Eine Arbeitswelt, die unterschiedliche Lebens- und Arbeitsmodelle zulässt

Text: Melanie Loos | Bilder: Andreas Zimmermann | Magazin: Work in progress – November 2020

Co-Working ermöglicht flexibles Arbeiten, doch Kinderbetreuung ist häufig auf den klassischen 9-to-5-Job ausgerichtet. Sarah Steiner bietet beides. Die Mitgründerin von Tadah setzt sich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein.

Sie haben zehn Jahre in der Unternehmenskommunikation gearbeitet. Wieso haben Sie sich selbstständig gemacht?

2014 wurde ich schwanger, damals habe ich bei der Fifa gearbeitet. Nach der Babypause wollte ich flexibler sein. Während der Schwangerschaft habe ich eine der heutigen Mitgründerinnen kennen gelernt, 2016 gründeten wir dann das Online-Magazin Tadah mit dem Schwerpunkt auf der Vereinbarkeit von Beruf und Familie – ein Projekt, welches wir komplett nebenberuflich organisierten und stemmten. Nach all den Interviews mit so vielen Eltern wussten wir, wo der Schuh drückt. Also dachten wir uns: Wieso verändern wir nicht einfach etwas? Der Gedanke dahinter war, Berufstätigen mit Kind flexibles Arbeiten zu ermöglichen.

Co-Working boomt. Wie schwierig ist es, sich neben grossen Firmen wie etwa Regus oder Wework zu etablieren?

Als Co-Working-Space braucht man eine bestimmte Zielgruppe und muss eine Community aufbauen, um Erfolg zu haben – unsere sind berufstätige Eltern. Co-Working ist ein «margenschwaches» Geschäft. Wir bieten mehr als andere Anbieter auf dem Markt: Wir vereinen Krippe und Co-Work­ing-Space und schaffen viele zusätzliche Dienstleistungen wie Events, Ferienkurse und ein Beratungsangebot. Wir sind eine Plattform für Vereinbarkeit und bieten flexible Betreuung. Unsere Kundinnen und Kunden können auch nur halbtags arbeiten, ihre Kinder abgeben und sich bis zu 48 Stunden vorher anmelden.

Sie haben auch immer mehr Firmenkunden. Wie funktioniert das Angebot für Unternehmen?

Gerade jetzt – in Zeiten von COVID-19 – bieten wir Unternehmen und ihren Mitarbeitenden eine innovative Alternative zum Home-Office. Unternehmen kaufen sich eine bestimmte Anzahl Tage Co-Working und Kinderbetreuung, auf die ihre Mitarbeitenden zurückgreifen können. Viele Firmen haben in den letzten Monaten gemerkt, dass es für ihre Mitarbeitenden nicht einfach ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Wir bieten Unter­stützung. Dies nicht nur mit einem neuartigen Betreuungsmodell, sondern mit einer Beratungsdienstleistung für Firmen rund um das Thema.

Die Zürcherin Sarah Steiner (36) studierte Journalismus und Kommunikation an der Schule für Angewandte Linguistik in Zürich. Sie begann ihre Karriere 2005 als Assistentin Marketing und Kommunikation beim FC Zürich, bevor sie als Sportjournalistin bei Tamedia und als Projektmanagerin für das Beratungsunternehmen EUrelations tätig war. Von 2013 bis 2016 schrieb sie für das Unternehmensmagazin der Fifa. Während ihrer Tätigkeit als Kommunikationsverantwortliche bei Pestalozzi gründete sie 2016 das Online-Magazin Tadah. Dann folgte die Entscheidung, sich selbst-
ständig zu machen. Zusammen mit drei Mitgründerinnen gründete Sarah Steiner Tadah, im Oktober 2019 eröffneten sie in Zürich Albisrieden den Co-Working-Space mit Kinderbetreuung. Heute haben sie vier Mitarbeiterinnen. Sarah Steiner lebt mit ihrem Partner Christian und ihrer Tochter Malou (6) in Zürich Albisrieden. Malou geht in den Kindergarten und wird an drei Nachmittagen von ihrer Grossmutter betreut.

Tadah fördert zukunftsorientierte Arbeitsmodelle: Wie stellen Sie sich die Arbeitswelt in 20 Jahren vor?

