«Das Jahrzehnt
der Nachhaltigkeit
ist angebrochen»

Text: Simon Eppenberger | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Grüne Chance – November 2021

Sie bringt die Schweizer Wirtschaft zusammen und sieht für nachhaltige Unternehmen neue Chancen: Corine Blesi, Geschäftsführerin des Swiss Economic Forum (SEF) über ehrliche Führungskräfte und verantwortungsbewusste Investitionen.

Nachhaltigkeit ist einer der grossen Trends in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Wie wettbewerbsfähig ist die Schweizer Wirtschaft dabei im internationalen Vergleich?

Es ist nicht nur ein Trend. Für das SEF ist das Jahrzehnt der Nachhaltigkeit angebrochen, in dem sehr viele wichtige Weichen in diesem Bereich gestellt werden. Und es ist inzwischen auch in der Strategie der grossen Unternehmen angekommen. In der Schweiz funktionieren in diesem Bereich einige Dinge sehr gut, andere haben Luft nach oben.

Zum Beispiel?

Pro Kopf sind wir drittgrösster Abfallproduzent – und gleichzeitig Recycling-Weltmeister. Im Alltag weniger sichtbar ist, dass sehr viele Investitionen im Nachhaltigkeitsbereich über die Schweiz fliessen. Insgesamt stehen wir nicht so schlecht da und machen uns gerne kleiner, als wir es sind.

Wie hat sich das Thema Nachhaltigkeit am SEF seit der Gründung vor 23 Jahren entwickelt?

Früher war Nachhaltigkeit vor allem politisch besetzt und es galt: Unternehmertum und Nachhaltigkeit, das funktioniert nicht. Mittlerweile sind viele neue, spannende Geschäftsmodelle entstanden. Firmen investieren in Technologien und Innovationen, welche auf die Nachhaltigkeit einzahlen. Entsprechend hat sich am SEF in den letzten Jahren der Diskurs verschoben. Das Thema ist nicht mehr nur politisch, sondern hat eine ernst­zunehmende wirtschaftliche Komponente.

Welche sind aus Ihrer Sicht für die Schweizer Wirtschaft die nächsten wichtigen Schritte im Bereich unternehmerische Nachhaltigkeit?

Zu erkennen, welche Chancen das Thema bietet und welche Kraft sich entwickeln kann, wenn das eigene Geschäftsmodell und Nachhaltigkeit ineinandergreifen. Das ist noch nicht in der vollen Breite angekommen. Dabei sind erfolgreiche Familienunternehmen der beste Beweis, dass sich nachhaltiges Wirtschaften über Jahrzehnte bewährt. Sie fällen Entscheide mit Blick auf die nächste Generation. Bei grossen Unternehmen steht es hingegen noch zu oft in der Strategie, wird aber nicht gelebt. Hier hat insbesondere die Führung eine Vorbildfunktion. Es braucht mehr ehrliches und langfristiges Engagement.

Das Swiss Economic Forum (SEF) ist die führende Wirtschaftskonferenz der Schweiz. Es wurde 1998 gegründet. Jährlich treffen sich über 1350 Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien für einen Meinungsaustausch und Dialog. Zudem vergibt das SEF den Swiss Economic Award, den bedeutendsten Preis für Jungunternehmen in der Schweiz. Das 24. SEF findet am 2. und 3. Juni 2022 statt.

www.swisseconomic.ch

Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell führt selten zu einem schnellen Profit. Dennoch steigen auf dem Finanzsektor die Investitionen in sozial und ökologisch verantwortungsbewusste Geschäftsmodelle. Wieso?

Das Narrativ, mit Nachhaltigkeit verdiene man kein Geld, ist zwar noch in vielen Köpfen. Aber es hat sich geändert. Das International Institute for Management Development in Lausanne hat etwa nachgewiesen, dass nachhaltige Geldanlagen langfristig gleich gut oder gar erfolgreicher sind als jene, welche nicht den Kriterien für einen verantwortungsbewussten Umgang mit den Aspekten Umwelt, Soziales und Unternehmensführung entsprechen.

«Wir sehen Nachhaltigkeit nebst Unternehmertum sowie Innovation und Technologie als drittes grosses Thema unserer Zeit.»

Wird der Finanzsektor zu einem Treiber der Nachhaltigkeit?

Die Entwicklung geht in diese Richtung und hat uns veranlasst, im September das Impact Finance Forum zu lancieren. Dort geht es im Wesentlichen um die Frage, wie die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft finanziert wird. Investorinnen und Investoren haben einen riesigen Hebel. Sie fragen sich immer häufiger, wie sie Geld gewinnbringend und mit nachhaltiger Wirkung anlegen können. Gleichzeitig können sie Firmen und deren Führung direkt beeinflussen.

Nicht zuletzt während der COVID-19-Pandemie hat der Konsum von nachhaltigen Produkten zugenommen. Kann ein neues Konsumverhalten zu einer überwiegend nachhaltigen Wirtschaft führen?

Neben den Investitionen sind die Konsumentinnen und Konsumenten ausschlaggebend für grosse Veränderungen. Wir haben 300 Schweizerinnen und Schweizer zum Thema befragt. 65 Prozent gaben an, für sie sei es beim Kaufentscheid wichtig oder sehr wichtig, dass ein Unternehmen seine soziale oder ökologische Verantwortung wahrnimmt. 77 Prozent der Befragten geben an, dass dies für Sie in Zukunft noch wichtiger wird. Das sind enorm hohe Werte und ein starker Einfluss.

