Am Leben teilhaben

Text: Redaktion ceo Magazin | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Life & Science – Juli 2017

Hans Peter Gmünder leitet das Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil LU. Die weit über die Grenzen hinaus bekannte Referenzinstitution bietet Akutmedizin, Rehabilitation und lebenslange Begleitung für Querschnittgelähmte. Eine umfassende Betreuung der Patienten und ihre Rückkehr in den Alltag hat für den Mediziner oberste Priorität.

Die Zeit (h)eilt. Wenn Patienten im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil (SPZ) ungeduldig werden oder angesichts von Lähmung und Behinderung verzweifeln, braucht es Empathie und Zuspruch, der ihnen Hoffnung macht. «Gebt uns die Zeit», sagt dann Hans Peter Gmünder. Der Direktor der renommierten Einrichtung am Ufer des Sempachersees, in der sich 1100 Beschäftigte um Menschen mit Wirbelsäulen- und Rückenmarkverletzungen kümmern, weiss, wie kostbar Leben ist und welchen Stellenwert die Funktionsfähigkeit des Menschen in seiner Umwelt hat.

Um Menschen, die nach einem Unfall oder einer schweren Krankheit in das SPZ kommen, in ihr bisheriges Leben und ihr altes Umfeld zurückzuführen, braucht es Zeit. Wichtige Ziele der Rehabilitation sind für Gmünder neben dem Wiederherstellen der körperlichen und psychischen Funk­tionen der Patienten ihre weitgehende Teil­habe am sozialen Leben und die berufliche Wiedereingliederung.

«Miteinander und füreinander, nicht auf Kosten anderer.»

Übergeordnete Ziele im Auge behalten

Mit dem Begriff Leben verbinde er «Dank­bar­keit und Bewunderung, Respekt und Verantwortung», sagt der 58-jährige Mediziner, den vor mehr als 25 Jahren der Gründer der Schweizer Pareplegiker-Stiftung (SPS), Dr. Guido A. Zäch, erstmals nach Nottwil holte. Auch wenn Gmünder nicht jeder Patientin und jedem Patienten seine persönliche Aufmerksamkeit schenken kann, arbeitet er daran, «dass wir als Team nie die übergeordneten Ziele unserer Aufgaben aus dem Auge verlieren». Die Funktions­fähigkeit des Menschen und damit die Teil­habe an Familie, Beruf und Gesellschaft liegen ihm besonders am Herzen.

Der ausgebildete Internist, Reha-Mediziner und Geriater Hans Peter Gmünder (58), der berufsbegleitend eine betriebs­wirt­schaftliche Ausbildung absolviert hat, leitet seit 2011 das Schweizer Para­plegiker-Zentrum als CEO. Gmünder, der im Allgäu unweit der Schweizer Grenze aufge­wachsen ist, kam nach seinem Medizin­studium und seiner Berufstätigkeit in Berlin erstmals 1991 nach Nottwil. Weitere Stationen seiner Laufbahn waren unter anderem Tätigkeiten als Ober- und Chefarzt am Bürgerspital in Solothurn, an der Suva-Klinik Bellikon und an geriatrischen Einrichtungen in Deutschland.

Durch den hellen Eingangsbereich des SPZ rollen Patienten auf Rollstühlen, die in den Nottwiler Werkstätten an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden. Gmünder grüsst Mitarbeiter und Angehörige, die zu Besuch gekommen sind. An einem Holz­modell zeigt er die Erweiterungen, die im Bau sind. Das 1990 eröffnete SPZ – als Klinik bildet es den Kern des Leistungsnetzes der SPS – wächst und wächst. Auch, weil der hier seit je praktizierte ganzheitliche Ansatz der Heilung und der Wiederein­gliederung erfolgversprechend ist.

Hochspezialisiertes Know-how in den verschiedenen Fachdisziplinen sei wichtig. «Es bedarf aber auch der verbindenden Elemente zwischen den Disziplinen, damit wir das Richtige an den richtigen Stellen zum richtigen Zeitpunkt verknüpfen«, sagt Gmünder im Gespräch. Zu diesen ver­bindenden Elementen gehören etwa die psychologische Betreuung der Betroffenen und Angehörigen, Sozialberatung und die Berufsberatung. Der Heilungsprozess sei ein dynamisches, sich ständig veränderndes System. Für den CEO der Einrichtung geht es um das Erkennen und Wertschätzen des einzelnen Beitrags als Teil eines grösseren Ganzen. Dafür brauche es entsprechende Haltungen: «Miteinander und füreinander, nicht auf Kosten anderer; Freude an der Interaktion und der Begegnung – für unsere Patienten», sind für Gmünder Leitmotive, die er auf sein Team überträgt.

Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil im Kanton Luzern führt pro Jahr etwa 1000 stationäre Behandlungen durch. Als Akut- und Rehaklinik ist es Teil des Leistungs­netzes der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Dieses Leistungsnetz verknüpft lückenlose Dienstleistungen von der Unfallstelle über die medizinische Versorgung, Rehabilitation bis zur lebenslangen Begleitung und Beratung von Querschnittgelähmten. Es wird getragen von 1,8 Millionen Mitgliedern in der Gönner-Vereinigung.

www.paraplegie.ch

Wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis umsetzen

Neben der Akutmedizin und Rehabilitation stellt Gmünder auch die Verbindung zur Wissenschaft her, indem er klinische For­schung und Kooperationen mit Universitäts­kliniken im In- und Ausland ermöglicht. Wichtig ist ihm nicht nur, den Forschern Zugang zum gesammelten therapeutischen Wissen und zu den Patienten zu geben, sondern die wissenschaftlichen Erkenntnisse anschliessend auch in der praktischen Arbeit umzusetzen. Den mit Kosten verbun­denen medizinischen Fortschritt müsse man sich aber gesellschaftlich leisten können, national und international, mahnt er.

«Den medizinischen Fortschritt muss man sich gesellschaftlich leisten können, national und international.»

Ihn interessiert vor allem der Nutzen für die Patienten. Gemeinsam mit ihnen werden im SPZ die sogenannten Teilhabe-Ziele definiert: Was ist in welchem Zeitraum mit oder ohne fremde Hilfe möglich, wohin geht die grosse Reise des weiteren Lebens? «Wir dürfen nicht nur Funktionshilfe bieten, sondern müssen die betroffenen Menschen in ihrer Ganzheit in den Prozess einbeziehen und sie in kleinen Schritten zurück in ihr Leben begleiten», sagt Gmünder. Dazu braucht es Geduld und Willen – und eben Zeit.

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