«Bei den natürlichen
Ressourcen fehlt die
Kostenwahrheit»

Text: Simon Eppenberger | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Grüne Chance – November 2021

Sie sieht die Wirtschaft als Pfeiler einer langfristig erfolgreichen Umweltstrategie: Katrin Schneeberger, Direktorin des Bundesamtes für Umwelt (BAFU), über den Import von Umweltbelastungen und die Chancen der Nachhaltigkeit für den Standort Schweiz.

Der Bundesrat nimmt sich mit der Vision 2030 im Bereich Umwelt und Natur viel vor. Eine tragende Rolle bei der Umsetzung hat das BAFU. Was steht dabei im Zentrum?

Wir verfolgen die Vision des intakten Lebensraums. Darunter verstehen wir eine Umwelt, in welcher nicht mehr natürliche Ressourcen verbraucht werden, als sich erneuern können. Insbesondere die Biodiversität soll widerstandsfähig sein. Und wir wollen die Treibhausgas-Emissionen reduzieren, um das Klima zu schützen. Zudem sollen die natürlichen und technischen Risiken tragbar sein.

«Würden alle leben wie in der Schweiz, bräuchte es drei Erden.»

Um das zu erreichen, gibt es viele Gesetze und Massnahmen wie die CO2-Abgabe. Was ist darüber hinaus wirkungsvoll, um die Nachhaltigkeit in der Schweiz voranzubringen?

Die Massnahmen sind vielfältig. Neben den Lenkungsabgaben sind die Subventionen ein starkes Instrument. Und es gibt freiwillige Branchenvereinbarungen, mit denen sich Unternehmen verpflichten, nachhaltig zu agieren. Wichtig sind zudem Monitoring und Forschung, um faktenbasiert zu handeln – auch über die Landesgrenzen hinaus. Denn Umweltprobleme sind ein globales Thema. Deshalb nimmt die Schweiz bei internationalen Verhandlungen eine aktive Rolle ein.

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) setzt die Umweltpolitik des Bundesrates um. Es stellt die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen wie Biodiversität, Boden, Wasser, Luft, Ruhe und Wald sicher und fördert die Wiederverwertung von Ressourcen (Kreislaufwirtschaft). Das BAFU ist u.a. verantwortlich für den Klimaschutz, die Erhaltung der Biodiversität und der Landschaftsqualität und ist zuständig für die internationale Umweltpolitik. Das Jahresbudget liegt bei rund 1,6 Milliarden Franken. Gut 87 Prozent davon fliessen in Subventionen und Lenkungsabgaben. Für das BAFU sind rund 600 Mitarbeitende tätig.

www.bafu.admin.ch

Lässt sich die Bevölkerung zur Nachhaltigkeit erziehen?

Veränderungen sind möglich. Man hat beispielsweise festgestellt, dass es einen positiven Effekt hat, wenn bereits Kindergartenkinder etwas über Recycling lernen. Sie gehen damit nach Hause und erzählen am Familientisch, dass Abfall getrennt werden sollte. Und plötzlich funktionieren Trennen und Recycling besser. Manchmal ist es besser, die Kinder sagen den Erwachsenen, was sie zu tun haben – und nicht der Staat.

Wie kann man Unternehmen animieren, nachhaltig zu wirtschaften?

Zahlreiche Unternehmen engagieren sich bereits heute für ressourceneffiziente Prozesse und ökologische Geschäftsmodelle. Das zu tun, liegt auch in ihrem ureigenen Interesse, um zukunftsfähig zu sein. Wir geben ihnen einen Orientierungsrahmen und zeigen auf, welches die wichtigsten Herausforderungen der Zukunft sind, beispielsweise anhand der langfristigen Klimastrategie. Damit können Unternehmen nachhaltig planen und wirtschaften. Wichtig sind auch die Förderung von Innovation, Forschung und Technologie und die Unterstützung beim Übergang von Forschung und Entwicklung in den Markt. Und nicht zuletzt hat der Bund eine Vorreiterrolle bei der nachhaltigen Beschaffung.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Herausforderungen im Bereich Nachhaltigkeit?

Wir leben deutlich über unsere Verhältnisse. Unser Lebensstil verbraucht weit mehr Ressourcen, als uns der Planet nachhaltig bereitstellen kann. Würden alle wie in der Schweiz leben, bräuchte es drei Erden. Diesen Mechanismus zu verändern ist die grösste Hürde.

