Baum als
Markenversprechen

Text: Redaktion ceo | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Grüne Chance – November 2021

Mit nachhaltiger Mode leistet das Schweizer Start-up NIKIN einen Beitrag zur Transformation der Textilindustrie. Nicholas Hänny, einer der beiden Gründer des Lenzburger Unternehmens, versucht es mit kleinen Schritten.

Auf dem langen Gang in dem alten Fabrikgebäude stapeln sich Kartonschachteln – kürzlich angelieferte Ware, die für einen der regelmässig stattfindenden Direktverkäufe vorbereitet werden muss. T-Shirts, Hemden, Mützen und Socken – alles, was die mehrheitlich junge Kundschaft im ganzen Jahr zum Anziehen brauchen könnte. Nicholas Hänny mag diese Atmosphäre, die typisch ist für Jungunternehmen mit einem motivierten Team. Ein wenig improvisiert, nicht unbedingt aufgeräumt, aber authentisch und ehrlich. Man spürt, hier wird etwas bewegt.

Hänny ist CEO von NIKIN, einem Schweizer Mode-Start-up, das nachhaltige Bekleidung produziert und vertreibt. Vor fünf Jahren begann das Abenteuer des 29 Jahre alten Aargauers. Mit seinem Freund und Mitgründer Robin Gnehm, auch er ist 29 und in der Region aufgewachsen, kam ihm die Idee, nachhaltige Bekleidung zu verkaufen. Die beiden kennen sich aus Jugendjahren, und als sie sich Jahre später wieder begegneten, schmiedeten sie bei einem Bier ihren Plan.

Start mit trendiger Mütze

Es begann vor gut fünf Jahren mit «Beanies», trendigen Mützen aus unterschiedlichen Materialien. Die Idee hatte Gnehm von einem Aufenthalt in Kanada mitgebracht. Erste Gehversuche in der Branche hatte Hänny schon zuvor gemacht – mit Sporttaschen, die er unter seinen Mitstudenten verkaufte. Das neue Markenzeichen wurde der stilisierte Baum. Ihr Markenversprechen lautet: Für jedes Produkt lässt NIKIN einen Baum pflanzen.

Stolze 1,4 Millionen junge Bäume dürften es mittlerweile sein, die weltweit im Namen des Unternehmens gesetzt worden sind. Das entspricht einer stattlichen Waldfläche von bald 100 km2, weit grösser als die Fläche der Stadt Zürich. Jeder neue Baum auf der Welt hilft mit, CO2 zu kompensieren. Je nach Alter des Baumes, nach Art und Standort, sind das 10 bis 12 kg CO2 pro Jahr. Die Modeindustrie zählt umgekehrt zu den grossen Verursachern des Eintrags von Kohlendioxid in die Atmosphäre. Das weiss auch Hänny.

Die NIKIN AG ist ein 2016 gegründetes Unternehmen für nachhaltige Mode. Ihr Markenzeichen ist ein stilisierter Baum. Die Hauptzielgruppe ist zwischen 18 und 35 Jahre alt und verfügt über ein besonderes Bewusstsein für Natur und Umwelt. Für jedes verkaufte Produkt lässt NIKIN einen Baum pflanzen. Die Firma mit Sitz in Lenzburg (AG) zählt rund 50 festangestellte Beschäftigte sowie 20 temporäre Mitarbeitende. 2020 betrug der Umsatz nach eigenen Angaben rund 13 Millionen Franken. NIKIN ist weitgehend nach dem Global Organic Textile Standard (GOTS) zertifiziert.

www.nikin.ch

Prozesse immer wieder hinterfragen

Wie kann man die Branche dazu bewegen, nachhaltiger zu wirtschaften und zu produzieren? Er selbst habe sich diese Frage zu Beginn auch gestellt, und seither immer wieder. «Die Verantwortung liegt bei den beteiligten Unternehmen», sagt Hänny. Konkret bedeute es, Transparenz zu schaffen, aber auch, bestehende Prozesse stets aufs Neue kritisch zu hinterfragen. «Ich musste am Anfang selbst googeln, was ‹nachhaltige Mode› bedeutet.» Eine allgemein gültige Definition gebe es bis heute nicht. Ansätze dafür aber schon. NIKIN selbst hat sich für den Global Organic Textile Standard (GOTS) entschieden, nach dem das Unternehmen heute zumindest teilweise schon zertifiziert ist.

Derzeit erarbeitet NIKIN mit der Beratungsfirma Ecos und anderen Unternehmen einen Kriterien-Katalog für nachhaltige Fair Fashion. Ziel ist es, die Leistungen genauer überprüfen und weitere Teile der Aktivitäten zertifizieren zu lassen. «Traceable TreeShirt» heisst ein sogenanntes Crowd-Ordering-Projekt, bei dem Nachhaltigkeit und Transparenz von der Produktion bis zur Auslieferung im Zentrum stehen. «Es geht uns darum, andere zu inspirieren und motivieren», meint Hänny. Bei NIKIN wird Nachhaltigkeit als Prozess betrachtet, als Weg, den es Schritt für Schritt zu beschreiten gilt – oder eben «Tree by Tree». Denn Luft nach oben gebe es immer, fügt er hinzu.

