«Den Schweizern ist nicht egal, was mit der Swiss geschieht»

Swiss-CEO Thomas Klühr freut sich über die emotionale Bindung der Gäste zur Schweizer Fluggesellschaft. Mit personalisierten Angeboten will er in Zukunft noch stärker auf ihre Bedürfnisse eingehen – und gleichzeitig die Prozesse im Hintergrund standardisieren. Die Digitalisierung soll ihm bei diesem Spagat behilflich sein.

Text: Roberto Stefàno | Bilder: Andreas Zimmermann | Magazin: Der Kunde im Fokus – Januar 2019

Zur Swiss besteht hierzulande eine starke emotionale Bindung. Woher kommt das?

Airlines wecken generell Emotionen, denn sie schaffen eine Brücke zum Fernweh der Menschen. Und als Home Carrier der Schweiz ist die Swiss für viele Leute hier die Verbindung zur Welt. Aufgefallen ist mir aber eine Besonderheit: Egal wo ich hinkomme, in der Schweiz kennen die Leute immer jemanden, der für die Swiss oder ihre Vorgängerin Swissair tätig war. Dies stärkt natürlich die emotionale Bindung.

Wie wichtig ist Ihnen diese Verbundenheit?

Es macht Freude. Den Schweizern ist nicht egal, was mit der Swiss geschieht. Gleichzeitig tragen wir eine Verantwortung, wir sind Markenbotschafter der Schweiz. Das kann auch anspruchsvoll sein.

«Unsere Herausforderung besteht darin, die spezifischen Kundenwünsche zu erfüllen und gleichzeitig aus Effizienzgründen eine Standardisierung zu erreichen.»

Leidet die Bindung darunter, dass die Swiss zum Lufthansa-Konzern gehört?

Wir müssen den Leuten immer wieder deutlich machen, wie stark wir in der Schweiz verankert sind. Was viele nicht wissen: 70 Prozent unserer Mitarbeitenden haben einen Schweizer Pass, 90 Prozent arbeiten in der Schweiz. Unsere Zulieferer sind mehrheitlich lokale Unternehmen. Zudem entwickeln wir unseren Flugplan nach den Bedürfnissen der hiesigen Bevölkerung. Es gibt wahrscheinlich nur wenige Unternehmen, die so schweizerisch sind wie wir – und die Lufthansa hat kein Interesse, daran etwas zu ändern.

Thomas Klühr, 56, ist seit Februar 2016 CEO der Swiss International Air Lines. Der Aviatik-Spezialist aus Nürnberg stieg 1990 bei der Lufthansa ein und übernahm beim heutigen Swiss-Eigner diverse Tätigkeiten, zuletzt war er als Chef des Lufthansa-Hubs München tätig. Klühr absolvierte ein Betriebs­wirtschafts­studium an der Universität Erlangen. Er ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern.

Sie fliegen über 100 Destinationen in 43 Ländern an. Wie unterscheiden sich die Passagiere in den verschiedenen Ländern?

Einerseits gleichen sich die Kundengruppen zunehmend an. Andererseits nimmt das Bedürfnis nach personalisierten Angeboten zu – weltweit, auch in der Schweiz. Diesen Wunsch versuchen wir zu erfüllen, unabhängig von kulturellen Unterschieden.

«Trotz allen digitalen Möglichkeiten dürfte der Wunsch oder die Notwendigkeit zu reisen bestehen bleiben.»

Was verstehen Sie unter personalisierten Angeboten?

Die Kunden nutzen bei der Reisevorbereitung mehrere unterschiedliche Kanäle, zum Beispiel Online-Plattformen, soziale Medien oder auch das traditionelle Reisebüro, um mit uns in Kontakt zu treten. Diese müssen wir differenziert bearbeiten. Auch der Flug selber lässt sich individualisieren: Manche Reisende fliegen gerne mit Gepäck, andere ohne. Dasselbe gilt für die Mahlzeiten, das Unterhaltungsangebot und noch vieles mehr. Unsere Herausforderung besteht darin, die spezifischen Kundenwünsche zu erfüllen und gleichzeitig aus Effizienzgründen eine Standardisierung zu erreichen.

Was braucht es, um die Passagiere an Bord zufriedenzustellen?

