Entscheidend sind der Mensch und die Leistung, nicht das Alter

Text: Simon Eppenberger | Bilder: Andreas Zimmermann, Tobias Stahel | Magazin: Work in progress – November 2020

Eine Digitalfirma aus Zürich zeigt, was aus der ungewöhnlichen Zusammenarbeit zwischen Vater und Tochter entstehen kann: beispielsweise eine preisgekrönte Arbeitsvermittlung mit Tausenden topqualifizierten Mitgliedern.

Was sie heute tun, war einst undenkbar für Sarah Hiltebrand und ihren Vater Peter. Sie ging mit Zwanzig von zu Hause weg, studierte Kunst und Gestaltung, er führte im zürcherischen Bachenbülach sein Elektro-Unternehmen – bis er sich plötzlich schrecklich langweilte.

Peter Hiltebrand hatte sich pensionieren lassen und stellte fest: Däumchen drehen ist nicht sein Ding. Mit seinem Frust fuhr der Vater zu seiner Tochter und ihrem Partner Reto Dürrenberger, die im angesagten Zürich Wiedikon eine Werbeagentur führen. Gemeinsam suchten sie nach einer Lösung und beschlossen das Undenkbare: Der 65-jährige Handwerker und die rund 30 Jahre Jüngeren gründeten kurzerhand eine Digitalfirma. Der Zweck: Die Vermittlung von Rentnerinnen und Rentnern, die gerne arbeiten.

Im Jahr 2009 stellte das Trio «Rent a Rentner» ins Netz und macht sich keine Vorstellungen, was dereinst daraus werden sollte. «Smartphones gab es erst seit Kurzem, und wir hatten zwei Zielgruppen, die nicht sehr digital waren: alte Arbeitskräfte und deren meist gleichaltrige Kundschaft», sagt Sarah Hiltebrand.

«Nur wer bereits während des regulären Arbeitslebens aufgeschlossen und kreativ ist, wird auch als Rentnerin und Rentner gesund und zufrieden sein.»

Also akquirierte Peter Hiltebrand die ersten Mitglieder am Stammtisch. «Zuerst wurde ich gefragt, was das für ein ‘Seich’ sei», sagt der heute 76-Jährige mit kurzen, weissen Haaren, Brille und Bart. Er habe dann seinen Kollegen in Ruhe davon erzählt, wie er sein Handwerk noch immer mit Freude ausüben könne – und das erst noch wann und wo er wolle.

Sarah Hiltebrand (44) hat zusammen mit Partner Reto Dürrenberger und ihrem Vater Peter Hiltebrand (76) «Rent a Rentner» gegründet, als dieser 2009 in Pension ging. Die Hiltebrands stammen aus Bachenbülach ZH, wo der Vater bis zur Pensionierung sein eigenes Elektro-Geschäft führte. Sarah schloss die Kunstschule in Biel ab und ging in die Werbung. Gemeinsam mit Reto Dürrenberger führt sie die Agentur DIE ANTWORT mit elf Festangestellten in Zürich. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter, Peter Hiltebrand hat drei Kinder.

Die Skepsis schrumpfte, und Peter steckte bei jeder neuen Registrierung auf «Rent a Rentner» eine Nadel in eine Karte der Schweiz – bis es keinen Platz mehr hatte. Im Jahr 2011 gewann die Idee den erste Marketingpreis, 2013 wandelten die drei die GmbH in eine Aktiengesellschaft um und erlebten, wie die Website zusammenbrach.

Der Grund war eine freche Werbekampagne und ein Beitrag im Blick. «Miete einen alten Sack oder eine alte Schachtel», empfahl «Rent a Rentner» schweizweit auf Plakaten. Das Boulevardblatt macht daraus kurzerhand eine Schlagzeile. «An dem Tag hatten wir so viele Anfragen, dass unsere Plattform nicht mehr nachkam», sagt Sarah Hiltebrand und lacht.

