Die Schutzengel vom Wallis

Text: Redaktion ceo Magazin | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Life & Science – Juli 2017

Geschieht ein Unglück im Wallis, sind sie in spätestens drei Minuten in der Luft: die Helikopter und Rettungsteams von Air Zermatt. In ihrer bald 50-jährigen Geschichte hat die Fluggesellschaft dank neuen Technologien die Bergrettung revolutioniert. Dabei seien sie doch eigentlich nur ­Transporteure, sagt Firmenchef Gerold Biner.

Am Anfang war der Bubentraum – das Fliegen. «Als ich zum ersten Mal das Kerosin eines Helikopters eingeatmet hatte, war es um mich geschehen», erinnert sich Gerold Biner, CEO der Air Zermatt. Verletzte zu bergen und Leben zu retten, kam erst später hinzu. «Wir sind eigentlich nur Transporteure, egal wie dramatisch die Situation vor Ort ist», sagt er.

«Meine Aufgabe ist es, das medizinische Personal und Gerät so sicher wie möglich vor Ort zu bringen.»

Ganz so unspektakulär, wie es der 53-jährige Walliser schildert, ist der Alltag für den Helikopterpiloten nicht. Air Zermatt bildet zusammen mit Notfallärzten und Bergrettern eine eindrückliche Flug­rettungsorganisation, die an Spitzentagen bis zu 25 Einsätze fliegt. Geht es um Leben und Tod, sind ein Pilot, ein Rettungssanitäter und ein Arzt innerhalb von drei Minuten in der Luft. Für Bergungen in schwer zugänglichem Gelände, ausserhalb der Skipisten und Wanderwege oder auf einem Gletscher wird zusätzlich ein Bergretter beigezogen. Das Team muss perfekt harmonieren und sich aufeinander verlassen können, damit die Rettung reibungslos funktioniert. «Meine Aufgabe ist es, das medizinische Personal und Gerät so ­sicher wie möglich vor Ort zu bringen», erklärt Biner. Nur wenn er neben einem Unfall landen kann, ist er bei der Rettung direkt ­involviert. «Dann helfe ich dem Arzt oder versuche, die Angehörigen zu beruhigen.»

Der 53-jährige Gerold Biner ist seit 2011 Chef der Helikopter- und Flugrettungsgesellschaft Air Zermatt. Seinen ersten Einsatz für das Unternehmen absolvierte er 1989. Zuvor schloss der Bäckerssohn aus Zermatt eine Mechanikerlehre in Sitten und eine Helikopterausbildung in Kanada ab. Gerold Biner ist verheiratet.

Rettung am Eiger sorgt für Furore

In ihrer bald 50-jährigen Geschichte hat Air Zermatt wesentlich dazu beigetragen, die Bergrettung zu beschleunigen und sicherer zu ­machen. Besonders Firmengründer Beat Perren hat mit zahlreichen Innovationen die Einsätze verbessert. Vor allem die erste Rettung von Bergsteigern in der Eiger-Nordwand mithilfe eines Helikopters und einer Seilwinde hat weltweit für Furore gesorgt. «Bis dahin ­waren fast 30 Personen nötig, die sich über den Gipfel zu den Verletzten abseilten. Das hat sehr lange gedauert. Mit der Seilwinde benötigt ein solcher Einsatz heute nur noch eine halbe Stunde», so Biner. Ebenfalls von Air Zermatt entwickelt wurde ein Dreibein, das den Abstieg in eine Gletscherspalte vereinfacht. Auch diese Entwicklung wird heute von Einsatzkräften weltweit eingesetzt.

«Noch gibt es keine technische Errungenschaft, mit der wir 24 Stunden pro Tag und bei jeder Witterung ausrücken können.»