Der Kunde muss sich wohlfühlen und abschalten können. Unsere Gäste nutzen die Zeit an Bord, um E-Mails zu lesen oder einmal für ein paar Stunden nicht erreichbar zu sein. Gefragt sind ein gutes Unterhaltungsprogramm und leckere Mahlzeiten. Wichtig ist auch eine Crew, die es versteht, auf die einzelnen Passagiere einzugehen.

Wo sehen Sie das grösste Optimierungspotenzial?

In einer Phase wie dem vergangenen Sommer, als der Luftraum überlastet war und die Bodeninfrastruktur an ihre Grenzen gestossen ist, müssen wir die Kunden noch besser betreuen und bei Unregelmässigkeiten informieren.

Swiss International Air Lines, kurz Swiss, ist die Fluggesellschaft der Schweiz mit operativem Hauptsitz in Kloten. Von Zürich, Genf und Lugano aus bedient sie mit einer Flotte von 90 Flugzeugen weltweit über 100 Destinationen in 43 Ländern. Jährlich fliegen rund 17 Millionen Passagiere mit der hiesigen Airline, die seit 2005 zur Lufthansa Group gehört und Mitglied des Star-Alliance-Netzwerks ist.

2017 erwirtschaftete die Swiss mit über 8’800 Mitarbeitenden einen Umsatz von rund 5 Milliarden Franken.

www.swiss.com

Wie bereiten Sie sich demnach auf den Sommer 2019 vor?

Wir versuchen, mit zusätzlichen Reserven bei Flugzeugen und Besatzungen eine Entlastung herbeizuführen oder Routen, die auf Verspätungen anfällig sind, anders zu planen. Zudem werden wir die Abläufe an Bord und am Boden verbessern. Unsere Regelungen sind sehr kundenfreundlich, führen aber oft zu Verzögerungen beim Boarding. Wenn es zu Störungen kommt, müssen wir unsere Gäste frühzeitig über Anschlussflüge und Alternativen informieren können. Grundsätzlich gilt, dass die Infrastruktur an Flughäfen wie hier in Zürich weiter ausgebaut werden muss, um Beeinträchtigungen zu vermeiden.

Wie wichtig ist für die Swiss die Betreuung der Gäste am Boden?

Damit können wir uns von unseren Konkurrenten abheben, insbesondere bei Kurzstreckenflügen. In Zürich bin ich diesbezüglich sehr zufrieden, wir haben 2018 unsere Lounges im Dock A rundum erneuert. Die neue SWISS First Lounge A bietet unseren Topkunden neu eine dedizierte Sicherheitskontrolle oder zum Beispiel die Möglichkeit, den Mantel für die Dauer ihrer Reise zu deponieren, wenn es in wärmere Gefilde geht. Und auch unser Check-in-Bereich im Terminal 1 erstrahlt seit Ende letzten Jahres in neuem Glanz und verkörpert unsere Markenwerte noch stärker als bislang.

Die Swiss hat zuletzt in neue Flugzeuge investiert. Inwieweit stand hier der Kunde im Fokus?

Da wir die erste Fluggesellschaft der Welt waren, welche die C Series von Bombardier (heute Airbus) in Betrieb nehmen konnte, bestand von Anfang an eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen dem Hersteller, unseren Technikern und unseren Piloten. Bei der Entwicklung der Flugzeuge hatte die Kundenperspektive eine hohe Bedeutung. Dies sieht man beispielsweise an den geräumigen Gepäckablagen, den grossen Fenstern oder der grosszügigen Kabine.

Wie hat sich das Kundenverhalten in den vergangenen 15 Jahren verändert?

Die wichtigste Veränderung ist sicherlich, wie die Kunden ihre Reise vorbereiten. Das geschieht heute digital und ortsunabhängig. Diesem Wandel müssen wir uns noch verstärkt anpassen.

Hat dies Auswirkungen auf Ihre Organisation?

Wir werden digitaler. Heute verfügen alle Kabinenmitarbeitenden beispielsweise über ein Tablet, über welches Kundeninformationen, Produkte oder Dienstpläne jederzeit abrufbar sind. Die zunehmende Digitalisierung hat aber auch einen grossen Einfluss auf die Wartung der Flugzeuge. Heute senden die Maschinen unentwegt Daten. Diese werten wir aus, um frühzeitig zu erkennen, wann der Austausch eines Teils nötig ist. Um die Synergien im Konzern besser zu nutzen und den Know-how-Transfer zu erleichtern, haben wir zudem eine Matrixorganisation eingeführt.