Wie lässt sich das ändern?

Es braucht eine Vielzahl an Massnahmen. Ein Problem ist die fehlende Kostenwahrheit. Natürliche Ressourcen haben nicht den Preis, den sie wert sind, und werden entsprechend übernutzt.

Katrin Schneeberger (55) ist in Bern aufgewachsen, absolvierte dort die Matura sowie das Studium in Wirtschaftsgeografie. Nach Abschluss des Doktorats und einem Studienjahr in Soziologie in Grossbritannien leitete sie in der Bundeshauptstadt den Bereich Mobile Gesellschaft am Zentrum für Technologiefolgenabschätzung, war stadtbernische Generalsekretärin in der Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün und während acht Jahren zuerst Vizedirektorin und anschliessend stellvertretende Direktorin des Bundesamtes für Strassen (ASTRA). Seit September 2020 ist Schneeberger Direktorin des Bundesamtes für Umwelt (BAFU). Sie lebt mit ihrem Partner in Bern.

Welche Themen sind aktuell bei Ihnen von hoher Relevanz?

Am brennendsten sind der Klimawandel, die Kreislaufwirtschaft sowie der Verlust der Biodiversität. Letzteres wird parallel zum Klimawandel das nächste grosse Thema werden.

Weshalb ist die Biodiversität für uns als Gesellschaft so enorm bedeutend?

Die vielfältigen Ökosysteme, die aus einer Vielzahl an Pflanzen und Tieren sowie ihren Lebensräumen bestehen, sind eine zentrale Lebensgrundlage und Basis für wirtschaftliche und damit gesellschaftliche Stabilität. Je diverser das Ökosystem, desto widerstandsfähiger ist es. Diese Widerstandskraft ist gefährdet.

Was müssen wir dagegen tun?

Zuerst geht es darum, ein Bewusstsein für den schleichenden Verlust der Biodiversität zu schaffen. Ihn leicht verständlich zu beschreiben und effektiv zu ändern, ist deshalb ungleich komplexer als beim Klimawandel. Alle verstehen: Bis 2050 wollen wir den Netto-Null-Ausstoss von CO2. Solche eingängigen Ziele sind wichtig. Im Bereich Biodiversität wird unter den Staaten zurzeit das Ziel «30 by 30» diskutiert: Bis im Jahr 2030 sollen global 30 Prozent der Land- und Ozeanfläche für die Erhaltung der Biodiversität reserviert werden.

«Die Frage, welche Umweltbelastung unser Konsum im Ausland verursacht, ist sehr wichtig.»

Welches sind die wichtigsten natürlichen Ressourcen der Schweiz – und wie sollen wir mit ihnen umgehen?

Wie gesagt, ohne natürliche Ressourcen können wir nicht leben. Als Gesamtheit unserer Lebensgrundlage ist eine gesunde, vielfältige Biodiversität ausschlaggebend. Wasser ist eminent wichtig. Da ist die Schweiz als Wasserschloss gut positioniert, bei der Qualität gibt es aber noch zu tun. Der Boden wiederum ist dicht besiedelt und stark genutzt. Und es braucht saubere Luft. Wir können diese Ressourcen nutzen und müssen sie zugleich schützen. Dafür müssen wir von End-of-Pipe-Lösungen wegkommen.

Das bedeutet?

Wir sollten vorsorgen und Umweltbelastungen nicht im Nachhinein bekämpfen müssen, sondern gar nicht erst entstehen lassen. Also beispielsweise beim Lärm an der Quelle eingreifen und nicht mit aufwendigen Lärmschutzmassnahmen versuchen, die Menschen vor Verkehrslärm zu schützen.

Sind viele Schäden nicht bereits unumkehrbar?

Probleme sind da, aber vieles ist auch auf gutem Weg. Unser Monitoring zeigt auf, dass wir in den letzten 20 Jahren gewaltige Fortschritte im Bereich Luft gemacht haben. Oder bei den Flüssen: Heute baden wir in der Aare in Bern. In den 1970er-Jahren war das undenkbar, das Wasser schäumte. Beim Kampf gegen den Klimawandel und dem Schutz der Biodiversität muss es klar vorwärtsgehen.

