Bildung auf hohem Niveau

Text: Redaktion ceo Magazin | Bilder: Andreas Zimmermann | Magazin: Der Kunde im Fokus – Januar 2019

Andrea Schenker-Wicki, Rektorin der Universität Basel, führt eine grosse Institution mit über 5’000 Mitarbeitenden, die keine Kunden im engeren Sinn bedient – sondern Menschen, denen Bildung auf hohem Niveau am Herzen liegt.

Wenn der Blick der Rektorin von ihrem Schreibtisch aus dem Fenster schweift, liegt Basel ihr zu Füssen. In der Ferne ragt der Roche Tower in die Höhe, das derzeit höchste Gebäude der Schweiz. Das Rektorat mit Schenker-Wickis Büro, in dem weisses Mobiliar und helles Holz dominieren, ist im zweitobersten Stock eines nüchternen Zweckbaus auf der Grossbasler Seite der Stadt untergebracht. Unter dem gleichen Dach residieren die Basler Handelsgesellschaft und der Branchenverband Interpharma.

Wir sprechen über Kunden. Auf die Frage, wer denn die Kundschaft einer Universität sein könnte, muss sie kurz nachdenken. Kundschaft? «Nein, wir sprechen nicht von Kunden, sondern von sogenannten Anspruchsgruppen», von unseren Stakeholdern, sagt die Rektorin. Im Fall der 558 Jahre alten Bildungsinstitution gehören dazu die Studierenden, die Assistierenden aus dem unteren und oberen Mittelbau und die Professorinnen und Professoren sowie das zum Teil hochqualifizierte technische Personal, ohne das keine Forschung und kein Unterricht möglich wäre.

Die Rektorin hat aber auch mit externen Anspruchsgruppen intensiv zu tun. Dazu zählen Exekutive und Legislative der Trägerkantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft. Darüber hinaus gehören die Öffentlichkeit, die Medien, andere Bildungsträger, Forschungspartner und Drittmittelgeber sowie private Förderer zu den Stakeholdern der Universität, ebenso wie Lieferanten und Erbringer von Dienstleistungen aller Art, die zum Funktionieren des Grossbetriebs beitragen. Auch wenn die Auseinandersetzung über Ausstattung und Mittel nicht immer einfach sei: «Für die Arbeit der Politik bringe ich grossen Respekt auf», sagt Schenker-Wicki.

«Kontextwissen wird wichtiger.»

Die rund 13’000 Studentinnen und Studenten, die mit ihrer Nachfrage nach Bildung und dem Entrichten der Studiengebühren noch am ehesten mit dem Begriff Kunde in Verbindung gebracht werden könnten, mag Schenker-Wicki so nicht bezeichnen. Denn wer lernt, tut dies für sich und sein persönliches Fortkommen. Wissen ist keine Handelsware, dieses zu vermitteln keine Dienstleistung im klassischen Sinne, sagt sie.

Transparenz bei Forschungsvorhaben

Die Universität Basel zählt landesweit zu den führenden Hochschulen beim Einwerben von Drittmitteln für Forschungsprojekte. Die Nähe zu den international tätigen Unternehmen der Pharma- und Chemiebranche, die einen Teil ihrer eigenen Forschung in der Stadt am Rheinknie konzentriert haben, hilft dabei. «Unser künftiger Wohlstand hängt nicht zuletzt davon ab, was die Universitäten leisten. Sie sind Wachstumsmotoren für ihre jeweiligen Regionen und für die Gesellschaft als Ganzes», ist Schenker-Wicki überzeugt.

Als Beispiel für die Chancen, die sich daraus ergeben, nennt die Rektorin das gemeinsam mit Novartis gegründete neue Augeninstitut. Eine einmalige Chance, weil dort Grundlagen- und klinische Forschung sowie produktnahe Entwicklung unter einem Dach angesiedelt sind.

Für die Förderung von Forschungsvorhaben gilt an der Universität Basel ein umfassendes Sponsoring-Reglement, «eines der strengsten in der Schweiz». Die Verträge mit externen Partnern liegen offen und können eingesehen werden. Das Rektorat setzt sich dabei für volle Transparenz ein, bei der Zusammensetzung von Gremien achtet man auf Unabhängigkeit.

