«Ich verfolge das Feedback der Kunden praktisch in Echtzeit»

Text: Aline Yazgi | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Der Kunde im Fokus – Januar 2019

Françoise Clemes erklärt, wie Sunrise die Kundenzufriedenheit markant verbessert hat. Die Chief Customer Services der zweitgrössten Telekommunikationsanbieterin der Schweiz propagiert einen proaktiven, kundennahen Ansatz.

Françoise Clemes setzt sich mit Leidenschaft für die Kundenbeziehungen ein. Die Chief Services Officer (CSO) von Sunrise begnügt sich dabei nicht mit Qualität, sondern strebt nach Exzellenz. Genau wie Roger Federer, der seit 2014 Markenbotschafter von Sunrise ist.

«Bevor du sprichst, frage dich, ob das, was du sagen willst, schöner ist als die Stille.»

Spricht man sie darauf an, dass der private Telekommunikationsanbieter den Swiss Digital Transformation Award 2017 gewonnen hat, relativiert Françoise Clemes: «Diese Auszeichnung, die uns natürlich sehr geehrt hat, bedeutet aber nicht das Ende unserer Anstrengungen, sondern lediglich ihren Anfang. Wir waren Vorreiter in diesem Bereich, der von grosser Bedeutung ist für unsere Kunden. Seither haben wir aber noch viel mehr erreicht. Wir sind in unserem digitalen Ansatz spezifischer geworden.»

Mit anderen Worten: Die Teams sind vermehrt auf die Misserfolge fokussiert, die sie analysiert und korrigieren, um so sicherzustellen, dass sie sich nicht wiederholen.

Schnelligkeit und Pragmatismus

Konkret setzt sich die CSO für einen transversalen, interdisziplinären Ansatz ein. «Nicht das digitale Team übernimmt die Führung, sondern das gesamte Unternehmen setzt sich dafür ein, die Kundenprobleme zu lösen. Dies ermöglicht es uns, Änderungen nahezu in Echtzeit vorzunehmen. Wir können rasch und pragmatisch handeln, denn wir erleben die Kundenerfahrung hautnah mit.»

Die Reaktionsgeschwindigkeit ist enorm wichtig, denn die Kunden wollen sofort eine Antwort auf ihre Fragen erhalten. «Die elektronischen Geräte sind heute zentraler Bestandteil des Alltags der Leute. Ist man mehr als zwei Stunden offline, kriegt man Panik», sagt sie lachend und gibt zu, dass es bei ihr nicht zwei Stunden dauert.

Die Lehre daraus: Während die Produkte immer komplexer werden, muss der Service noch schneller werden. Das Know-how der Teams musste deshalb deutlich verbessert werden, was durch die praktisch permanente Weiterbildung geschieht. «Unser Beruf ist zwar sehr technisch geworden, aber der Kundenservice darf keinesfalls technokratisch sein», ist die CSO überzeugt.

Die Stimme unserer Kunden

In organisatorischer Hinsicht hat diese Entwicklung zu einer Annäherung zwischen der Direktion und den Teams an der Front geführt. Alle zwei Wochen findet ein Diskussionsforum mit den Kundenberatern statt, um herauszufinden, was gut funktioniert und was Probleme verursacht hat. «Und jede Woche überprüfen wir in der Geschäftsleitung diese Punkte. Unsere Berater sind die Stimme unserer Kundinnen und Kunden. Sie sind es, die die Roadmap erstellen.»

Über die Meetings hinaus sind die Augen und Ohren auch im Alltagsgeschäft auf die «Frontline» gerichtet. «Ich verfolge das Kundenfeedback praktisch in Echtzeit. Wir sind stark in der Realität verankert, und darauf richten wir auch unsere Strategie aus.»

Die Mitarbeitenden haben heute mehr Kompetenzen und mehr Handlungsspielraum. Um zu vermeiden, «dass die Kunden an mehrere Kontaktpersonen weitergeleitet werden, bis sie eine Antwort auf ihre Fragen erhalten», will Sunrise sicherstellen, dass jeder Berater 99 Prozent der Fälle behandeln kann. «Unsere Mitarbeitenden werden deshalb regelmässig geschult und haben ständigen Zugriff auf Updates, was ihre Motivation enorm steigert.»

