Caspar Coppetti erzählt,
wie ein Schuh um die Welt läuft

Text: Tabea von Ow | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Bigger, better, stronger – Dezember 2023

Von Zürich nach São Paulo, New York oder Singapur: Immer mehr Menschen weltweit tragen Lauf­schuhe der Schweizer Firma On. 13 Jahre nach der Gründung ist das ehemalige Start-up in den USA an der Börse und hat die Milliarden-Umsatzmarke geknackt. Firmen-Mitgründer Caspar Coppetti erklärt im Gespräch den Erfolg von On, der auch auf sehr unkonventionellen Marketing-Methoden beruht.

Herr Coppetti, vor einem Jahr haben Sie mit On den imposanten neuen Hauptsitz in Zürich bezogen, an dem wir uns gerade befinden. Mit welcher Vision haben Sie das Unternehmen vor zwölf Jahren gegründet?

Als wir anfingen, hatten wir keine Ahnung, wie gross die Firma werden könnte. Wir hofften, einmal etwa 20 Millionen Umsatz zu erreichen, damit On sich selbst tragen kann. Es ist dann etwas anders gekommen.

Richtig, 2022 haben Sie die Milliarden-Marke geknackt. In welchem Moment haben Sie realisiert, dass On viel grösser wird, als Sie es sich je vorgestellt hätten?

Das geschah während der Corona-Pandemie. Während der Pandemie sind wir in den USA stark gewachsen. Anfangs haben wir das gar nicht so recht mitbekommen, weil wir ja nicht reisen durften. Als wir dann 2021 nach über einem Jahr wieder in New York waren, um den Börsengang vorzubereiten, dachten wir erst, jemand hätte Schauspieler:innen engagiert, die mit unseren Produkten herumlaufen. Überall trugen Menschen On-Schuhe. Inzwischen haben wir uns ein bisschen daran gewöhnt. In den USA werden die Schuhe über alle Gesellschaftsschichten hinweg getragen, von Hardcore-Läufern über Fitness-Fans bis hin zu College-Kids.

«Ich dachte, jemand hätte Schauspieler:innen engagiert, die unsere Schuhe tragen»

Wie ist denn dieses plötzliche Wachstum zustande gekommen?

Diesen einen magischen Moment gibt es nicht. Unsere Forschung zeigt aber: Jede Person, die einen On-Schuh besitzt, empfiehlt die Marke zehn Leuten weiter. So kommt das exponentielle Wachstum zustande. Seit Tag eins sind wir im Schnitt jährlich etwa 80 Prozent gewachsen, mit zunehmender Grösse etwas weniger. 

Das klingt, als wäre Marketing gar nicht notwendig gewesen …

Wir arbeiten zwar mit Influencer:innen und machen heute auch Werbung. Am meisten schlagen aber Dinge ein, die wir nicht planen. Als der Schauspieler Dwayne «The Rock» Johnson 2019 beim Super Bowl mit einem unserer Schuhe die Bühne betrat, war dieses Modell danach zwei Jahre lang ständig ausverkauft. Viele glauben, wir hätten das aufgegleist, aber Johnson ist bei einer anderen Marke unter Vertrag. Das war einfach Glück. Und wir haben nichts davon gewusst, bis es passiert ist.

«Seit Tag eins wachsen wir im Schnitt rund 80 Prozent pro Jahr.»

In der Bekleidungsbranche ist es für neue Brands nicht gerade einfach, sich einen Namen zu machen. Warum ist es ausgerechnet On gelungen?

Dank der innovativen Technologie und unserer Strategie. Wir konnten die richtigen Meinungsführer:innen im Laufsport von unserer Marke überzeugen. Hinzukommt, dass wir uns als erste Sportmarke im Premium-Segment bewegen. Wir sind also eher mit Louis Vuitton als mit Adidas zu vergleichen. Das sieht man auch unserer Bruttomarge von fast 60 Prozent an. Die Konkurrenz arbeitet im Schnitt mit 45 Prozent.