Ansetzen bei der Logistik

Auch wenn sein Einfluss als vergleichsweise kleiner Player im Modemarkt begrenzt ist, gibt es Erfolge, auf die der Jungunternehmer stolz verweist. Neben dem hohen Anteil an Bio-Baumwolle für einen Grossteil des Sortiments werden auch Recycling-Materialien für neue Produkte verwendet, wie etwa Bademode aus recycelten Meeresabfällen oder Bodywear, die zwar hauptsächlich aus Biobaumwolle besteht, aber in gewissen Farbmustern mit recyceltem Polyester angereichert ist. Er selbst würde gerne mehr davon verwenden, doch die Liefermengen für einzelne dieser Rohstoffe sind limitiert, einiges auch noch zu teuer.

Der Transport ist ein wichtiges Thema. Auf Luftfracht verzichtet die Firma vollständig. Für jedes Paket, das von den Logistikpartnern an Endkunden verschickt wird, übernimmt NIKIN eine CO2-Kompensationszahlung. Hänny weiss, dass einige Unternehmen ihre CO2-Emissionen kompensieren, ohne sich weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das sei dann eher ein «Kauf-dich-frei»-Prinzip, mit dem sich das schlechte Gewissen beruhigen lasse. Dennoch sei auch das besser als gar nichts.

Bei NIKIN ist die Kompensation eine von vielen Massnahmen, um den Fussabdruck zu verringern. Wer im Onlineshop bestellte Ware zurücksenden will, muss die Kosten selbst übernehmen. Und das Papier für Lieferscheine ist aus Zuckerrohr hergestellt statt aus Zellulose, die von gefällten Bäumen stammt.

«Ich musste am Anfang selbst googeln, was ‹nachhaltige Mode› bedeutet.»

Lieferanten werben mit Zertifikat

Ein Aspekt, der ihn beim Thema Fast Fashion besonders beschäftigt, ist die Überproduktion und die damit verbundene Ressourcenverschwendung. So setzt sich Hänny bei Lieferanten dafür ein, für Schnittreste beim Nähen der Kleidungs-stücke eine sinnvolle, weitere Verwendung zu finden.

Die Kleidung lässt NIKIN von Produzenten aus Portugal, Polen und Tschechien herstellen. Die Baumwolle stammt mehrheitlich aus Portugal, zum Teil auch aus der Türkei. Dass einzelne Lieferanten sich auf seine Anregung hin zertifizieren liessen und heute sogar damit werben können, freut den Geschäftsführer. Sorgsam werden die Fabriken ausgewählt. Das Hersteller-­Monitoring ist zentral in der Nachhaltigkeitsstrategie des Lenzburger Unternehmens.

Nicholas Hänny (29) ist Co-Gründer und CEO von NIKIN. Nach einem betriebswirtschaftlichen Studium sammelte er erste Berufserfahrungen im E-Commerce, ehe er sich mit seinem Jugendfreund Robin Gnehm selbstständig machte. Vom Magazin «Forbes» wurde er zusammen mit Gnehm und Carla Vilela Gonzaga Hänny, beide Mitglieder der vierköpfigen Geschäftsleitung, in die Auswahl der «30 under 30» der Kategorie «Social Impact» in Europa aufgenommen. Hänny, der auch als Referent und Coach auftritt, war lange Pfadfinder und bezeichnet sich als naturverbunden. Er ist verheiratet und lebt im Kanton Aargau.

Wachstum ohne fremde Hilfe

Auch am eigenen Beitrag arbeitet NIKIN intensiv. Kunden sollen bald untereinander Kleider tauschen können, für nicht verkaufte Sortimentsteile werden Outlets involviert. Derzeit wird eine «Re-use-Kollektion» entworfen, die das Thema Recycling aufgreift. Die Angestellten organisieren Aktionen wie dem Clean-up-Day in der Region. Und NIKIN lässt nicht nur Laub- und Nadelbäume setzen, sondern auch Fruchtkulturen, weil die mehr Arbeit und Ertrag bringen.

Es sind solche Elemente, mit denen die junge Firma vorankommt, welche die beiden Gründer im Jahr 2016 mit nur 5000 Franken Startkapital aus ihren Ersparnissen ins Leben gerufen haben. Bisher konnten sie auf externe Investoren verzichten. «Es ist ohne grössere Darlehen von der Bank gegangen», sagt Hänny. Doch der Druck ist spürbar: Löhne sollen angemessen sein und Lieferanten pünktlich bezahlt werden. Auch das gehöre zum Anspruch, sich fair zu verhalten.