Ich hoffe, dass sie viel flexibler ist: eine Arbeitswelt, die unterschiedliche Lebens- und Arbeitsmodelle zulässt, in der die Qualität der Arbeit eine grössere Rolle spielt als die Anzahl der Arbeitsstunden. Das setzt Vertrauen seitens der Arbeitgebenden in die Angestellten voraus. Was mich in der Vereinbarkeitsdiskussion stört, ist, dass immer von Beruf und vom Mitarbeitenden gesprochen wird und dabei das Individuum nicht im Mittelpunkt steht. Ziel muss es sein, dass ein Mensch im Unternehmen so eingesetzt wird, dass es für beide Seiten stimmt.

«Wir sind eine Plattform für Vereinbarkeit.»

Müssten Firmen mehr tun für ihre Mitarbeitenden in Sachen Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

In Zukunft werden sie mit Sicherheit immer mehr dazu gezwungen. Ich denke aber nicht, das Firmen von sich aus umdenken. Der neue Arbeitsmarkt wird das angesichts des Fachkräftemangels und des Kampfs um die besten Talente verlangen. Denn gerade junge Generationen sind nicht mehr bereit, 100 Prozent zu arbeiten. Sie wollen beruflich und privat die Balance halten.

Welche Rolle spielt Diversität und Inklusion in der Arbeitswelt der Zukunft?

Ich hoffe, eine grosse. Dafür müssen die Rahmenbedingungen in Politik und Wirtschaft stimmen. Es muss Lohngleichheit zwischen Frauen und Männer herrschen. Und wir müssen allenfalls auch über die Bücher, was Löhne in gewissen Branchen betrifft. Auch hier sollte uns die COVID-19-Pandemie die Augen öffnen. Es gibt zu viele sogenannte systemrelevante Berufe, die zu schlecht bezahlt sind. Für mich heisst Inklusion allerdings auch, das grosse Ganze zu sehen, also das Individuum, statt nur den Arbeitnehmenden zu sehen. Und hierbei auch zu erkennen, dass eine Diversität verschiedener Menschen eben zu einem besseren Grossen und Ganzen führen kann. Teilzeitstellen im Management sind hier ein gutes Beispiel. Ja, es kostet wohl mehr Zeit und Aufwand, eine Kaderstelle mit zwei Personen zu besetzen. Man gewinnt aber auch unglaublich viel: nämlich zwei Charaktere, zwei Kompetenzsets, zwei Meinungen…

Die COVID-19-Pandemie hat Arbeitgebende in der Schweiz dazu gezwungen, ihre Mitarbeitenden von zu Hause aus und zeitlich flexibler arbeiten zu lassen. Könnte das zu einem nachhaltigen Wandel führen?

Das wird es garantiert. Ich bin überzeugt, dass jede Krise auch ihre positiven Seiten hat. Und dass wir diese für uns nutzen können und müssen. Nach COVID-19 wird es jedem bewusst sein, dass Home-Office in sehr vielen Branchen möglich ist. Es werden aber auch alle wissen, dass Home-Office mit kleinen Kindern sehr, sehr schwierig ist. Generell werden wir hoffentlich alle ein neues Verständnis von Zeit, von Vertrauen, von sozialen Konstrukten und einer Gesellschaft – sei sie in privaten oder geschäftlichen Verhältnissen – haben. Und wir werden hoffentlich alle ein wenig demütiger.

Was können Unternehmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie beitragen?

Es müssen viel mehr Teilzeitstellen geschaffen werden – auch in der Unternehmensführung. Unternehmen müssen erkennen, dass es ein Gewinn für sie ist, wenn sie ihren Mitarbeitenden Teilzeitarbeit ermöglichen. Gleichzeitig sind aber auch Männer in der Pflicht: nämlich Teilzeitarbeit einzufordern, um Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, und trotzdem Karriere machen zu können. Dazu gehören eine aktive Kommunikation auf beiden Seiten und gleiche Chancen für Frauen und Männer, auch in Bezug auf die Löhne.

Tadah ist der erste grosse Co-Work­ing-Space mit integrierter Kinderbe­treuung in der Schweiz. Das Besondere daran ist, dass nicht nur die Arbeitsplätze flexibel buchbar sind, sondern auch die Betreuungstage. Kinder und Co-Working-Space sind an einem Ort, aber räumlich getrennt, sodass Kinder spielen können oder Babys betreut werden, während die Eltern in Ruhe arbeiten können. CEO Sarah Steiner startete 2016 mit ihren drei Mitgründerinnen Diana Wick, Klara Zürcher und Julia Cebreros das gleichnamige Online-Magazin – eine Plattform für berufstätige Mütter und Väter. Im Oktober folgte ein Co-Work­ing-Space mit Kinderbetreuung in Zürich.

www.tadah.ch

Tadah hat sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf die Fahne geschrieben. Kommt das in klassischen Arbeitsverhältnissen zu kurz?