Welche Chancen sehen Sie in einer erfolgreichen nachhaltigen Entwicklung?

Letztlich geht es um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlage für uns, unsere Kinder und Enkelkinder. Für die Wirtschaft ist das eine Chance und ein weltweiter Wachstumsmarkt, beispielsweise im Bereich Cleantech. Als Innovationsmeisterin profitiert auch die Schweiz davon.

Welche Priorität sollte das Thema Nachhaltigkeit für eine/n CEO, die Geschäftsleitung haben?

Für mich gehört es ins Zentrum jeder Strategie und sollte deshalb in der Geschäftsleitung angesiedelt sein. Spätestens, wenn Nachhaltigkeit finanziell relevant wird, kommt sie zuoberst im Unternehmen an. Die Entwicklung zeigt sich auch darin, dass diverse Firmen inzwischen die Funktion des Chief Sustainability Officer geschaffen haben.

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die Wirtschaft sowie die darin agierenden Unternehmen für eine erfolgreiche Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit?

Die Wirtschaft ist neben der Ökologie/Umwelt und dem Sozialen ein Pfeiler des Nachhaltigkeitskonzeptes. Sie generiert Innovationen und treibt Technologien voran. Entsprechend haben die Unternehmen eine zentrale Rolle inne.

Was bedeutet das speziell für Schweizer Unternehmen, die oft auch ausserhalb der Schweizer Grenzen tätig sind?

Drei Viertel der gesamten Umweltbelastung von Schweizerinnen und Schweizern werden im Ausland verursacht. Der internationale Kontext und die Frage, welche Umweltbelastung unser Konsum im Ausland verursacht, sind deshalb sehr wichtig. Es gibt eine grosse Verantwortung entlang der Lieferkette, aber auch für den Export. Das betrifft alle Firmen und insbesondere Grosskonzerne, die ihren Standort in unserem Land haben. Denn Umweltprobleme machen wie gesagt nicht an der Grenze halt.

Inwiefern können Konsumentinnen und Konsumenten eine nachhaltige Produktion mit ihrer Nachfrage beeinflussen?

Sie haben eine Verantwortung und können Dinge verändern. Drei Lebensbereiche sind zentral: Mobilität, Wohnen und Ernährung. Wir bestimmen, wie wir unterwegs sind und welche Fahrzeuge wir kaufen. Beim Wohnen haben wir es in der Hand, wie viel Fläche wir nutzen, und wir können den Energieverbrauch beeinflussen. Und beim Essen können wir Food Waste minimieren und regionale sowie saisonale Produkte einkaufen. Generell scheint es mir wichtig, beim Konsum auf eine lange Lebensdauer zu achten und wo möglich in Kreisläufen zu denken und danach zu handeln.

Katrin Schneeberger – Ganz persönlich

Auf welche Errungenschaften möchten Sie in 30 Jahren zurückblicken können?
Bis im Jahr 2050 wollen wir die Netto-Null-Strategie umgesetzt haben. Mich würde es deshalb besonders freuen, wenn das gelingen würde und wenn wir bis dann in der Schweiz unter dem Strich keine Treibhausgasemissionen mehr ausstossen.

Welcher ist für Sie der schönste Ort auf der Welt?
Es gibt nicht den einzigen schönsten Ort. Der schönste Ort ist jeweils dort, wo ich in guter Gesellschaft bin, mit Freundinnen und Freunden oder der Familie.

Wo laden Sie Ihre Batterien auf?
Beim Sport, einem guten Essen, am Wochenende in der Natur – oder in einer Grossstadt mit Kultur.

Was macht Sie nachdenklich?
Wenn mit der Umwelt sorglos umgegangen wird und Menschen unaufrichtig sind.

Was möchten Sie der nächsten Generation mitgeben?
Das Engagement für die eigenen Anliegen lohnt sich – genauso wie es sich lohnt, zu sich und seinen Überzeugungen zu stehen.  

Was hat Sie die COVID-19-Pandemie gelernt?
Dass man sich nie in falscher Sicherheit wähnen soll. Und dass alles zwei Seiten hat: Für uns alle war und ist die Pandemie einschneidend. Gleichzeitig macht Not beweglich, erfinderisch, fördert die Kreativität und schafft Potenzial für Neues.