Gewinnen oder lernen

Text: Redaktion ceo Magazin | Bilder: Andreas Zimmermann | Magazin: Der Kunde im Fokus – Januar 2019

Tobias Kindler führt MediaMarkt Schweiz als Chief Digital Officer in eine neue digitale Dimension. Eine, in dem der Kunde kompromisslos im Mittelpunkt steht und technologische Errungenschaften über analoge und digitale Kommunikations- und Vertriebskanäle erlebt.

Eigentlich ist sein Titel falsch. «Chief Digital Officer» klingt, als sei Tobias Kindler nur für digitale Technologien zuständig. Seine inoffizielle, doch passendere Funktionsbezeichnung lautet «Chief Digital Customer Officer». Als solcher widmet er sich dem digital beeinflussten und geprägten Kundenverhalten. Kindlers Hauptaugenmerk gilt also dem Kunden 4.0. Dieser ist bestens informiert, mehrkanalig und preissensibel. Er achtet auf Preis, Verfügbarkeit und Service. Dabei sind 70 bis 80 Prozent seiner Berührungspunkte mit MediaMarkt digital. Kindlers Aufgabe besteht nun darin, dieses Verhalten in eine erfolgreiche Unternehmensstrategie zu übersetzen, das Online-Geschäft zu stärken und dieses noch enger mit dem POS zu verknoten. Kurz: Multichanneling.

«So langsam, wie sich die Welt heute verändert, verändert sie sich nie mehr.»

Digital in den Laden

Etwa 65 Prozent aller Home-Electronics-Produkte werden immer noch im Laden gekauft. «An diesem attraktiven Markt wollen wir weiterhin partizipieren», so Kindler. Der stationäre Handel ist denn auch eine Kernkompetenz von MediaMarkt und ergänzt so optimal den digitalen Handel und bietet dem Kunden über Beratungs- und Servicekompetenz entscheidende Vorteile gegenüber reinen Online-Händlern. Nicht umsonst eröffnen Online-Riesen wie Amazon oder Zalando physische Shops. Das Marktgeschäft ist zwar kapitalintensiver und um ein Vielfaches komplizierter als der Online-Handel. Doch in dieser Disziplin hat MediaMarkt einen wertvollen Wissensvorsprung.

«Das bisherige stationäre Konzept von MediaMarkt war das, was das Internet war: einfache Produktpräsentation, günstige Preise, grosse Auswahl.» Das will der ambitionierte Digitalexperte ändern, denn so funktionieren heute weder Internet noch Kunde. «Unser Konzept wurde dafür um den digitalen Vertrieb, Services und Multichannel-Shopping-Erlebnisse ergänzt. Der Kunde kann bei uns einkaufen, wann und wo er will, in Verbindung mit allen Services rund um die Produkte. Wir nennen das ‹Seamless Shopping and Service Experience›.»

Erlebnis zwischen On und Off

«Was ich einkaufe, wird immer weniger wichtig, als wie ich einkaufe», beschreibt Kindler den aktuellen Verhaltenstrend. Darum setzt MediaMarkt auf Vor-Ort-Erlebnisse in sogenannten Erlebnisinseln. Vorreiter in der Schweiz ist in dieser Beziehung der neugestaltete MediaMarkt in Dietlikon. Dort sind als Testlauf neun Inseln etabliert, von der Kochnische über den Virtual Reality Corner bis zur DJ-Bühne. Hier kann der Kunde die Produkte in einem natürlichen Umfeld ausprobieren und damit rumspielen. Produkte findet er auch bei den Mitbewerbern. Über die einmalige Live-Emotion kann sich MediaMarkt alleinstellend differenzieren.

Tobias Kindler ist seit 1. März 2018 Chief Digital Officer der MediaMarkt-Gruppe Schweiz. Als solcher ist er für den Ausbau und die Vernetzung von Online- und Offline-Geschäft sowie für das Marketing und Pricing zuständig. Zuvor verantwortete er am Hauptsitz in Ingolstadt den Bereich Multichannel Concepts, der die Verzahnung von Märkten, Online-Shop und mobilem Handel in allen 14 europäischen Ländern beinhaltete. Bevor er 2010 zu Media-Saturn wechselte, war er acht Jahre als Strategie- und Managementberater im In- und Ausland tätig. Er beriet Unternehmen unter anderem in Deutschland, Grossbritannien, Australien und den USA. Der gelernte Bankkaufmann studierte Aussenwirtschaft und internationales Management in Hamburg und Kapstadt. Tobias Kindler ist Vater einer Tochter und lebt zurzeit in Zürich und Hamburg.

Store to Web

Um die Erlebnisdimension noch auszuweiten, hat MediaMarkt seine Berater am POS mit Tablets und einer Fülle von Informationen ausgestattet. So kann ein Verkaufsberater dem Kunden sämtliche Ratings, Rezensionen und Vergleiche präsentieren. Auf diese Weise gewinnt der Kunde die Sicherheit, dass er hier das beste Preis-Leistungs-Verhältnis erhält. Ausserdem gilt die Devise: «Haben wir nicht, gibt’s nicht.» Ist ein Artikel im Laden nicht ab Lager erhältlich, bestellt ihn der Berater übers Tablet direkt online und lässt ihn zum Kunden nach Hause liefern. Mit diesem Store-to-Web-Ansatz verlängert MediaMarkt seine Regale um die virtuellen Längen des Online-Shops.

