Der RoboProf

Autonome Roboter dringen immer stärker in unser Leben vor und verändern es nachhaltig. An vorderster Front bei der Entwicklung neuer Technologien arbeitet das Autonomous Systems Lab an der ETH Zürich. Roland Siegwart, Leiter des Labors, ist trotz technischem Fortschritt überzeugt, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis Autos selbständig durch die Städte fahren. Denn bisher haben Roboter zwar einen ungefähren Plan von der Welt, verstehen tun sie diese jedoch noch nicht.

Text: Redaktion ceo Magazin | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Life & Science – Juli 2017

Roland Siegwart zückt sein Smartphone und schwenkt es ein paar Mal durch die Luft. «Wir arbeiten derzeit an einem Projekt, dank dem man auf diese Weise – mit wenigen Bewegungen – einen ganzen Raum digital erfassen kann», erklärt der Professor und Leiter des Labors für autonome Systeme an der ETH in Zürich. Wir befinden uns im Gang des Forschungszentrums. An der Wand hängt eine Illustration, die die Technologie genau erklärt. «Entscheidend ist der neue Sensor. Er ist eine Weiterentwicklung jener Rezeptoren, die bereits heute in den Geräten verbaut sind und es ermöglichen, dass sich der Bildschirm an die Ausrichtung des Gerätes anpasst», so Siegwart. In Zukunft könnte man damit eine Wohnung digital vermessen. Die ETH arbeitet dabei eng mit dem US-Technologie­konzern Google zusammen.

Mehrere Forschungsbereiche vereint

Das sogenannte Tango-Projekt ist nur eines von vielen, die im Labor der ETH vorangetrieben werden. Die Studierenden tüfteln an neuen autonomen Maschinen, die in einer nicht allzu fernen Zukunft zu Land, zu Wasser und zu Luft zum Einsatz kommen sollen. Hier entstehen neue Ideen, vom Käfer-ähnlichen Roboter über Solar­flugzeuge bis hin zu Drohnen. Der eine Raum gleicht einer Werk­statt, ein anderer ist mit Sicherheitsnetzen, Turnmatten und Kameras ausgestattet, um die Flugversuche von autonomen Drohnen zu testen. «Unser Forschungsbereich ist wunderbar, denn er verbindet Maschinenbau mit Elektrotechnik und Informatik, Sensortechnik, künstliche Intelligenz – und den Menschen», schwärmt der Robotik-Professor.

«Die Roboter brauchen einen Plan, sie verstehen die Welt nicht.»

Im Dienste der Menschheit

Das übergeordnete Ziel der im Labor für autonome Systeme ent­wickelten Apparate lautet, die Menschen überall dort zu entlasten, wo eine Arbeit beschwerlich und schädlich ist oder wo sie der Allgemeinheit den grössten Nutzen bringt. Beispiele dafür finden sich laut Siegwart im Untertagbau in Rohstoffminen, in Tiefkühl­lagern – oder in der Landwirtschaft. «Eines der dringlichsten Probleme der Menschheit ist die Nahrungsmittelversorgung», sagt er. Dabei könnte eine Kombination von autonomen Drohnen und Landwirtschaftsrobotern den Ernteertrag markant verbessern. Die Idee dahinter: Aus der Luft werden die Felder mit Drohnen auf ihre Feuchtigkeit überwacht, das Wachstum der Saat kontrolliert sowie die Zahl der Schädlinge beobachtet, während ein Roboter im Feld das Unkraut mechanisch zerstört und wo nötig wässert und düngt. «Die Roboter nehmen dem Menschen eine mühselige Arbeit ab und sorgen für einen höheren Ertrag in der Landwirtschaft», fasst Siegwart zusammen.

Roboter verstehen die Welt nicht

Die breite Öffentlichkeit kommt mit autonomen Systemen heute
vor allem im Bereich der Mobilität in Kontakt. In Autos sind schon viele unterstützende Systeme eingebaut, die dem Menschen die Fahrt erleichtern. Die Wagen steuern selber in die Parklücke oder halten auf der Autobahn die Spur. «Autonome Fahrzeuge werden unsere Mobilität grundlegend verändern», sagt Siegwart. Dabei geht es nicht nur um Bequemlichkeit. Profitieren werde auch die Umwelt, da die Fahrzeuge und die bestehende Verkehrsinfrastruktur besser ausgelastet werden. Oder aber die ältere Generation, die bis ins hohe Alter mobil bleiben kann. «Meine Eltern wären froh, könnten sie für einen Besuch der Enkel ein autonomes Fahrzeug nutzen», so der 58-jährige.