Andrea Schenker-Wicki (59) ist Rektorin der Universität Basel. Nach dem Lebens­mittel­ingenieur-Studium an der ETH Zürich und der Wirtschafts­wissen­schaften an der Universität Zürich doktorierte sie an der Universität Freiburg i. Ü. im Bereich Operations Research und Informatik. Ihre Laufbahn begann sie in der Nationalen Alarm­zentrale (NAZ). Danach war Andrea Schenker-Wicki Chefin der Sektion Universitäts­wesen im damaligen Bundesamt für Bildung und Wissen­schaft und ordentliche Professorin für Betriebs­wirtschafts­lehre an der Universität Zürich, wo sie von 2012 bis 2014 auch als Prorektorin wirkte. Sie ist Mitglied zahlreicher Kommissionen und Gremien, verheiratet und Mutter zweier Kinder.

Wie hat die Digitalisierung die Aufgaben und das Verhalten der Studierenden in den letzten Jahren verändert?

In der Lehre sind neue Tools hinzugekommen, welche die Abläufe effizienter, vielleicht auch ein wenig anonymer machen. Das beginnt schon bei der Anmeldung, die heute selbständig, zeitunabhängig und online vorgenommen wird. Im Unterricht wird mit Podcasts, visuellen Hilfsmitteln und Simulationen digitaler gearbeitet. Das macht die klassische Vorlesung attraktiver. Statt mit dem Block kommen heute viele mit dem Laptop in den Hörsaal. An einer Präsenzuniversität geht es aber nicht allein um das Aneignen von Wissen, sondern auch um den intellektuellen Austausch, den Diskurs und die Fähigkeit zu fokussieren. Das Kontextwissen wird wichtiger. Die überschaubare Grösse unserer Universität mit ihrem fast schon familiären Umfeld bietet dafür gute Voraussetzungen.

Bleibt für die Lehre der nötige Freiraum?

Das Bologna-System hat das Studium straffer und anspruchsvoller gemacht. Die Zahl der Prüfungen hat zugenommen. Die Studierenden brauchen mehr Zeit, um die nötigen Credits zu sammeln und haben zumindest während des Semesters ein dichtes Programm und weniger Freizeit als früher. Viele müssen zudem nebenher arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Gewachsen ist aber auch das ausseruniversitäre Angebot, etwa beim Sport.

«Wir fokussieren uns auf unsere Stärken.»

Wie kommen Sie mit den Studierenden in Kontakt?

Mit den heutigen digitalen Möglichkeiten erreicht man sehr viele sehr schnell und sehr einfach, etwa mit einem E-Mail-Newsletter. Ob wir allerdings zu den Adressaten tatsächlich durchdringen, ist eine andere Frage. Die Mailboxen sind ja heute oft überfüllt. Für eine andere Schiene, die sozialen Medien, finde ich keine Zeit, denn diese müssen kontinuierlich bewirtschaftet werden, um einen Impact zu haben. Umso wichtiger sind für mich der persönliche Kontakt und der Austausch mit den Studierenden, bei dem ich sie für etwas gewinnen und Begeisterung wecken kann.

Die im Jahr 1460 gegründete Universität Basel ist mit heute knapp 13’000 Studierenden, davon etwa 2’700 Doktorierende, die fünftgrösste, kantonal getragene Volluniversität der Schweiz. Die Erträge der Hochschule belaufen sich auf rund 750 Millionen Franken pro Jahr, davon stammt knapp die Hälfte von den beiden Trägerkantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft. Mit jährlich rund 150 Millionen Franken eingeworbenen Drittmitteln nimmt die Universität bei der Akquisition von Forschungsgeldern im Landesvergleich einen Spitzenplatz ein.

www.unibas.ch

Bildungsangebote auf universitärer Stufe stehen zunehmend in einem kompetitiven Wettbewerb zueinander. Was heisst das für Angebote und Service?