Kompetenz, Engagement und Qualität: Das sind die Schlüsselbegriffe des Kundenservices à la Françoise Clemes. Dazu kommt die Leidenschaft. «Die Berater müssen mit Leidenschaft bei der Sache sein, denn diese Energie wird vom Kunden wahrgenommen und ist regelrecht ansteckend.» Die Leidenschaft von Françoise Clemes ist es auf jeden Fall!

Für Françoise Clemes ist die Telekommunikation alles andere als ein Buch mit sieben Siegeln. Die ausgebildete Psychologin (Master in Experimenteller Psychologie und in Human Engineering an der Universität Paris Descartes) ist nämlich bereits seit 1992 in dieser Branche tätig. Bevor sie im Juni 2016 die Leitung des Bereichs Customer Services von Sunrise übernahm, arbeitete sie in London für den Mobilfunkbetreiber EE (eine Tochtergesellschaft von BT) als Chief Customer Services und in Paris für die Telecom-Gruppe Orange France S.A., wo sie insbesondere Vice President HR Europa war. Die französische Staatsbürgerin ist Mutter von zwei Töchtern.

Sie waren lange Zeit im Ausland tätig. Inwiefern unterscheiden sich die Kunden hier von denjenigen im Ausland?

Die Schweizer Kunden haben deutlich höhere Qualitätsansprüche. In der Schweiz gibt es übrigens ein einzigartiges Netz, eine Tatsache, derer man sich hier nicht immer bewusst ist. Im Gegensatz zu dem, was man manchmal hört, ist der Markt sehr offen für Innovationen, die Konsumenten probieren gerne Neues aus.

Wie passt sich Sunrise ihren 4.0-Kunden an?

Jede Woche schauen wir uns die Feedbacks an und prüfen sorgfältig alles, was nicht positiv ist. So haben wir neue digitale Prozesse implementiert, die sehr erfolgreich sind. Und das nur, weil wir den Kunden wirklich zugehört haben.

«Der Schweizer Kunde liebt Innovationen.»

Bei der heutigen Digitalisierung ist das Kundenerlebnis von grösster Bedeutung. Welche Themen beschäftigen Sie als Leiterin des Kundendienstes am meisten?

Wenn unser Kundendienst einen Anruf oder eine Nachricht erhält, bedeutet das, dass es ein Problem gibt. Mein Traum wäre es also, dass es keine Anrufe mehr gäbe und wir lediglich für Beratungen da wären. Deshalb wollen wir stark proaktiv werden. Mit meinen Kollegen aus der Geschäftsleitung überlegen wir, wie wir Probleme vermeiden können, bevor sie für den Kunden überhaupt zu einem solchen werden. Indem wir Probleme antizipieren und proaktiv handeln, sorgen wir dafür, dass die Kontaktierung des Kundendienstes überflüssig wird. Das ist der beste Service, den wir dem Kunden bieten können!

Können Sie ein Beispiel für diesen proaktiven Ansatz nennen?

Wir haben beispielsweise ein Welcome Team für die Glasfaseraktivierung geschaffen. Den Anbieter zu wechseln, ist kompliziert und stressig für den Kunden. Also haben wir beschlossen, unsere Organisation zu ändern und ein Team mit dem gesamten erforderlichen Know-how für eine solche Aktivierung zu bilden. Der Kunde wird dann von Anfang bis Ende des Prozesses proaktiv von einem persönlichen Ansprechpartner begleitet. Dadurch verändert sich die Beziehung grundlegend: Der Sunrise-Agent ist nicht mehr Herr oder Frau Unbekannt, sondern ein dedizierter Ansprechpartner mit Name und Vorname. Und es ist auch viel motivierender für unsere Teams, die sich daher auch wesentlich engagierter den Anliegen der Kunden annehmen. Es ist kein anonymer und unkonkreter Prozess mehr, sondern eine echte Partnerschaft. Ich möchte diesen Service nun auf andere Bereiche übertragen.

