Flucht aus der «E-Mail-Hölle»
«Unternehmen müssen akzeptieren, dass ihre Mitarbeitenden die modernsten Kommunikationsmittel nutzen möchten», merkt Brøgger an. «Und die Mitarbeitenden müssen ihrerseits akzeptieren, dass diese Tools sicher sein müssen.» Was die Sicherheit angeht, sagt er: «Wire hat Sicherheit auf ein ganz neues Level gehoben.»
Hier der alte Ansatz: Herkömmliche Netzwerke laufen über zentrale Knotenpunkte oder Server, die durch Firewalls geschützt sind. Wird die Firewall geknackt oder gehackt, sind alle Informationen in Gefahr. Datendiebe können ungehindert ihr Unwesen treiben. Neu bei Wire ist der Aufbau eines Netzwerks mit dezentraler Verschlüsselung. Hier gibt es keinen zentralen Knotenpunkt beziehungsweise Server. Der Datenfluss folgt dem Peer-to-Peer-Prinzip. Anstelle einer zentralen Verschlüsselung erfolgt diese lokal auf jedem mit dem Netzwerk verbundenen Gerät. Jeder Verschlüsselungscode wird mit jeder einzelnen Nachricht an das Gerät aktualisiert. «Jedes Gerät ist seine eigene Festung», erklärt Brøgger. Selbst bei einem Hackerangriff kann der Hacker nur auf die neueste Nachricht zugreifen – das ist alles. Hacken wird nicht unmöglich (das wird nie gelingen), aber es lohnt sich nicht mehr.
Bei Wire läuft dieser Datenschutz mit Verschlüsselung natürlich im Hintergrund. Für User ist die App eine Kombination von Skype, WhatsApp, Snapchat, GoToMeeting, Mobiltelefonie und verschiedenen anderen Apps – und sieht auch so ähnlich aus. Selbst das Ersetzen von bis zu 50 Prozent der Geschäfts-E-Mails ist im Paket enthalten, obwohl die meisten Benutzer diese Funktion angesichts all der anderen Möglichkeiten nur sehr sparsam einsetzen. Brøgger – kaum überraschend ein eifriger Nutzer von Wire – sagt, es habe ihn aus der «E-Mail-Hölle» befreit. «Es gibt Wochen, in denen ich nicht eine einzige E-Mail von einem Kollegen erhalte. Wir kommunizieren genauso viel, nur kürzer und fokussierter.»
Auf der Jagd nach Unternehmen
Zwar richtete sich Wire anfangs an Privatnutzer, doch mittlerweile liegt der Schwerpunkt auf Unternehmenskunden. Zu Jahresbeginn wurde eine Unternehmensversion auf den Markt gebracht, die bereits jetzt bei über 100 Unternehmen zum Einsatz kommt. Die geschätzte Zahl von Usern liegt bei insgesamt rund einer viertel Million, wobei Wire grösstenteils zu den üblichen Geschäftszeiten genutzt wird.
Bislang ist das Hauptverkaufsargument der Datenschutz, doch ein weiteres soll hinzukommen: Verfügbarkeit. Ganz aktuell hat das Unternehmen «Wire Red» – eine «on-demand crisis collaboration infrastructure» ins Angebot aufgenommen, also ein «Backup»-Kommunikationsnetz. Grosse Organisationen benötigen zunehmend ein Zweitnetzwerk für den Fall einer Störung im Hauptnetzwerk. So unwahrscheinlich das auch klingen mag, solche Ausfälle waren Mitte 2017 allgegenwärtig, als die Malware «NoPetya» die Kommunikation bei grossen Firmen wie Maersk, Mondelez, Rosneft und TNT lahmlegte.
«Sie verloren die Kontrolle über ihre Netzwerke und Hunderte Millionen Dollar», so Brøgger. Mit Wire hätten sie eine dezentrale Alternative in der Hinterhand gehabt. Um diese zu nutzen, hätten sie einfach nur ihre Smartphones zur Hand nehmen und sich einloggen müssen. Ohne Wartezeit.
Zu Werbung einfach Nein sagen
Eine angenehme Nebenwirkung der Konzentration auf Geschäftskunden ist, dass Wire zwei Herausforderungen meidet, die allen Kommunikationsapps gemein sind. Da ist zum einen der Netzwerkeffekt: Wenn ein Unternehmen sich für die Nutzung von Wire entscheidet, verfügt es direkt über ein Netzwerk von Usern, das nicht im Laufe der Zeit mühsam aufgebaut werden muss. Zum anderen geht es um die Wahl der Einkommensquelle, das heisst Werbeeinnahmen oder Bezahlmodell. Wire folgt dem traditionellen Software-Modell und rechnet nach Nutzermonat ab.
«Die Unternehmen müssen akzeptieren, dass ihre Mitarbeitenden modernste Kommunikationsmittel nutzen, und die Mitarbeitenden müssen akzeptieren, dass diese Tools sicher sein müssen.»
«Wir könnten niemals Metadaten unserer Kunden verkaufen, wie es Facebook tut», erklärt Brøgger, «denn wir erheben solche Daten nicht einmal.» Wire hat ganz bewusst auf das Werbemodell verzichtet, vor allem, weil das mit dem preisgekrönten Datenschutz-Feature kollidiert. Im Hinblick auf die aktuelle Kontroverse rund um Internet und Datenschutz, vor allem den absichtlichen Missbrauch von Daten durch Dritte wie Cambridge Analytica, zeigt sich Brøgger wenig überrascht, leider, wie er sagt. «Datenpannen sind ein gängiges Thema in den Nachrichten. Datenschutz und Datensicherheit sind heutzutage die beiden grössten Technologiethemen. In Zukunft wird es in diesem Bereich wahrscheinlich mehr Regulierung geben, doch letztlich ist das eine Sache, die die Unternehmen selbst lösen müssen. Auf Vorgaben zu warten, birgt zu hohe Risiken: Bis es dazu kommt, ist Ihr Geschäft vielleicht schon nicht mehr existent.»
Morten Brøggers
Kurze Fragen – kurze Antworten
Drei Hashtags:
#E-Mail-Flut, #Wachstum, #sichere Kommunikation
Lieblings-App:
Wire, natürlich. Nachdem kommt SAS, United, Apple Music, Map My Run und Emily's Workout.
Erstes Handy:
Nokia 2110, mit ausziehbarer Antenne.
Traumberuf als Kind:
Ich sah mich stets als CEO.
Bildschirmschoner:
ein Foto meiner Familie.