Wir müssen gerade die jungen Studierenden für das Studium und für ihr Fach begeistern. Sonst gehen sie nach dem Bachelor-Abschluss woanders hin. Andere, grössere Universitäten bieten ein breiteres Fächerangebot als wir, und wir verlangen vergleichsweise hohe Studiengebühren. Das zwingt uns, sehr gute Arbeit zu leisten und uns auf unsere Stärken zu fokussieren, um im Wettbewerb mithalten zu können.

Schweizer Universitäten sind auch im Ausland beliebt. Wie erreicht man dort potenzielle Studierende, was kann man ihnen bieten?

Im Vergleich zu anderen Schweizer Universitäten liegt bei uns der Anteil ausländischer Studierender unter dem Durchschnitt. Lebenshaltungskosten und Gebühren mögen ein Grund dafür sein. Bei den Doktoranden und Post-Docs liegt der Anteil mit über 50 Prozent deutlich höher. Diese Nachwuchswissenschaftler kommen wegen der Professorinnen und Professoren sowie wegen der Forschungsqualität.

Rankings versuchen, die Qualität von Universitäten vergleichbar zu machen. Wo steht Basel, was bringen solche Vergleiche?

An einigen dieser Ranglisten gibt es berechtigte Kritik. Aber sie existieren nun mal, ob man das mag oder nicht, und sie dienen zur Orientierung. Im Ranking «Times Higher Education» ist die Universität Basel zumeist unter den ersten 100, mal knapp darüber, mal darunter. Ich sehe eine klare Kausalität zwischen Budget und Anzahl der Studierenden. Mehr Geld an einer Universität führt zu mehr und besseren Angeboten und damit zu einem höheren Platz im Ranking. Kleinere Universitäten geraten so unter Druck. Zugleich wächst die Konkurrenz aus Asien. Wir sehen gerade, wie China zu einer Wissensnation aufsteigt.

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Wenn es darum geht zu motivieren, findet die Rektorin rasch die richtigen Worte. Selbst entscheiden zu lassen und Autonomie zu fördern, sind ihr wichtig. «Wir bestärken unsere Fakultäten darin, Spielräume auszunutzen, Verantwortung zu übernehmen und unternehmerisch zu handeln», sagt Andrea Schenker-Wicki. Die Mittel, die zur Verfügung stehen, würden knapper, der Wettbewerb intensiver. Lehre und Forschung, gerade in den Naturwissenschaften, gestalten sich dagegen immer aufwendiger und teurer.
Der Blick über die Dächer von Basel aus dem Bürofenster zeigt den räumlichen Spagat: hier die Altstadt, das Bewährte und Vertraute, die 558 Jahre alte Tradition der Universität. Dort hinten die weltläufige, global ausgerichtete Wirtschaft, die Nachbarländer, der Verkehr. Andrea Schenker-Wicki bezeichnet ihre Tätigkeit als «die interessanteste Arbeit, die ich je machen durfte». Die anspruchsvollen Themen, der Umgang mit jungen Menschen und die disruptiven Zeiten des Umbruchs empfindet sie als «ungemein bereichernd», aber auch als grosse Herausforderung.

Andrea Schenker-Wicki
Was erwarten Sie als Kundin?

Worauf würden Sie keinesfalls verzichten wollen?
Für mein Leben gern mag ich Süssigkeiten, Basler Leckerli zum Beispiel. Das war schon immer so. Eine Dienstleistung, auf die ich ungern verzichten möchte, ist meine Assistentin im Haushalt. Ich bin beruflich sehr eingespannt. Ohne sie würde ich das nicht schaffen.

Wenn Sie einen Zauberstab hätten …
Wenn ich könnte, würde ich nicht mehr reisen, sondern mich beamen lassen. Das Reisen wird trotz immer mehr Verkehrsmitteln immer beschwerlicher. So liesse sich die Reisezeit verkürzen.

Was schätzen Sie, das wie früher ist?
Eine gute Zeitung in der Hand zu haben. Sich hinsetzen, dafür Zeit nehmen, dazu eine Tasse Kaffee trinken.

Auf Ihrer Einlaufsliste?
Eine neue Waschmaschine, habe aber keine Zeit. Den Kauf nehme ich mir aber demnächst vor.