In den folgenden Jahren gewinnen Vater, Tochter und Reto Dürrenberger weitere Preise und bringen das Portal «Date a Rentner» und den weltweit ersten «RentnerFinder» auf den Markt. Mit dem Gewinn des «SilverEco»-Preises kann sich die Plattform gar als führend unter den Unternehmen weltweit bezeichnen, die sich auf das Segment der «Silver Agers» fokussieren. Aktuell hat alleine «Rent a Rentner» über 3’000 registrierte Mitglieder, die mehr als 300 Tätigkeiten anbieten. Im Hintergrund arbeiten die drei gemeinsam mit Mitarbeitenden der Werbeagentur von Sarah Hiltebrand und Dürrenberger für die Rent a Rentner AG.

Ein Vorteil der bunten Truppe ist, dass Werte wie Diversität organisch gewachsen sind – und nicht als Erfolgsfaktoren definiert und dann implementiert wurden. Denn die Durchmischung gestandener und frischer Talente gehört für Sarah Hiltebrand selbstverständlich zum Geschäft. «Wir haben Junge, Mittelalte und einen frisch pensionierten Texter/Konzepter im Team.»

Die digitale Firma Rent a Rentner AG aus Zürich betreibt seit elf Jahren die gleichnamige Plattform, welche ältere Arbeitskräfte vermittelt. Die registrierten Rentnerinnen und Rentner bestimmen frei darüber, welche Tätigkeiten sie zu welchem Preis anbieten. Vom Kurierdienst per Velo über das Kinderhüten bis zur Rechtsberatung stehen über 300 Dienstleistungen zur Auswahl. Neben der kostenlosen Basis-Registrierung gibt es kostenpflichtige Mitgliedschaften zum Fixpreis. Das Angebot versteht sich nicht als Konkurrenz zu KMU, sondern vermittelt Kleinstarbeiten, die sonst niemand mehr ausführen möchte. Für den Gesamtauftritt und die Kommu­nikation ist Sarah Hiltebrands Agentur DIE ANTWORT verantwortlich. Zum Unternehmen gehören weiter die digitalen Plattformen «Date a Rentner», «Adopt a Rentner» und «RentnerFinder».

www.rentarentner.ch

Das Profil von Mitarbeitenden, die überwiegend «jung, sexy und arbeitswillig» sein sollen, hält sie für untauglich. «Entscheidend sind der Mensch, eine offene Einstellung sowie die Leistung – und nicht das Alter oder Geschlecht.» Im Kontext der Generationen schätzen Tochter wie Vater Hiltebrand die Diversität als Kapital mit grossem Wert ein.

«Nicht nur die Gesellschaft profitiert davon, wenn wir Alten uns nicht aufgeben, sondern weiterhin machen, was wir gut und gern tun», sagt Peter Hiltebrand. Um das zu ermöglichen, hält er drei Faktoren für entscheidend, die Mitarbeitende jeden Alters auszeichnet: Gesundheit, Neugier und lebenslanges Lernen. «Nur wer bereits während des regulären Arbeitslebens aufgeschlossen und kreativ ist, wird auch als Rentnerin und Rentner gesund und zufrieden sein», sagt er.

Um die Mitarbeitenden entsprechend zu fördern, sehen die beiden nicht nur die Führung in der Pflicht. «Klar braucht es flache Hierarchien sowie Selbstverantwortung, und die individuellen Ideen und Inputs müssen ernst genommen werden», sagt Sarah Hiltebrand. «Doch es geht nicht ohne Eigenmotivation», sagt der Vater, die Tochter nickt.

«Nicht nur die Gesellschaft profitiert davon, wenn wir Alten uns nicht aufgeben, sondern weiterhin machen, was wir gut und gerne tun.»

Insbesondere das permanente Lernen in Zeiten von digitalen Umbrüchen ist für die Agenturinhaberin ausschlaggebend. «Früher konnte man sich in der Werbung eine zweijährige Auszeit von der Branche leisten, heute wäre man danach weg vom Fenster.» Deshalb ist für sie digitales Upskilling selbstverständlich.

