Sie sind beide schockiert darüber, was in unseren Mülltonnen landet. Wann hatten Sie Ihr Aha-Erlebnis?
Hofmann: Während unserer Zeit in der Hotel- und Gastroindustrie hat es uns immer wieder schockiert, wie viele Lebensmittel verschwendet werden. Aber erst in unserem letzten Studienjahr an der EHL Hospitality Business School rückte das Thema Lebensmittelverschwendung tatsächlich in den Vordergrund. Damals suchte die Universität nach nachhaltigen Ideen für das Gastgewerbe bis 2025. Wir haben das als Anstoss genommen, intensiver nach möglichen Lösungen für die Messung und Überwachung der Lebensmittelverschwendung in Grossküchen zu suchen. Am Ende haben wir 3’000 Franken für unsere Idee gewonnen. So kamen wir auf die Idee, KITRO zu gründen und einen Geschäftsplan dafür zu entwickeln.
Von der Hotelfachschule zu Start-up-Gründerinnen. Wie sah dieser Übergang aus?
MacKenzie: Es gibt Menschen, die sich vornehmen, Unternehmer:innen zu werden, und ihr eigenes Unternehmen aufbauen. Für uns war der Prozess eher organisch. Wir interessierten uns beide für nachhaltige Themen, Gastronomie, digitale Lösungen und dafür, soziale Wirkung zu schaffen. Ausserdem hatten wir durch unsere Ausbildung an der EHL einen soliden betriebswirtschaftlichen Hintergrund. Wir haben auch eine ähnliche Arbeitsmoral und wir teilen dieselben Werte: Ressourceneffizienz, Qualität, Zukunftsorientierung, Offenheit und Wirkung.
«Für uns war der Prozess eher organisch»
Woran erinnern Sie sich als Erstes, wenn Sie an die Zeit denken, in der Sie begannen, KITRO auf die Beine zu stellen? Wie hat sich das Unternehmen seither entwickelt?
MacKenzie: Wie man es oft bei Start-up-Gründungen hört, haben auch wir Opfer gebracht, um dahin zu kommen, wo wir heute sind. Als wir 2017 anfingen, hatten wir keine Ressourcen, Ersparnisse oder grosse Investoren, die uns unterstützten. Wir waren sogar auf Freunde und Geschwister angewiesen, um ein Dach über dem Kopf zu haben – wir hatten fast ein Jahr lang keine Wohnung! Ausserdem hatten wir auch nicht den technischen Hintergrund, um ein Produkt zur Messung von Lebensmittelabfällen zu entwickeln. Wir bauten auf die frühzeitige Unterstützung durch Kickstart Accelerator – einen der grössten europäischen Start-up-Beschleuniger –, um eine Pilotphase durchzuführen und unsere Idee zum Beispiel bei Coop zu testen.
«Zurzeit sparen wir monatlich im Durchschnitt über 200 Kilo Lebensmittel. Das entspricht 445 Kantinenmahlzeiten pro Monat.»
Hofmann: Heute haben wir ein Team von über 15 Mitarbeitenden und ein vermarktetes Produkt. Unser Geschäft besteht aus zwei Teilen: der Hardware und der Software. Das KITRO-Gerät ist eine Waage. Über der Waage befindet sich eine Kamera. Man stellt die Mülltonne auf die Waage, die Kamera sieht direkt in die Tonne hinein, macht ein Bild und die Algorithmen erkennen darauf, welche Lebensmittel weggeworfen werden. Jede Mülltonne in einer Grossküche kann auf die Waage gestellt werden. Jedes Mal, wenn Lebensmittel weggeworfen werden, erfasst und dokumentiert unsere KI-Software den Abfall. Unsere Kund:innen erhalten dann beim Einloggen in ihr KITRO-Dashboard eine detaillierte Analyse ihrer Lebensmittelabfälle – zum Beispiel die Menge der weggeworfenen Lebensmittel in Kilo oder auch in Kosten.