Corine Blesi (45) studierte an der Hochschule St. Gallen internationale Beziehungen. Nach Stationen beim World Economic Forum (WEF) und als Wissenschaftliche Mitarbeiterin von zwei Bundesräten war sie acht Jahre in der Geschäftsleitung der Rettungsflugwacht Rega tätig. Anschliessend machte sie sich mit der Plattform «Zurich Economic Impulse» selbstständig. 2019 übernahm sie die Leitung des Konferenzgeschäfts der NZZ, zu der das Swiss Economic Forum (SEF) gehört. Seit 2021 ist sie Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung der NZZ. Blesi ist verheiratet und wohnt mit ihrem Partner in Feusisberg (SZ). 

Welche Chancen sehen Sie in einer erfolgreichen nachhaltigen Entwicklung auf sozialer sowie ökologischer Ebene?

Der Begriff Nachhaltigkeit stammt aus der Forstwirtschaft und bedeutet, nicht mehr Bäume abzuholzen, als wieder aufgeforstet werden können. Das sollte heute für alle Ressourcen gelten. Nachhaltig zu leben und zu wirtschaften, bringt nur positive Veränderungen für die Umwelt und die Menschen.

Wo sehen Sie die Gefahren im Bereich der Nachhaltigkeit?

Es hat sich eine Labeling-Industrie entwickelt, bei der man sich alles Mögliche kaufen kann – auch wenn nicht alles mit einem grünen Label nachhaltig ist. Alle Arbeitsschritte und Bestandteile eines Produktes auf Nachhaltigkeit hin zu verfolgen, ist sehr schwierig. Da lässt sich mit Marketing-Geldern leicht Greenwashing betreiben. Und wer effektiv verantwortungsbewusst handeln will, kann vor lauter Labels den Durchblick verlieren.

Braucht es Gesetze, welche die Anforderungen an die Nachhaltigkeit regeln?

Wir stehen für eine liberale Haltung und die offene und ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema ein. Alle wollen wissen, welcher Kauf tatsächlich etwas bewirkt. Wann ist ein Bio-Produkt tatsächlich bio, sprich: Welchen Standards muss es genügen? Und wer legt die Kriterien fest? Diese Herausforderungen beschäftigen viele Branchen, auch die Finanzindustrie. Dort wird intensiv diskutiert, was eine nachhaltige Anlage ausmacht. Welche Standards sich etablieren, wird der Markt zeigen.

Tu Gutes und sprich darüber: Gilt das noch immer – oder sollte man sich in Zeiten von Social Media und schneller Empörung eher zurückhalten?

Glaubwürdige Kommunikation und Transparenz werden erwartet und nehmen an Bedeutung weiter zu. Elementar ist, Dinge nicht Richtung Nachhaltigkeit zu beschönigen oder ein grünes Image zu kreieren, das nicht zum effektiven Geschäftsmodell passt. Das wird früher oder später Schaden anrichten.

Wie kann man ein Unternehmen animieren, nachhaltig zu wirtschaften?

Von aussen kann man das niemandem aufzwingen. Wer in einem Unternehmen entscheidet, muss diesen Mehrwert für sich selbst sehen. Wenn bei Kundschaft, Mitarbeitenden und Investitionen die Nachhaltigkeit wichtiger wird, kommt es automatisch zum Umdenken.

Hat das SEF Ziele im Bereich Nachhaltigkeit?

Wir sehen Nachhaltigkeit neben Innovation und Technologie als drittes grosses Thema unserer Zeit. Deshalb lancieren wir die Initiative «Sustainable Switzerland», welche alle Kompetenzen der NZZ vereint. Dabei geht es nicht nur um Begegnungen an unseren Konferenzen. Es gehört eine Dialog- und Content-Plattform dazu, die sich 365 Tage im Jahr mit der nachhaltigen Schweiz auseinandersetzt. Sie soll eine Drehscheibe für Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft sein. Nachhaltigkeit ist auch ein wichtiges Generationenthema. Viele versierte Schweizer Firmen kommen gar nicht mehr an die Jungen ran, für die Nachhaltigkeit eine Herzensangelegenheit ist. Hier wollen wir relevante Aspekte aufgreifen, Brücken schlagen und den Dialog ermöglichen.

Was möchten Sie mit dem SEF im Jahr 2030 erreicht haben?

Wir wollen das SEF der Nachhaltigkeit gebaut haben. Die Initiative «Sustainable Switzerland» soll über die Schweizer Grenzen hinaus einen Beitrag zur nachhaltigen Wirtschaft leisten.

Corine Blesi – Ganz persönlich

Was ist Ihre Vision für die Welt von morgen?
Dass wir zumindest das Beste tun, um die Welt so zu verlassen, wie wir sie angetroffen haben. Wenn wir das tun, dann ist viel erreicht.

Welches persönliche Ziel möchten Sie erreichen?
Am Ende möchte ich sagen können, dass ich meine Zeit beruflich wie privat mit den für mich wichtigen und mir lieben Menschen verbracht habe.

Was möchten Sie der nächsten Generation mit auf den Weg geben?
Mut, Innovation und Pioniergeist zahlen sich immer irgendwann aus. Zwischendurch zu scheitern, gehört dazu und ist ok.

Worauf sind Sie besonders stolz?
Dass wir am SEF immer wieder spannende Leute zusammenbringen und aus diesen Begegnungen gute Ideen, neue Initiativen und in diesem Sinne auch Wertschöpfung entstehen.

Was hat Sie die COVID-19-Pandemie gelehrt?
Dass wir unsere Freiheit als selbstverständlich hinnahmen und viel zu wenig wertschätzten, wie frei wir uns bis dahin bewegen konnten.