Dabei müsse man nicht jedem Trend hinterherjagen, aber verstehen, wohin die Entwicklung geht, und daran teilnehmen. «Auch das hat mit Offenheit zu tun. Ich kann nicht mit Kunden über TikTok reden, wenn ich nie einen solchen Account eröffnet habe.» Zudem schätzt sie digitale Anwendungen im Alltag: Projekte vereinfacht das Management-Tool «Trello», die interne Kommunikation ist mit Team-Messenger «Slack» effizienter.

Die digitale Tochter und der offene Vater im gemeinsamen Unternehmen, ist das tatsächlich eine reibungslose Verzahnung zweier Generationen – oder gibt es nicht zwangsläufig Konflikte? Peter Hiltebrand lehnt sich zurück, faltet die Hände über seinem schwarzen Jacket und sagt: «Sie kann alles, ich bin das Aushängeschild. Das funktioniert sehr gut.» Seine Tochter lächelt. «Er hat viel Vertrauen und redet nicht mehr oft rein.» Nur einmal legte er vehement sein Veto ein. Sie wollten in einer Werbekampagne die Senioren als Friedhof-Grufties abbilden. Schliesslich entschieden sie sich für die alten Säcke und Schachteln. Seither überzieht ein Juttesack das komplette Auto von Peter Hiltebrand. 

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Sarah und Peter Hiltebrand - Ganz persönlich

Wo standen Sie vor 20 Jahren im Leben?
Sarah: Ich hatte eben das Kunststudium an der Schule für Gestaltung in Biel abgeschlossen.

Peter: Da führte ich mein eigenes Elektro-Geschäft in Bachenbülach.

Hätten Sie vor 20 Jahren gedacht, heute zusammen «Rent a Rentner» zu leiten?
Sarah (schaut zu ihrem Vater und lacht): Niemals! Damals war ich ein Gruftie und hätte nie gedacht, mit ihm zusammenzuarbeiten. Peter (schaut zurück, lächelt und nickt).

Wann ist ein Job für Sie erfüllend?
Sarah: Wenn kein Sand im Getriebe ist und ich das Gefühl habe, etwas gut gemacht zu haben und dass es weitergeht. Das gibt mir mehr zurück als das Ausruhen auf Lorbeeren.

Peter: Meine Ansprüche haben sich geändert. Seit fünf Jahren habe ich Parkinson. Also lebe ich jeden Tag als wäre er mein letzter, lache viel und mache Musik.

Bieten Sie als Senior noch immer Ihre Dienste auf «Rent a Rentner» an?
Ja, als Elektriker und zum Bäume schneiden. Dafür hatte ich einmal extra einen Kurs belegt.

Und wie steht es mit «Date a Rentner»?
Meine Partnerin habe ich auf einer anderen Online-Plattform kennengelernt. Als ich kündigen wollte, geriet ich in eine Abo-Falle. Also gründeten wir «Date a Rentner». Dort bin ich nicht aktiv, ich bin noch immer in derselben wilden Ehe.

Wie halten Sie als Geschäftsinhaberin Ihre Work-Life-Balance?
Sarah: Arbeit und Privatleben fliessen ineinander. Ich bin dann online, wann ich will. Es kann sein, dass ich E-Mails um 6.20 Uhr beantworte, danach aber ins Fitness gehe, bevor ich arbeite. In der Balance halten mich Aufgaben, die nicht aufreiben, sondern antreiben.

Wann haben Sie etwas fürs Leben gelernt?
Peter: Als ich gesehen habe, dass meine drei Kinder wohlgeraten sind.

Sarah: Bei einem Misserfolg lernte ich, dass man viel stärker ist als man glaubt, und wieder aufstehen und weitermachen kann. Und seit ich eine Tochter habe, weiss ich, dass viele Dinge im Leben gar nicht so wichtig sind. Angefangen bei sich selbst.