Wie haben Sie mit begrenzten Mitteln Ihren ersten Kunden gewonnen?
MacKenzie: Das ist eine lustige Geschichte. Am Anfang hatten wir nicht die Ressourcen, um ein eigenes Produkt für KITRO zu entwickeln. Stattdessen beschrieben wir unsere Geschäftsidee auf einem DIN-A4-Blatt. Wir haben potenziellen Kund:innen dieses Blatt gezeigt und gefragt, ob wir ihre Lebensmittelabfälle messen können. Die Schweizer Burger-Kette Holy Cow! wollte ihre Lebensmittelkosten senken und erkannte das Potenzial unseres Abfallmanagementsystems. So wurde sie zu unserem ersten Kunden. Das war derselbe Tag, an dem wir beschlossen, unsere Jobs zu kündigen und uns ganz auf den Aufbau unseres Unternehmens zu konzentrieren.
Und dann ging es los?
Hofmann: Am Anfang war es tatsächlich nicht einfach, unser Unternehmen zu etablieren. Viele potenzielle Kund:innen hatten sich noch nicht konkret mit dem Problem der Lebensmittelverschwendung befasst, und einige haben es noch nicht als richtiges Problem wahrgenommen. Aber das stimmt einfach nicht – wenn man Lebensmittel in der Küche verwendet, wird ein Teil davon zwangsläufig weggeworfen. Das Bewusstsein für Lebensmittelverschwendung hat jedoch im Laufe der Zeit sehr zugenommen. Zu unseren Kund:innen zählen heute grosse Hotelketten wie die Hyatt Hotels Corporation in der EMEA-Region und das Four Seasons Hotel des Bergues in Genf. KITRO gibt es auch in den Bürokantinen von UBS und Electrolux, sowie an Universitäten wie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne.
In welcher Phase befindet sich das Unternehmen heute?
Hofmann: Wir befinden uns derzeit in der frühen Wachstumsphase. Wir haben festgestellt, dass das Produkt und der Markt zueinander passen, denn wir bekommen eine Menge von Kundenverlängerungen und eingehenden Leads, ohne bezahltes Marketing zu betreiben. Der grösste Teil unseres Geschäfts kommt tatsächlich durch Empfehlungen zustande. Sobald zum Beispiel ein Hotel oder eine Kantine mit KITRO zufrieden ist, empfehlen sie uns durch Mundpropaganda an das nächste Haus weiter, und so zieht es immer grössere Kreise.
Was war der grösste Stolperstein auf dem Weg zum Wachstum von KITRO?
MacKenzie: Ganz klar, die Corona-Pandemie. Wir haben unser Unternehmen im Jahr 2017 vor der Pandemie gegründet. Die Corona-Pandemie hatte negative Auswirkungen auf das Gastgewerbe, da Hotels und Kantinen geschlossen wurden oder kaum noch in Betrieb waren. Das hatte natürlich auch negative Auswirkungen auf KITRO, da unsere Kund:innen zum Gastgewerbe gehören. Wir waren gerade bereit, unser Produkt zu vermarkten und auf den Markt zu bringen, als plötzlich die gesamte Branche stillstand. Im Nachhinein betrachtet war es vielleicht gutes Timing. Es gab uns die einmalige Gelegenheit, uns hinzusetzen und nachzudenken – ein Luxus, den die meisten Start-ups nicht haben. Wir haben uns gefragt, wie wir unser Unternehmen expandieren wollen und wie wir eine wirkungsvolle Customer Success Journey schaffen können. So konnten wir eine gute Grundlage für das weitere Wachstum aufbauen.
In der Schweiz können zwei Drittel aller anfallenden Lebensmittelabfälle vermieden werden. Wie viele Lebensmittel hat KITRO genau eingespart?