Bis die ersten autonomen Fahrzeuge aber im Alltag zum Einsatz kommen, wird es noch einige Jahre dauern. Zwar können sie sich in einem strukturierten und nicht zu komplexen Umfeld schon heute problemlos fortbewegen. Doch «die Roboter brauchen einen Plan, sie verstehen die Welt nicht», erklärt Siegwart. Und genau dies wäre nötig, wenn sie dereinst bei viel Verkehr über eine mehrspurige Kreuzung fahren sollen. Dort ist Interaktion gefragt, es braucht Augenkontakt und Zeichen. Zudem müssen die Systeme auch unbekannte Gegenstände schnell einordnen können. «In diesem Bereich ist der Mensch der Maschine deutlich überlegen.»

Prof. Dr. Roland Siegwart (58) studierte Maschinenbau an der ETH Zürich und promovierte 1989. Siegwart leitet das Autonomous Systems Lab (ASL) am Institut für Robotik und Intelligente Systeme (IRIS) der ETH Zürich. Seit 2016 ist er Mitglied im Verwaltungsrat der NZZ-Mediengruppe. Er lebt mit seiner Familie in Schwyz.

Ethik-Workshops mit dem Vatikan

Weitere Hürden für die selbstfahrenden Autos auf dem Weg ins tägliche Leben sind der hohe Preis der Sensoren und Kameras für die Navigation und vor allem die fehlenden gesetzlichen Vorgaben. «Wer soll diese Fahrzeuge immatrikulieren? Wer entscheidet, wie sie in einer schwierigen Situation reagieren? Hier sind Regulie­rungen nötig», so Siegwart. Dies gilt insbesondere im Falle eines Unfalls, wenn ein System entscheiden muss, wer von einer Kollision betroffen ist. Siegwart ist sich sicher, dass die Technologie auch dann dem Menschen hilft. «Sie wird, ähnlich wie der Airbag heute, dafür sorgen, dass die Personen möglichst keine Verletzungen erleiden», sagt er.

Gleichwohl setzt sich die Robotik regelmässig mit ethischen Fragen auseinander. Selbst der Vatikan war schon an Workshops beteiligt, an denen die Grenzen der Technologie erörtert wurden. Aus rein wissenschaftlicher Sicht gibt es für Siegwart, insbesondere in der Grundlagenforschung, keine Limits. Tatsächlich werden heute bereits Anwendungen getestet, die sich wie Science-Fiction an­hören: Kameras, die dem Gehirn Bilder übermitteln und die Augen­funktion ersetzen oder Hirnzellen, die autonome Systeme steuern.

Das Autonomous Systems Lab (ASL) der ETH Zürich ist weltweit führend in der Forschung von selbständigen Robotern. Hierzu zählen Drohnen, Flugzeuge oder Käfer- respektive Menschen-ähnliche Automaten, die selbständig komplexe Aufgaben meistern. Das Labor wurde 1996 an der EPFL in Lausanne gegründet und ist seit 2006 Teil des Instituts of Robotics and Intelligent Systems (IRIS). Vor rund zehn Jahren gingen hier die ersten autonomen Drohnen in die Luft.

www.asl.ethz.ch

Schweiz an der Weltspitze

Für die Unternehmen und die Wirtschaft sind autonome Systeme ein entscheidender Erfolgsfaktor. Dabei müssen sie nicht einmal komplett unabhängig arbeiten. «Besonders in der Schweiz, die im Bereich der Werkzeugmaschinen führend ist, sind sie enorm wichtig, da eine Automatisierungwelle im Gange ist», sagt Siegwart. Immer öfter arbeiten in den Fabrikhallen Roboter und Menschen auf engem Raum zusammen.

«Meine Wunschvorstellung ist es, dass die Schweiz das weltweit erste Land ist, in dem autonome Fahrzeuge effektiv gewisse Aufgaben übernehmen.»

In manchen Fällen ersetzen die Maschinen die Arbeitskräfte sogar vollständig. Wie in der Industrialisierung führt auch die zunehmende Automatisierung zu einer grundlegenden Veränderung in der Arbeitswelt. Es wird Verlierer geben – doch nicht von heute auf morgen. «Robotik ist eine sehr komplexe Technologie. Daher wird die Entwicklung sehr langsam vorankommen und den Betroffenen genügend Zeit geben, um darauf zu reagieren», vermutet Siegwart. Ohnehin ist er überzeugt, dass autonome Systeme für die Schweiz ein Gewinn sind und sie viel mehr Arbeitsplätze generieren werden, als verlorengehen. Kein Wunder findet mit der Wirtschaft ein enger Wissens-Transfer statt, von dem am Ende das ganze Land profitiert. So gehört die Schweiz, laut Siegwart, schon heute weltweit zu den drei führenden Robotik-Destinationen. «Meine Wunschvorstellung ist es, dass die Schweiz das weltweit erste Land ist, in dem autonome Fahrzeuge effektiv gewisse Aufgaben übernehmen.»

Previous
Next