«Der Mensch setzt Maschinen ein und nicht umgekehrt»

#Mensch_und_Maschine  #Ethik  #Datensicherheit  #Bildung
 

Bedeutet Fortschritt auch Verbesserung? Wie verändert die Digitalisierung die Beziehung zwischen Mensch und Maschine? PwC-Experte Peter Kasahara, Leiter PwC Digital Services, zur Dreifaltigkeit von Mensch, Maschine und Daten und deren Bedeutung für Alltag, Beruf und Bildung.

Magazin: Homo digitalis – Juni 2018

Netflix, digitaler Butler, Einparkhilfen, ein automatischer Staubsauger – wie stark ist die Digitalisierung in Ihrem Privatleben verankert?

Die Digitalisierung prägt mein Privatleben stark. Netflix ist sozusagen mein kleiner Bruder – derzeit schaue ich mir Troja an und wie Homers «Illias» umgesetzt wurde. Digitale Butler nutze ich in Form von Sprach­erkennungssoftwares wie Siri und anderen Chatbots. Auch Verwandte und Freunde habe ich mit Amazon-Echo-Geräten ausgerüstet, um diese Technologien kennenzulernen. Für die Einparkhilfe sowie den automatischen Staubsauger gab es bisher keinen Bedarf. Anders ausgedrückt: Die Digitalisierung hält in meinem Privatleben da Einzug, wo sie ­für mich sinnvoll ist und einen Nutzen stiftet, unter strenger Berücksichtigung der IT- und Datensicherheit. Ich bin mir der Sicherheits­lücken und Möglichkeiten im Cyberbereich bewusst. Aus diesem Grund nutze ich gewisse Instrumente nicht, um ein Mass an Privatsphäre zu wahren.

Wie verändert sich die Rolle von Mensch und Maschine? Welchen Einfluss nimmt die Digitalisierung auf den Alltag – privat wie beruflich?

In meinen Augen gibt es drei Dimensionen: Mensch, Maschine und Daten. Alle drei Dimensionen waren ursprünglich voneinander getrennt und stehen heute in einer steigenden Konvergenz zueinander. Die Maschine produziert zunehmend Daten über den Menschen und übernimmt gewisse Aufgaben. Diese Entwicklung ist unaufhaltbar. Entsprechend gibt es für mich kein «Mensch oder Maschine», sondern nur ein «Mensch mit Maschine». Im Alltag geht es darum, Maschinen positiv zu nutzen, unter Befolgung einer gewissen Ethik. Der Mensch sollte sich der Art und Weise, wie er Maschinen nutzt, bewusst sein und sie definieren. Er muss ihr nicht jeglichen Raum zugestehen. Ein entscheidender Faktor im Mensch-Maschine-Konstrukt ist das Vertrauen: Wie viel Vertrauen schenke ich einem Algorithmus? Welche Tätigkeiten vertraue ich einem Roboter an, welche nicht? Das Thema «Vertrauen» ist eines der Hauptthemen unserer Kunden in Zusammenhang mit digitaler Transformation. Es wird die weitere Entwicklung der Digitalisierung und damit die Interaktion zwischen Mensch und Maschine in erheblichem Masse mitbestimmen.

Peter Kasahara
Leiter PwC Digital Services

Was bedeuten die Veränderungen für den Arbeitsmarkt und letztlich für das Bildungssystem?

Die Digitalisierung nimmt grossen Einfluss auf das Bildungssystem. Informationstechnologien gewinnen schon seit mehreren Jahren an Bedeutung und werden zukünftig noch stärker gefördert. Trivial gesagt ist die Pro­­gram­miersprache heute die wichtigste Sprache der Welt. Betrachten wir einzelne Bereiche wie beispielsweise das Gesundheitswesen, stellen wir eine rasch fortschreitende Technologisierung fest. Sie prägt eine ge­samte Industrie mitsamt ihren Akteuren. Es stellt sich die Frage, ob das heutige Bildungssystem noch zeitgemäss ist beziehungsweise die Berufsprofile der Zukunft bedient. Wie viele Informatikstunden muss ein Medizinstudent absolvieren, um in einem hochtechnologisierten Umfeld als Arzt praktizieren zu können? Jack Ma, der Gründer von Alibaba formuliert es anders: «Wir müssen unsere Kinder etwas Einzigartiges lehren, das Maschinen niemals können.» Die Frage nach dem Einzigartigen gilt es vorweg zu klären. Es lohnt sich aber – speziell in der Schweiz, wo wir Bildung als eine der wenigen natürlichen Ressourcen wahrnehmen –, das Thema mit voller Kraft voraus anzugehen und darin zu investieren.

Neue Technologien wie Blockchain, künst­liche Intelligenz, Robotik usw. werden heute schon breit genutzt. Wie kann ein Unter­nehmen Chancen und Gefahren erkennen und für sich gewinnbringend nutzen?

In einem Unternehmen entscheidet letztlich der Kunde, was Wertschöpfung ist. Es geht darum, dem Kunden einen Mehrwert zu bieten, im Einklang mit Angebot und Nachfrage. Daraus resultiert ein Gewinn, der nicht nur ein finanzieller Wert sein darf. Neue Technologien erhöhen den Druck auf Unternehmen, mittels neu gewonnener Informationen über Kunden und ihre Handlungen sowie des Einsatzes von Blockchain, künstlicher Intelligenz, Robotik usw. einen Vorsprung am Markt zu erzielen. Dieses Vorgehen basiert meistens noch auf einem reaktiven Ansatz und erfordert viel Zeit und Kapital. Oft entscheiden dennoch Mut, eine visionäre Eingebung und Geschwindigkeit über Erfolg und Misserfolg. Entsprechend muss sich ein Unternehmen fit machen für rasche Entscheide und den Fokus auf seine Kernkompetenzen wahren. Die für die Marktführerschaft nötigen Investitionen in neue Technologien kann ein Unternehmen kaum alleine tragen. Hinzu kommt, dass die erforderlichen technologischen Kompetenzen oftmals ausserhalb des Kerngeschäfts liegen. Strategische Partnerschaften sind erfolgs­kritisch und erlauben Unternehmen, die Wert­­schöpfung für den Kunden gesamthaft und vor allem exponentiell zu erhöhen. Eine Grosszahl an Unternehmen kann sich nurim Verbund und durch die Einbringung ihrer komparativen Stärken gegen globale Plattformgiganten wie beispielsweise Amazon oder Tencent durchsetzen, zumindest re­gio­­nal beziehungsweise in gewissen Sparten.