Hofmann: Seitdem wir begonnen haben, konnten wir über 530 Tonnen vermeidbare Lebensmittelabfälle einsparen. Wir unterscheiden zwischen vermeidbarem und unvermeidbarem Abfall. Zu den unvermeidbaren Abfällen gehören Eierschalen, Schalen, Knochen und alles andere, was man nicht essen kann. Wir konzentrieren uns jedoch nur auf vermeidbare Lebensmittelabfälle. Zurzeit sparen wir monatlich im Durchschnitt über 200 Kilo Lebensmittel pro Kunde in der Schweiz und im Ausland. Das entspricht 445 Gerichten pro Monat. Auf Grundlage der von den KITRO-Geräten gesammelten Daten helfen wir unserer Kundschaft, konkrete, datengesteuerte Massnahmen zur Reduzierung ihrer Lebensmittelabfälle zu ergreifen.
«Nachhaltiges Wachstum bedeutet für uns nicht nur Fortschritt, sondern auch, dass wir wachsen und dabei unsere Werte im Herzen behalten.»
Sie sind ein Schweizer Start-up mit globalen Ambitionen. Wie präsent ist KITRO auf der internationalen Bühne?
MacKenzie: Unsere Geräte werden bereits in vielen Ländern Europas, in Australien und seit kurzem auch in Amerika und den Vereinigten Arabischen Emiraten verwendet. Bislang ist es KITRO gelungen, durch Mundpropaganda und Kundenempfehlungen international zu wachsen. Vor allem unsere Zusammenarbeit mit grösseren internationalen Hotelkonzernen hat uns einen grossen Bekanntheitsgrad verschafft. Durch sie wird KITRO bekannt und man empfiehlt uns durch Mundpropaganda an andere Hotels weiter.
Was fällt Ihnen ein, wenn Sie sich das Problem der Lebensmittelverschwendung in zehn Jahren vorstellen?
MacKenzie: Wir glauben, dass es mehr Vorschriften und Normen geben wird, insbesondere wenn es um die Meldung der Zahlen von Lebensmittelabfällen geht. Die EU arbeitet gerade an «Food Waste Monitoring»-Vorschriften, die bis 2025 in Kraft treten sollen. Im Moment sind sie noch zu vage. Es bleibt zu hoffen, dass es in Zukunft klarere Vorschriften geben wird, die Restaurants dazu verpflichten, ihre Lebensmittelabfälle zu melden. Dann könnten wir einen Massstab für unsere eigenen Kund:innen setzen. Ein Restaurant oder Hotel, das weniger Lebensmittel verschwendet als eine festgelegte Menge, würde beispielsweise als leistungsstark gelten.
Was war für Sie der denkwürdigste Meilenstein in der Wachstumsgeschichte von KITRO?
Hofmann: Eines der Highlights zu Beginn war sicher die Bestätigung, die wir von Aussenstehenden erhielten, sei es von unserem ersten Kunden oder von unseren Investor:innen. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, wenn jemand wirklich an dein Produkt glaubt. Es zeigt dir, dass deine Idee funktioniert, und gibt dir die Motivation, weiterzumachen.
MacKenzie: Es ist ein Meilenstein, so viele talentierte Teammitglieder jeden Tag bei der Arbeit zu sehen. Jede Person in unserem Team ist ein ausserordentlich talentierter Mensch, der anderswo einen Job finden könnte, sich aber für KITRO entschieden hat. Das ist Meilenstein und Höhepunkt zugleich.
«Es ist ein ganz besonderes Gefühl, wenn jemand wirklich an dein Produkt glaubt.»
KITRO ist ein Start-up-Unternehmen mit Sitz in Lausanne und einer Niederlassung in Zürich, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Lebensmittelverschwendung in der Hotel- und Gastroindustrie zu überwachen und zu verringern. Das KI-gesteuerte Gerät erfasst und identifiziert Abfälle und ist weltweit in Grossküchen zu finden. Das Kundenspektrum reicht von Bürokantinen bis zu Luxushotels. Kund:innen von KITRO können bis zu 60 Prozent ihrer essbaren Lebensmittelabfälle reduzieren.
www.kitro.ch