Sunrise ist die zweitgrösste Telekommunikationsanbieterin der Schweiz. Mit rund 3,4 Millionen Kundenbeziehungen ist Sunrise das grösste nichtstaatlich kontrollierte Telekommunikationsunternehmen der Schweiz und damit der «Leading Challenger». Zusammen mit Partnerunternehmen arbeiten über 1’000 Agenten in direktem Kundenkontakt. Sunrise bietet drei Marken an: Sunrise, yallo und Lebara. Das Unternehmen beschäftigt insgesamt 1’700 Mitarbeitende am Hauptsitz in Zürich sowie an den Geschäftsstandorten in Prilly, Genf, Bern, Basel und Lugano und in 85 Verkaufsstellen in allen Sprachregionen der Schweiz.

www.sunrise.ch

Der Kunde scheint heute nicht mehr sehr treu zu sein, besonders in Ihrer Branche. Wie kann man die Kundentreue verbessern?

In der Schweiz wechseln die Leute den Anbieter selten aus Kostengründen. Wir müssen an ihrer Zufriedenheit arbeiten, denn die Korrelation ist klar: Je zufriedener die Kunden sind, desto treuer sind sie. Die Sicherstellung der Kundenzufriedenheit ist damit die beste Vorbeugung gegen einen Wechsel zur Konkurrenz.

Und wie messen Sie die Kundenzufriedenheit?

Wir verwenden die NPS-Methode (Net Promoter Score), bei der die Kunden ihre Zufriedenheit auf einer Skala von 0 bis 10 ausdrücken, wobei die negativen Kommentare besonders stark gewichtet werden: Ein Kunde, der eine Note zwischen 0 und 6 gibt, wird als Detraktor eingestuft, während nur die Kunden, die mit 9 und 10 antworten, als Promoter gelten. Wir ermitteln dann die Differenz zwischen Detraktoren und Promotern, schauen uns die Kommentare an und überwachen die Nettoergebnisse im Minutentakt. Und ich kann Ihnen sagen, dass es sich lohnt: Die Zahl unserer Detraktoren ist drastisch gesunken.

Wie zahlreiche andere Unternehmen haben Sie sich für eine Omnichannel-Strategie entschieden, bei der sich physische Standorte und digitale Dienstleistungen gegenseitig ergänzen und verstärken. Was sind die wichtigsten Punkte, die es zu beachten gilt, um die Kundenbedürfnisse optimal zu befriedigen?

Man muss wissen, dass es sich hierbei nicht um einander ausschliessende Kanäle handelt: Die Kunden nutzen nicht nur einen einzigen Kanal. Die Kanäle müssen deshalb miteinander kommunizieren. In der Regel informiert sich der Kunde zuerst online und kommt dann im Shop vorbei. Aber es handelt sich nie um einen statischen Kundenparcours, und die Fluidität zwischen den Kanälen ist sehr wichtig. Das ist der zentrale Punkt: Es braucht eine Homogenität zwischen den Kanälen, sonst kommt es zu Konflikten.

Françoise Clemes persönlich

Was aus der Vergangenheit schätzen Sie heute noch?
Die Kerze. Selbst das Licht einer hochmodernen Glühbirne kommt nie an das Licht einer Kerze heran. Obwohl ich Technologie liebe, gibt es Dinge, die man nicht abschaffen sollte.

Wenn Sie einen Zauberstab besässen, welches Produkt oder welche Dienstleistung würden Sie herbeizaubern?
Ein Produkt, das überall automatisch verbunden ist, ohne dass die Aktivierung erst eingerichtet werden muss.

Wie schaffen Sie die Work-Life-Balance?
Diese Frage habe ich mir noch nie gestellt. Wenn man liebt, was man macht, empfindet man die Arbeit nicht als Last. Die beiden Sphären sind eng miteinander verbunden. Das Rezept besteht darin, sich für das zu begeistern, was man macht.

Ihr wertvollster Tipp für das Berufsleben?
Keep things simple. Das ist der Schlüssel zum Erfolg!