Trotz den technischen Fortschritten gibt es Grenzen in der Berg­rettung. «Sie beginnen dort, wo man bewusst ein Risiko in Kauf nehmen muss», sagt Biner. Wann dieser Punkt erreicht ist, sei schwer zu definieren. «Wenn man unter einen Eisabbruch fliegen muss, um jemanden zu bergen, dann ist die Grenze wohl überschritten», nennt er ein Beispiel. Im Zweifelsfall wird die Aktion abgebrochen und nach einer Alternative gesucht. «Wir sind schon zu Fuss auf das Weisshorn gestiegen, weil es nicht anders möglich war.» Bis man solche Risiken richtig beurteilen könne, brauche es jahrelange Berufserfahrung. Doch selbst dann kommt es noch zu heiklen Situationen, bei denen die Retter eine gehörige Portion Glück in Anspruch nehmen müssen. «Vielfach realisieren wir dies erst nach einem Einsatz», sagt Biner, der auf eine bald 30-jährige Karriere als Rettungspilot zurückblicken kann und selber auch schon einen Absturz überlebte.

Das 1968 von Beat H. Perren gegründete Flugunternehmen Air Zermatt beschäftigt auf drei Basen in Gampel, Raron und Zermatt im Wallis rund 65 festangestellte Mitarbeiter. Air Zermatt führt mit neun Helikoptern Rettungs-, Transport- und Touristenflüge durch. Die Bergretter aus dem Wallis stehen zum Teil auch im Ausland im Einsatz, unter anderem in Nepal. Damit auch vor Ort geeignete Einsatzkräfte zur Verfügung stehen, hat Air Zermatt im April 2011 gemeinsam mit der Rettungsstation Zermatt eine Rettungsstation im Himalaya aufgebaut.

www.air-zermatt.ch

Mit Innovationen Schritt halten

Manchmal aber kommt jede Hilfe zu spät. Vor allem schlechtes Wetter kann einen Einsatz verunmöglichen. «Noch gibt es keine technische Errungenschaft, mit der wir 24 Stunden pro Tag und bei jeder Witterung ausrücken können», so Biner. Eine solche Vision verfolgt die Rega, die mit der Air Zermatt eng zusammenarbeitet. Im Gegensatz dazu sind die Pläne der Walliser bescheidener. Sie könnten die Bergrettung aber erneut deutlich voranbringen. So ist die Firma beispielsweise in die Entwicklung eines von Grund auf neu konzipierten Helikopters involviert. Oder im Bereich der Notfallmedizin am Projekt «Null negativ» beteiligt, in dessen Rahmen Verletzten vor Ort richtiges Blut verabreicht werden soll statt eine Infusion, die Blut nicht gänzlich ersetzen kann.

«Wir investieren das Geld aus den Nischen-aktivitäten in den Rettungsbetrieb. Dieser ist heute defizitär.»

Wie die Technik hat sich auch Air Zermatt seit der Gründung markant verändert. Die Grundidee, nämlich die Sicherstellung des Luft­rettungsdienstes, ist geblieben. Inzwischen hat die Firma aber auch in Nischen wie Passagier- und Rundflüge expandiert. Ein wichtiger Umsatzpfeiler sind Transportflüge, beispielsweise für Lawinen­verbauungen oder Bergrestaurants. Zuletzt ist ein Trainings- und Schulungszentrum für den Know-how-Transfer hinzugekommen. «Wir investieren das Geld aus diesen Aktivitäten in den Rettungsbetrieb, der aufgrund der hohen Rettungskosten heute defizitär ist», sagt Biner. Dank dem breiten Angebot ist der Betrieb gleichwohl so gut aufgestellt, dass in einen Neubau der Basis in Zermatt investiert werden kann. Auf die Frage, wie er sich die Zukunft der Luft­rettung vorstellt, antwortet Biner: «Wir wissen nicht, wohin die Reise gehen wird.» Zu denken sei an den Einsatz von Drohnen oder alternative Antriebe für Helikopter. Noch stehen diese Techno­logien aber in den Kinderschuhen. «Entscheidend ist, dass wir mit ihnen Schritt halten können.»

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