«Was wir von anderen fordern, müssen wir auch selbst so leben»

Wenn Iris Menn sich auf hoher See befindet und Delfine um das Boot springen, schlägt ihr Herz höher. Die Geschäftsleiterin von Greenpeace Schweiz kämpft seit vielen Jahren für die Natur – seit kurzem von ihrem Büro in Zürich aus.

Text: Redaktion ceo Magazin | Bilder: Marc Wetli | Magazin: Vertrauen in der Gesellschaft – September 2019

Brauchen die eigentlich keine Pause? Die Unermüdlichkeit der Umweltaktivisten spürt man im Greenpeace-Hauptsitz selbst dort, wo in anderen Büros eine Kaffeemaschine und Sofas zum Reden und Rasten einladen.

Kaffee gibt es in der Küchenecke zwar auch, und an der Pinnwand hängt die übliche Büropost-Mischung aus Geburtsanzeigen und handgeschriebenen Briefen. Doch statt gemütliche Sitzgelegenheiten hat man einen drei Meter langen Stehtisch hingestellt, der auch zu Sitzungen – oder besser: «Stehungen» – dient. Und neben der Post an der Wand befinden sich Zettel mit Stichworten wie «Climate», «Energy» und «Fundraising» sowie ein Plakat mit einer Art Leiterspiel. «Hier stellen wir den aktuellen Stand der Entwicklung unseres neuen Organisationssystems für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dar», sagt Iris Menn. «Das Konzept lautet ‹Holokratie statt Hierarchie›. Das bedeutet für die Angestellten mehr Selbst­organisation und mehr Mitentscheidung.»

«Ein verhungerter Eisbär oder eine Ölkatastrophe in der Arktis – das wirkt noch immer, aber eben nicht mehr so lange wie früher.»

Im vergangenen Sommer zog die 48-Jährige von Frankfurt am Main nach Zürich und ist seither Geschäftsleiterin von Greenpeace Schweiz. Im Vergleich zu den internen Veränderungen ist die Hauptmission der Chefin natürlich viel grösser. «Unser aktueller Schwerpunkt ist der Klimaschutz», sagt sie. Im Fokus stehen erstens die Schweizer Banken, die immer noch Investitionen in fossile Energieträger unterstützen, zweitens die Landwirtschaft und ihre Fleischproduktion und drittens das neue CO2-Gesetz, das so ausgestaltet werden soll, damit auch die Schweiz das Klimaschutzabkommen von Paris endlich umsetzt.

Profitiert Greenpeace bereits von der neuen grünen Welle, welche derzeit die politische Agenda bestimmt? «Solche Dinge wirken immer erst verzögert», sagt Iris Menn. Bisher verzeichne man keinen Mitgliederzuwachs. Ein Schulterschluss mit den jungen Streikenden findet dennoch statt. «Fast täglich sitzen Jugendliche bei uns im Büro, wir können sie logistisch und fachlich unterstützen», sagt Menn. «Das reicht vom Öffnen unserer Räume und konkreten Tipps, wie man bei Demonstra­tionen Menschenmassen lenkt, damit es nicht gefährlich wird oder in Gewalt ausartet, bis zu strategischen und taktischen Überlegungen, damit die Forderungen in der Politik ankommen.»

Iris Menn
Die gebürtige Hessin studierte in Marburg, Braunschweig und Hamburg und ist promovierte Meeresbiologin. Im Jahr 2002 stiess sie zu Greenpeace, wo sie während elf Jahren als Kampagnen- und Teamleiterin engagiert war und sich an vielen Aktionen beteiligte. Anschlies­send trug sie als Direktorin für Interna­tionale Programme und Politische Arbeit der Christoffel Blindenmission (CBM), einer internationalen Organisation der Entwicklungszusammenarbeit, die strategische und operative Führung von Projekten mit, unter anderem in Afrika. Seit Juli 2018 ist Iris Menn Geschäftsleiterin von Greenpeace Schweiz. Sie lebt in Zürich.