Aber lassen Sie uns nochmals ganz an den Anfang gehen. Wie genau haben Sie ohne grosses Marketingbudget Kundschaft gewonnen? 

Es gab zwei Ansätze: Einerseits wollten wir, dass die besten Läufer:innen unsere Schuhe tragen, und andererseits wollten wir die Laufsporthändler von unserer Marke überzeugen. Bei den Läufer:innen waren wir anfangs vor allem bei denjenigen erfolgreich, die verletzt waren und mit unseren Schuhen wieder Sport treiben konnten. Die ehemalige Triathletin Nicola Spirig ist ein solches Beispiel. Glücklicherweise haben dann ein paar Läufer:innen, die unsere Schuhe trugen, auch Europa- oder Weltmeistertitel geholt. So haben auch andere Athlet:innen von On erfahren.

«Roger Federers Einstieg und der Börsengang hievten uns auf ein komplett neues Bekanntheitsniveau.»

Und bei den Händlern?

Sie zu überzeugen, war der schwierigere Teil. Anfangs schickten wir ihnen ein Paar Schuhe und forderten sie auf, damit joggen zu gehen, weil wir so überzeugt waren von unserer speziellen Sohlentechnologie. Doch das funktionierte nicht. Darum sind wir während einer Phase von etwa drei Jahren pro Jahr mit etwa 1’000 Leuten persönlich joggen gegangen.

Sie sind einfach in den Laden gegangen und haben den Chef:innen gesagt, «komm, wir gehen zusammen eine Runde laufen»?

Genau. Teils habe ich auch bei Händlern in New York oder Hamburg angerufen und so getan, als sei ich gerade vor Ort und wolle mit ihnen eine Runde joggen. Wenn dann einer angebissen hat, buchte ich den nächsten Flieger und das billigste Hotel und reiste dorthin. Einer hat zum Beispiel nach der ersten Runde zwölf Paar Schuhe bestellt. Heute verkauft der gleiche Händler jährlich 20’000 Paar. Ich glaube, der Biss, den wir damals hatten, und unser absoluter Glaube daran, eine Person nach der anderen einzeln zu überzeugen, machten wahrscheinlich den Unterschied.

Seit 2021 ist On an der New Yorker Börse kotiert. Welche Türen hat der Börsengang für Sie geöffnet, die andernfalls verschlossen geblieben wären?

Der Zugang zum amerikanischen Kapitalmarkt, aber auch zum dortigen Know-how, sind zwei solche Türen. Wir wären anfangs lieber in der Schweiz an die Börse gegangen. Doch hierzulande wären wir der einzige Sportartikelhersteller gewesen, in den USA – wo wir übrigens auch unseren grössten Absatzmarkt (mit rund 60 Prozent des Gruppenumsatzes im Jahr 2022; Anm. d. Red.) haben – sind wir einer von vielen. Die Fragen, die uns Analyst:innen und Anleger:innen dort stellen, bringen uns weiter. Und der Wettbewerb mit den erfolgreichsten Unternehmen der Welt macht uns besser.

«Es ist wichtig, einen Traum zu haben und diesen verwirklichen zu können.»

Und die Kotierung in den USA hilft Ihnen sicher auch, in Ihrem bis dahin wichtigsten Markt weitere Bekanntheit zu gewinnen, oder?

Es gab zwei Momente, die uns auf ein komplett neues Bekanntheitsniveau gehievt haben. Der erste war der Einstieg von Roger Federer als Investor, der zweite der Börsengang. Bei Google Search waren die Suchanfragen nach den beiden Ereignissen auf einen Schlag 50 Prozent höher – und sie sind danach nicht wieder abgeflacht.

Stichwort Roger Federer: Mit seinem Eintritt 2019 kam auch der Einstieg in eine neue Sportart – das Tennis. Gibt es Expansionspläne in weitere Sportarten?