In die Zukunft schauend: Welche Bedürfnisse und welches Verhalten werden Airline-Kunden in zehn Jahren aufweisen?

Das Mobilitätsbedürfnis dürfte weiter wachsen. Denn trotz allen digitalen Möglichkeiten bleibt der Wunsch oder die Notwendigkeit zu reisen bestehen. Für uns als Airline ist dies eine erfreuliche Nachricht. Wir müssen uns aber noch stärker mit den spezifischen Anliegen der Kunden auseinandersetzen – und im Hintergrund versuchen, gewisse Prozesse zu standardisieren. Angesichts der überlasteten Flughafeninfrastruktur in Europa wollen wir bereits im Vorfeld noch besser auf Unregelmässigkeiten reagieren und Störungen vermeiden. Dennoch ist es unumgänglich, dass in die physische Infrastruktur investiert wird. Leider findet dies in Europa aktuell nicht statt.

Wie wird das Airline-Business der Zukunft aussehen?

In Europa erwarte ich eine weitere Konsolidierung. Am Ende dürften nicht mehr als fünf grössere Gesellschaften überleben. Die Lufthansa-Group und mit ihr die Swiss werden eine führende Rolle einnehmen. Grosse Hoffnung setze ich auch in die Datenanalyse, um zukünftige Entwicklungen vorherzusagen. Ohnehin wird das Thema Daten für Airlines an Bedeutung gewinnen, um den Widerspruch zwischen Personalisierung und Standardisierung aufzulösen. Demgegenüber steht der Trend zum verstärkten Datenschutz. Wer in diesem Interessenkonflikt die besten Lösungen bietet, dürfte in Zukunft vorne liegen.

Wann werden wir erstmals mit Flugzeugen ohne Piloten unterwegs sein?

Das dürfte noch länger dauern. Heute will der Grossteil der Kunden nicht in ein Flugzeug steigen, welches nahe an der Überschallgeschwindigkeit fliegt und dessen Cockpit unbemannt ist. Hinzu kommt, dass derzeit Tausende Maschinen mit auf Piloten ausgelegten Cockpits ausgeliefert werden, die mindestens 20 Jahre in der Luft sein werden.

Technologisch wäre es aber möglich?

Grundsätzlich schon. Dennoch, an Bord geschieht immer etwas, was nicht der Norm entspricht. Und dann sind wir alle froh, wenn ein Mensch reagieren kann.

Thomas Klühr
Kurze Fragen – kurze Antworten

Wie erreichen Sie eine Work-Life-Balance?
Meine Work-Life-Balance ist sicherlich verbesserungswürdig. Zudem bin ich überzeugt, dass ein Gleichgewicht über den Zeitraum von einer Woche oder einem Monat in meiner Position kaum hinzukriegen ist. Ich versuche, Auszeiten bewusst zu planen und so die Work-Life-Balance zu optimieren.

Ihre Lieblings-App?
Kicker.

Ihr privates Highlight der vergangenen Monate?
Meine Tochter hat ihren Master abgeschlossen und mit ihrer Arbeit als Lehrerin begonnen. Das ist ein besonderer Moment für uns als Eltern, auch wenn wir nicht mehr viel dazu beitragen mussten. Ich habe mich sehr für sie gefreut.

Ihr wertvollster Tipp für das Berufsleben?
Man sollte authentisch bleiben und tun, was einem Spass macht, und sich als Person nicht dauernd anpassen, weil man glaubt, es werde erwartet.

Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft?
Gesundheit, für mich und die Familie. Man merkt dies oft erst, wenn man krank ist und alles andere in den Hintergrund tritt. Politisch wünsche ich mir, dass wir nicht vergessen, was Europa und die Schweiz gross gemacht hat. Wir müssen dafür eintreten, dass sich nationalistisches Gedankengut, das sich in Europa breitmacht, nicht weiter ausbreitet. Das halte ich für eine wesentliche Aufgabe.

Ihr Lieblingsessen?
Schinkennudeln.