollkosten oder die Bemühungen zur Reputationspflege. Misstrauen löst bei Betroffenen Stress und Abwehr aus, es kann zu Feindseligkeiten und Konflikten führen. Sie selbst habe schon erfahren müssen, dass Misstrauen auch körperlich zu spüren sei, sagt Weibel. «Es geht an die Nieren, kann Bauchweh und Schlafstörungen auslösen.» Da habe sie gemerkt, dass sie auf diesem Gebiet weiter forschen müsse.

«Ziel unseres Forschungsprojekts ist es, Misstrauen mithilfe von Indikatoren messbar zu machen und aufzuzeigen, wie es zu Misstrauen kommt und wie dieses wirkt», beschreibt sie den Ansatz des jüngsten Projekts. Eine der Fragestellungen lautet: Wie lässt sich verloren gegangenes

Vertrauen zurückerlangen, und was sollten Unternehmen nach einem Vorfall mit Vertrauensverlust tun? Gerade wenn die Erwartungen der Stakeholder an ein Unternehmen hoch sind, kann dieses schnell tief fallen. Transparenz wirkt immer. Dabei sind zum Beispiel technische Probleme in der Regel einfacher zu erklären als vorsätzliches mutwilliges Handeln. «Den Vorfall nicht totschweigen und die Verantwortung nicht einfach nach unten delegieren», rät Weibel. «Man sollte Sühne zeigen und den Dialog mit den betroffenen Stakeholder suchen und mehr als nur eine Entschuldigung abgeben.»

Es schade nichts, in solchen Fällen ein wenig grosszügig zu sein und Selbstkritik zu äussern. Man müsse die andere Seite ernst nehmen und sensibel sein für ihre Anliegen. «Wer agil bleiben und sich Freiräume schaffen will, sollte einen solchen Fall gründlich aufarbeiten, Schlussfolgerungen ziehen und die nötigen Massnahmen einleiten», sagt die Professorin.

Forschungsprojekt Stakeholder Distrust
Antoinette Weibels aktuelles, vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördertes Forschungsprojekt behandelt das Thema «Misstrauen in Stakeholder-­Beziehungen». Der Fokus liegt dabei auf einem integrierten Managementansatz, mit dem Misstrauen vermieden und prosperierende Vertrauensbeziehungen zwischen den Stakeholdern eines Unternehmens gebildet werden sollen. Das gemeinsam mit Prof. Dr. Sybille Sachs von der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) durchgeführte Forschungsprojekt läuft bis 2021.

www.unisg.ch

Zuhören und mutig sein

Im Geschäftsleben lässt sich Vertrauen mittels Verträgen absichern. Diese sollten so ausgestaltet sein, dass sie das Verhalten der Partner in eine gute Richtung lenken, so Weibel. Lieferanten fragen sich: Wie verlässlich ist ein Unternehmen, zahlt es pünktlich? Wie geht es mit mir um, lässt es mich im Zweifel fallen? Auch Mitarbeitende, die sich als Einzelne noch verletzlicher fühlen, machen sich Gedanken – um die Laufbahn, die Lohnentwicklung und das eigene Selbstbild: Wie loyal ist mein Arbeitgeber mir gegenüber? Was bin ich ihm wert? Vorgesetzte sollten zuhören können und mutig sein, auch Unbequemes auszusprechen. Denn auch das schafft Vertrauen.

Personalmanagement und seine Mittel und Methoden können sowohl Vertrauen als auch Misstrauen fördern. Ein Beispiel dafür ist das in der Unternehmenswelt weit­verbreitete, meist bonusrelevante «Performancebased Management», also das Führen mittels Zielsetzung, Zahlen und Resultaten sowie periodischer Bewertung. Das Signal an die Mitarbeitenden lautet: Die geleistete Arbeit ist messbar, und Motivation erfolgt extrinsisch über Geldanreize. Vergessen geht dabei manchmal, dass es für viele Beschäftigte weitere Kriterien der Wertschätzung gibt, zum Beispiel das in sie gesetzte Vertrauen, die Zuteilung anspruchsvoller Aufgaben oder ein attraktives Arbeitsumfeld.

Hinter Organisationen stehen immer Men­schen mit all ihren Stärken und Schwächen. Die Rollen der Akteure wechseln sich ab: Mal ist man Individuum, mal vertritt man die Organisation und agiert doch immer im Kontext der gesetzten Normen und Regeln.

Von Führungspersonen wie zum Beispiel einem CEO wird heute auch erwartet, dass sie sich einbringen und Stellung beziehen, gerade bei gesellschaftlich relevanten Themen wie dem Klimawandel oder der Zukunft der Arbeit.

Sie sollten den öffentlichen Auftritt nicht scheuen, ohne dabei narzisstisch oder heroisch zu wirken, und den Mut haben, trotz allen Anforderungen an Compliance und Political Correctness auch einmal spontan zu entscheiden. Wichtig sei, betont Weibel, dass danach auch gehandelt und geliefert, statt nur geredet und angekündigt werde. Denn wie schon der römische Dichter und Satiriker Horaz wusste: «Allzu viele Versprechen mindern das Vertrauen.» Und wie geht sie selbst, als Direktorin eines Instituts, mit dem Vertrauen in ihr Team um? «Ich gebe meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel Freiraum», versichert sie.