Alte Rollenmuster sind heute noch viel zu stark ausgeprägt und das wird sich auch nicht ändern, solange in den Verwaltungsräten der grössten Schweizer Firmen vorwiegend Männer sitzen. Viele verstehen nicht, dass Frauen beides haben wollen: Beruf und Familie. Das Wichtigste ist, dass jeder die Möglichkeit hat, so zu leben und zu arbeiten, wie es sie oder ihn glücklich macht.

Die Folge: In der Wirtschaft, insbesondere in Führungspositionen, fehlen Frauen. Liegt das nur an den Rahmenbedingungen?

Lohntransparenz wäre auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung: Gleicher Lohn für Frauen und Männer bedeutet gleiche Chancen und gleiche Anreize. Gewisse Rahmenbedingungen müssen politisch geschaffen werden, weil es anders einfach nicht geht. Dasselbe gilt für die Frauenquote. Es zeigt sich ja, dass sich ohne gesetzliche Quote nichts ändert. Zudem müsste sie ja nicht für immer und ewig eingeführt werden.

«Für mich heisst Inklusion auch, das grosse Ganze zu sehen. Das heisst, das Individuum statt nur den Arbeitnehmenden.»

Inwiefern kann Tadah zu einem Umdenken beitragen?

Es wäre wahnsinnig schön, wenn wir das könnten (lacht). Wir wollen die Plattform für Vereinbarkeit sein. Dass wir aber zu einem Umdenken auf allen Ebenen führen, wäre wohl ein wenig hoch gegriffen. Aber unser Beitrag kann sein, dass wir einerseits vorleben, dass es möglich ist, Kinder zu haben und Verantwortung im Beruf zu übernehmen. Als Gründerinnen können wir da schon eine Vorreiterrolle einnehmen. Andererseits wollen wir mit unserem Angebot so viele Unternehmen wie möglich ansprechen, sie konfrontieren, sie beraten und gemeinsam einen Weg in Richtung bessere Vereinbarkeit einschlagen.

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Sarah Steiner – Ganz persönlich

Wo sind Sie vor 20 Jahren im Leben gestanden?
Als ich 16 Jahre alt war, dachte ich, die Welt gehört mir. Ich ging immer etwas mit dem Kopf durch die Wand.

Hätten Sie vor 20 Jahren gedacht, dass Sie heute CEO sind?
Nein. Aber ich habe immer gewusst, dass ich keine Person bin, die einfach irgend­etwas macht. Schon damals wusste ich, dass ich etwas tun werde, das mir Sinn gibt und bei dem ich mit Leidenschaft dabei sein kann.

Was raten Sie jungen Arbeitnehmenden, berufstätigen Eltern, Arbeitgebenden?
Es ist extrem wichtig, auf sein Herz zu hören, das auszuprobieren, worauf man Lust hat. Leuten, die darüber nachdenken, eine Familie zu gründen, rate ich, sich zu fragen: Was will ich wirklich? Was ist für mich lebenswert? Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt, eine Familie zu gründen. Managern rate ich: Habt Vertrauen in eure Mitarbeitenden.

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Immer noch bei Tadah – wissend, mit unserem Co-Working-Space oder unseren Spaces und unserer Plattform etwas Grösseres gemacht zu haben, einen wichtigen Beitrag zur Vereinbarkeit geleistet zu haben. Wenn in zehn Jahren Menschen in der Schweiz das Wort Vereinbarkeit hören, sollen sie automatisch an Tadah denken.

Welches Buch liegt bei Ihnen auf dem Nachttisch?
Leider keins. Regelmässig lese ich nur «Reportagen», für mich das journalistische Meisterwerk in der Schweiz.

Hier lade ich meine Batterien auf …
... bei meinem Pferd. Kurz vor der Gründung von Tadah habe ich es gekauft. Und das war die beste Entscheidung: Dort bekomme ich den Kopf frei und verbringe Zeit mit meiner Tochter.