Organisatorische Herausforderung

«Am Ende des Sommers kann es eng werden. Dann hoffen wir, dass im vierten Quartal wieder genug Geld in die Kasse kommt.» Dass ihr Online-Shop von Beginn weg so gut gelaufen ist, hat den beiden Jungunternehmern in der Startphase geholfen – und tut es heute noch.

Inzwischen arbeiten bei NIKIN rund 50 Festangestellte und 20 Temporäre, die bei Events und Verkäufen aushelfen. «Organisatorisch hinken wir immer ein wenig hinterher», stellt der Chef selbstkritisch fest. Irgendwann sei eine Grösse erreicht worden, die eine Personalabteilung und ein Spesenreglement nötig gemacht habe. Mittlerweile firmiert das Unternehmen als Aktiengesellschaft, es gibt Strukturen und fest zugeteilte Verantwortung.

Nach wie vor entscheide er oft nach dem Bauchgefühl. Hänny verweist auf eine Schwierigkeit, die er mit anderen Gründern teilt: «Wir haben zu viele Ideen und zu viele Projekte auf einmal.» Viele Anregungen kommen von der Kundschaft, den Input bündelt der eigene Kundendienst. Man wolle lernen und besser werden. «Sicher haben wir Fehler gemacht, aber auch einiges richtig», sagt Hänny. So habe sich der Entscheid, intensiv auf Werbung über die Social-Media-Kanäle, bei Facebook und Google zu setzen, als Vorteil erwiesen.

«Was nützt es uns und denen, die nachhaltige Bekleidung kaufen wollen, wenn diese zu teuer ist?»

Grundhaltung wichtiger als perfekte Lösungen

Wichtig sei ihm bei allen Vorhaben, einen guten Kompromiss zu finden zwischen fairer, nachhaltiger Produktion und einem angemessenen Preis für die Artikel. «Was nützt es uns und denen, die nachhaltige Bekleidung kaufen wollen, wenn diese zu teuer ist», fragt Hänny. Eine verantwortungsvolle Denkweise sei wichtiger als perfekte Lösungen.

Was nimmt sich der Gründer für die nächsten fünf Jahre vor? «Ich will, dass wir noch genauer kommunizieren, was wir machen und wie wir es tun.» Die guten Beziehungen zu seinen Partnern will er ausbauen und mit Rahmenverträgen längerfristig absichern. In Erwägung zieht NIKIN auch eine physische Markenpräsenz mit eigenen Shops. Noch habe man dafür, auch wegen der Pandemie, den Start hinausgeschoben. Im kommenden Jahr soll ein Versuch mit einem Pop-up-Store starten, verrät Hänny. Bei den Preisen will sich NIKIN weiterhin im Rahmen dessen bewegen, was auch andere grosse Marken verlangen. Die Produkte sollen langlebiger werden, das Design zeitlos. Ein gutes, nachhaltig gefertigtes T-Shirt hält lange, sagt er.

100 Millionen Bäume als Ziel

Genügsam bleibt er auch selbst: Einen Lohn zahlen sich die beiden Gründer erst seit drei Jahren aus. «Ich verdiene vielleicht weniger als viele meiner Studienkollegen», sagt der ausgebildete Betriebswirtschafter. Er könne leben, wie er will, und sei glücklich so. Teure Accessoires brauche er nicht. Und wenn in ein paar Jahren der hundertmillionste Baum gepflanzt und NIKIN eine europaweit bekannte Marke sei, dann könne er zufrieden zurückschauen auf das, was er mit seinem Team geschaffen habe.

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Nicholas Hänny – Ganz persönlich

Welches persönliche Ziel möchten Sie erreichen?
Mein Ziel ist es, unternehmerisches Denken und Wissen weiterzugeben, andere Start-up-Gründer zu inspirieren, ihnen Mut zu machen und dabei die eigenen Erfahrungen zu teilen.

Was ist Ihre Lieblingsbeschäftigung am Wochenende?
Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen, Sport als Ausgleich, Skateboarden.

Zieht es Sie als Ferientyp eher in die Berge oder lieber ans Meer und in die Wärme?
Einer der Orte, die mir besonders gefallen, ist Lugano. Dort hat man Beides.

Was macht Sie nachdenklich?
Mich beschäftigen einige der negativen gesellschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit: Hass und Gewalt, Intoleranz und Arroganz oder auch der zunehmende Rassismus.

Was hat Sie die COVID-19-Pandemie gelehrt?
Den Moment zu geniessen und besser abschalten zu können. Ich habe gelernt, Arbeit und Privates besser zu trennen und mir vor genommen, abends um 19 Uhr den Computer herunterzufahren. Auf dem Handy habe ich die nervigen Notifications abgestellt. All das bedeutet: weniger Stress, mehr Lebensqualität.