«Greenpeace hat fast 50 Jahre Erfahrung damit, und wir spüren das Vertrauen in diese Kompetenz.»

Menn weiss, wovon sie spricht. Abgesehen von einem vierjährigen Ausflug in die Welt der Entwicklungszusammenarbeit hat die promovierte Meeresbiologin ihr bisheriges Berufsleben dem Schutz der Umwelt ge­­widmet, viele Jahre davon als Green­peace-Kampagnenleiterin – und natürlich als Aktivistin.

Erzählt sie von Aktionen, kommt sie in Fahrt: «Ich war oft auf Schiffen unterwegs, und viele Bilder haben sich in meinem Gehirn eingebrannt.» Zum Beispiel jenes von mehreren hundert Meter langen Fischereinetzen, die nach oben gezogen wurden, prall gefüllt mit Fischen, deren Augen sich aufgrund des Druckverlusts nach aussen stülpten. Oder in denen Korallen hingen, die 150 Jahre gewachsen waren und nun ein jähes Ende fanden. Selbst heute, in Zeiten der Bilderflut aus dem Internet, glaubt Iris Menn weiterhin an die Kraft solcher emotionaler Bilder. «Ein verhungerter Eisbär oder eine Ölkatastrophe in der Arktis – das wirkt noch immer, aber eben nicht mehr so lange wie früher.» Die Laufzeit der sogenannten «mindbombs», mit denen Greenpeace ab den 1970er Jahren Umweltsünden anprangerte und die Bevölkerung für grüne Anliegen sensibilisierte, ist deutlich geschrumpft.

Doch Iris Menn ist Optimistin, wie sie betont. Diese Kraft schöpft sie unter anderem aus der Natur, in der sie schwimmend, wandernd oder radfahrend so viel Zeit wie möglich verbringt. «Trotz allen Missständen gibt es eben auch die andere Seite, zum Beispiel wenn man am Bug steht, und 50 Delfine springen rund um das Schiff herum. Dann weiss man genau: Es ist richtig, was ich tue.»

Seit frühen Jugendjahren setzt sie sich für die Natur ein. Aufgewachsen auf dem Dorf in Hessen, verbrachte sie als Kind die meiste Zeit draussen. Mit 13 Jahren – den Grünen in Deutschland gelang gerade der Einzug in den Bundestag – spendete Iris Menn ihr erstes Taschengeld für Greenpeace. Deren Aktionen beeindruckten sie. Die frühen Kampagnen der 1971 gegründeten NGO richteten sich gegen Kernwaffentests und gegen den Walfang, später kamen Themen wie Klimaerwärmung, Abholzung der Ur­wälder, Atomenergie und Gentechnik dazu.

«Man muss sich mit der Materie auseinandersetzen, da kommt man nicht drum herum.»

Iris Menns Verantwortungsgefühl, sich zu engagieren, wuchs rasch. «Ich kaufte mir ein T-Shirt der Kampagne ‹Nuclear Free Seas›. Damit war ich an der Schule zwar nicht modern, aber es galt auch als eine Form jugendlicher Rebellion.» Der ruhige, ernste Ton, mit dem Iris Menn über die Visionen und Ziele von Greenpeace gesprochen hat, ist bei dieser Erinnerung einem Lächeln gewichen. Als junge Biologiestudentin an der links orientierten Universität Marburg habe sie mit Verbündeten «Tag und Nacht» vor der Kaserne gesessen und gegen den Vietnam-Krieg protestiert. Sie lacht kurz auf. Trotz allem Ernst muss auch viel Spass dabei gewesen sein. Es folgten viele Jahre als Greenpeace-Aktivistin, oftmals auf hoher See. Sie riskierte Aktionen, die zwar waghalsig, aber stets gewaltfrei waren. Das gehört – wie der Name schon sagt – zum Credo von Greenpeace.