Willkommen im Club

Gezielte und bedarfsgerechte Kundenansprache gehört zu Kindlers Hauptmission. «Der Kunde erwartet, dass er seinen Bedürfnissen entsprechend und auf den richtigen Kanälen angesprochen wird. Wer als Retailer diesem Bedürfnis nicht entspricht, den streicht der Kunde aus seinem relevanten Set.» Darum setzt MediaMarkt auf Customer Relationship Management. Zum Beispiel wird Anfang 2019 der MediaMarkt-Club lanciert. Dieses internationale Programm soll die Menschen anregen, wiederholt bei MediaMarkt einzukaufen. MediaMarkt will seine Kunden so noch besser kennenlernen. Allerdings geschieht das nicht über Punkte oder Rabatte, sondern über kleine Geschenke, den Gewinn ganzer Einkäufe und spezielle Events. Mit dem neuen Club schenkt MediaMarkt jene Aufmerksamkeit, die Kunden zu treuen und zufriedenen Markenfans macht.

Hallo, Schweiz

Die Schweiz ist für den Norddeutschen eine besondere Herausforderung. Sie gehört zu den digitalsten Ländern Europas – und in der Vergangenheit zu den digital umsatzschwächsten. Kindler will den Konzern ins richtige Fahrwasser zurücksteuern. «Wir müssen die heutige Situation umdrehen. In ein paar Jahren sind wir in der Schweiz der grösste Online-Händler mit den geilsten Märkten.» Kindler hat mit seinem Team den digitalen Kanal bereits auf europäisches Niveau gebracht. Jetzt will er ihn mit noch mehr Convenience ausstatten. Also Vergleichbarkeit, Rezensionen, Kundenmeinungen, Usability und vor allem viel mehr Wow.

Lernen aus Fehlern erwünscht

Wer ausprobiert, muss Fehler machen und daraus lernen dürfen. Dazu zitiert Kindler Nelson Mandela: «I never lose. I either win or learn.» Diese Worte beschreiben laut Kindler jene Fehlerkultur, die er gerne in der Firmenkultur von MediaMarkt etablieren möchte. Doch Fehlerverzeihung will gelernt sein. Viele Kulturkreise empfinden es als unzulässig, Fehler zu machen – geschweige denn, sie zuzugeben. «Macht Fehler, und macht sie publik. Nur so können wir daraus lernen.» Diese Denke versucht Kindler in die Köpfe seiner Leute zu bekommen. Eine weitere schwierige Aufgabe.

MediaMarkt ist in der Schweiz seit 25 Jahren präsent, betreibt 27 Fachmärkte und beschäftigt insgesamt 1’200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gemäss dem Online-Marktforschungs­unternehmen Marketagent.com Schweiz ist MediaMarkt die beliebteste Elektro­fachmarkt­kette der Schweizer Konsumenten und Konsumentinnen.

www.mediamarkt.ch

Agieren statt reagieren

Die neue Fehlerkultur ist nicht die einzige interne Anpassung. MediaMarkt muss heute viel schneller auf Veränderungen reagieren können. «So langsam, wie sich die Welt heute verändert, verändert sie sich nie mehr.» Als Beispiel für den technologiegetriebenen Hyperwettbewerb nennt Kindler die Drohnen. «Als diese Technologie aufkam, dauerte es viel zu lange, bis wir sie im Laden hatten.» Deshalb geht der Konzern von einer klassischen Abteilungsstruktur zu agilen Teams über, denen er eine vertikale Gesamtverantwortung von der Strategie und dem Einkauf über die Vermarktung bis hin zur Absatzsteuerung überträgt. So will er interne Silos abbrechen und die Organisation wendiger machen.

Inspiration aus verschiedenen Quellen

Für seine Mission nutzt Tobias Kindler verschiedene Inspirationsquellen. Eine davon ist die konzerneigene DNA. Der Konzern war immer im Wandel und hat sein Konzept ständig ergänzt oder auch Teile gestrichen. Nur ist der Wandel heute radikaler. Hier gilt es zu überlegen, wie sich die Kernkompetenz – etwa das Produkt – in einen neuen Kontext setzen lässt. Zum Beispiel Lösungen und Services zu verkaufen statt nur Produkte. Natürlich behält Kindler auch den internationalen Handel neugierig im Auge, ebenfalls ein Paradigmenwechsel. Gemeinsam mit anderen Detailhändlern hat die MediaMarkt Gruppe einen internationalen Akzelerator für Innovationen ins Leben gerufen. Im Rahmen eines Wettbewerbs können Startups ihre Neuheiten vorstellen. Überzeugt die Idee, werden Serienreife und Massentauglichkeit geprüft. Schliesslich konsultiert MediaMarkt den Konsumenten selbst. Zurzeit läuft ein Customer-Engagement-Programm an, das den Kunden in den Innovationsprozess involviert. Das Community-Voting «Spass der Woche» ist ein wöchentliches Werbeformat, in dem MediaMarkt besonders beliebte und ausgefallene Produkte zum Vorzugspreis anbietet. Insgesamt geht MediaMarkt zurückhaltend mit technischen Innovationen um. «Technik muss immer ein Kundenproblem lösen.» Eine technologische Neuerung am Kundenbedürfnis vorbei ist zum Scheitern verurteilt.

Tobias Kindler
Kurz gefragt, kurz geantwortet

Work-Life-Balance?
Zu viel Work, zu wenig Life.

Lieblingsapp?
Natürlich die MediaMarkt-App. Dazu noch Google Maps, Nachrichten- und Wetter-Apps.

Lieblingsessen?
Hausgemachte Frikadellen. Das ist eine Spezialität aus dem Norden Deutschlands.

Ihr wertvollster Tipp fürs Berufsleben?
Authentisch und ehrlich bleiben. Blender fliegen auf.

Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft?
Dass wir mit MediaMarkt als Konzern und in der Schweiz extrem erfolgreich sein werden.

Was schätzen Sie heute, das noch wie früher ist?
Das persönliche Gespräch.