Zum Tennis sind wir eigentlich wie die Jungfrau zum Kind gekommen – über Roger Federer. Es ist eine Erfolgsgeschichte geworden. Für uns ist das Profitennis aber eher ein Vehikel, um Markenbekanntheit aufzubauen und in der Jugendkultur Fuss zu fassen, denn der weisse Lederschuh gehört zu den wichtigsten Lifestyle-Accessoires. Nach wie vor machen Läufer:innen aber den grössten Teil unserer Kundschaft aus und nicht Tennisspieler:innen. Unser erklärtes Ziel ist es, weltweit die Nummer eins im Laufsport zu werden. Aktuell sind wir auf Rang fünf oder sechs.

Woher wissen Sie das?

Zweimal im Jahr zählen wir auf den bekanntesten Laufstrecken in den 60 grössten Städten unserer Märkte die Schuhe mithilfe einer eigens entwickelten App. So legen wir unseren Marktanteil fest. Wir stellen aber auch Outdoor-Produkte her: Kleidung, Trail-Running- und Wanderschuhe. Zudem sind wir sehr erfolgreich bei Menschen, die im Fitness-Center trainieren. Vermutlich joggt fast die Hälfte der Leute auf dem Laufband und nicht draussen, wie wir es in der Schweiz kennen. Im Fitness-Bereich, wo On-Schuhe in den besten Studios bereits gut vertreten sind, möchten wir bei Bekleidung und spezifischen Trainingsschuhen markant zulegen. 

Sie wollen also der grösste Laufschuhhersteller werden?

Die reine Grösse ist nicht die Ambition. Aber: die am meisten Bewunderten und Profitabelsten zu werden, das ist unser Ziel.

Apropos Profitabilität, es heisst, Sie hätten letztes Jahr zum ersten Mal Gewinn geschrieben, richtig?

Nein, das ist ein verbreitetes Missverständnis. Schon 2014 haben wir den Break Even geschafft und sind seither jedes Jahr profitabler geworden. Als wir an die Börse gegangen sind, hat sich das geändert, weil wir auf den internationalen Rechnungslegungsstandard IFRS umgestellt haben. Dazu kamen Sondereffekte wegen des Börsengangs wie aktienbasierte Vergütungen. Wir sind sehr konservativ, was die Finanzen betrifft, und haben uns immer gesagt: Unternehmer sind wir erst, wenn wir Geld verdienen.

Diese Haltung wurde Ihnen im Ausland oft vorgeworfen … 

In der Schweiz hören wir lustigerweise das Gegenteil: Wir seien viel zu ambitioniert und zu amerikanisch. Ich glaube, es ist genau die Balance, die es ausmacht. 

«Wir wollen die weltweite Nummer eins im Laufsport werden.»

On wurde 2010 in Zürich gegründet. Das Gründertrio erwarb ein Patent eines ETH-Ingenieurs für eine besonders gut dämpfende Schuhsohle und legte damit den Grundstein für die Firma. 2019 stieg Tennis­star Roger Federer, der später auch mit On-Schuhen spielte, ins Unternehmen ein. Seit 2021 ist das Unternehmen an der New Yorker Technologie­börse NYSE gelistet, wo es auf einen Börsenwert von knapp zehn Milliarden Franken kommt. Inzwischen beschäftigt On mehr als 2’000 Mitarbeitende und hat 2022 neue Büros im Zürcher Kreis 5 bezogen.

www.on.com

Caspar Coppetti (47) hat das Unternehmen On 2010 zusammen mit David Allemann und dem ehemaligen Spitzen-Triathleten Olivier Bernhard, den Coppetti während seines Studiums auch als Manager betreute, gegründet. Coppetti besitzt einen Doktortitel in Ökonomie der Universität St. Gallen. Während des Studiums schrieb er als Journalist unter anderem für den «Tages-Anzeiger», wo er auch ein Interview mit seinem späteren Mitgründer Olivier Bernhard veröffentlichte. Seit 2021 hat ein Führungs-Duo die operative Leitung von On inne. Coppetti und seine Mitgründer verantworten jedoch weiterhin als exekutive Verwaltungsräte die Strategie, Innovation und Produktentwicklung. Caspar Coppetti ist verheiratet und Vater von zwei kleinen Kindern.

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