Seit einem Jahr verbringt Iris Menn jedoch viel mehr ihrer Zeit im Grossraumbüro des Schweizer Hauptquartiers, das sich im Genossenschaftsbau Kalkbreite befindet. Einen fixen Platz hat hier niemand, auch die Chefin nicht. Seine Bürosachen verstaut man in Kisten, die mit einem Tragegurt ausgestattet sind und nach getaner Arbeit beim Ausgang deponiert werden. Für viel Papier hat es darin nicht Platz. Aber wozu auch?

Greenpeace
Die politische Non-Profit-Organisation wurde 1971 von Friedensaktivisten in Vancouver gegründet, ihren Hauptsitz hat sie in Amsterdam. Das Ziel ist, sich auf gewaltfreie Weise für die Natur einzusetzen. Weltweit hat die Organisation rund drei Millionen Fördermitglieder und Büros in rund 55 Ländern. Greenpeace Schweiz wurde 1984 als gemeinnützige Stiftung gegründet und ist Mitglied von Green­peace International. In der Schweiz zählt die Organisation rund 145’000 Mitglieder.

www.greenpeace.ch

Vernetzung und Informationsbeschaffung – zwei der wichtigsten Kampagneninstrumente – finden sowieso im Internet statt. Das bewundert Iris Menn denn auch an der neuen Generation grüner Kämpfer. «Sie sind irre schnell, wenn sie etwas beschliessen, digitale Kanäle bespielen, Informationen suchen und sich organisieren. Das war früher so gar nicht möglich.»

Was gleich geblieben ist wie früher: der Anspruch an die eigene Glaubwürdigkeit. Sie ist das Fundament des Vertrauens, das die Mitglieder in Greenpeace haben. «Bei uns wird natürlich sehr scharf gemessen – zu Recht. Was wir von anderen fordern, müssen wir auch selbst so leben. Und machen wir Fehler, müssen wir auch dazu stehen.»

Vertrauenswürdige «grüne» Unternehmen zu finden, ist heute ziemlich komplex geworden. Viele Firmen betreiben «Greenwashing» und heften sich das Label «Nachhaltigkeit» ans Revers, genügen aber den Standards nicht. Leicht verliert man auch den Überblick bei den Gütesiegeln. Was rät Iris Menn den Konsumenten? «Man muss sich mit der Ma­terie auseinandersetzen, da kommt man nicht drum herum», räumt sie ein. «Dabei hilft es, sich Prioritäten zu setzen und nicht zwingend alles auf einmal ändern zu wollen.» Selbst mit einfachen Dingen wie der Lebensmittelwahl könne man schon sehr viel erreichen.

«Wenn man bio, lokal, saisonal und dies unverpackt einkauft, hat man schon einen wichtigen Schritt getan.»

Hat sie denn das Vertrauen in die Menschheit, dass wir den Klimawandel noch in den Griff bekommen? «Ja, auf jeden Fall. Dazu ist insbesondere die Politik gefordert, denn wir brauchen Verbote und rechtliche Regulatorien, um eine Veränderung herbeizuführen», ist Iris Menn überzeugt. «Wir schaffen das nicht allein auf freiwilliger Basis, wie viele Politiker und Firmen noch glauben.»

Die Aufgabe ist gewaltig, und die Zeit drängt. Für Pausen in der Sofaecke bleibt wahrlich wenig Zeit.

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Iris Menn persönlich

Wem vertrauen Sie?
Ich bin grundsätzlich jemand, der vertraut. Für mich ist Vertrauen etwas, das ich sowohl den anderen wie auch mir selber schenke. Jemandem zu vertrauen, beweist auch Mut, weil man stets enttäuscht werden könnte.

Hier lade ich meine Batterien auf.
Ich verbringe öfter Zeit in einem ehemaligen Kloster, das heute ein Zentrum für Meditation und Achtsamkeit ist und einen wunderschönen Zen-Garten hat. Dort spüre ich Kraft und Ruhe. Ausserdem meditiere ich täglich zehn bis zwanzig Minuten.

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