Pascal Koenig, CEO der Ava AG in Zürich, hilft Frauen, mit einem Sensorenarmband den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, um schwanger zu werden. Den Erfolg verdankt sein Med-Tech-Startup in erster Linie den Möglichkeiten von Big Data – umso besser weiss Koenig, wie wichtig Datenschutz ist.
Zur förmlichen Begrüssung gibt es gar nicht erst die Gelegenheit. «Hallo, ich bin Pascal», sagt der CEO der Ava AG und streckt uns die Hand entgegen. Zur Sicherheit erst mal nachfragen: Sind wir per Du? «Bei uns gibt es nur Du.» Pascal Koenig lacht: «An Meetings am Paradeplatz trete ich damit allerdings regelmässig ins Fettnäpfchen.»
Koenig, im blauen Sweatshirt und Jeans, ist offensichtlich guter Dinge. Er macht eine Geste in Richtung Büroraum: sein Zürcher Team. Rund 40 Männer und Frauen sitzen an frei angeordneten Tischen vor Computern, auch das Sofa und ein Stehtischchen im Korridor dienen als mobile Arbeitsplätze. Links stehen Kaffeemaschine und Getränke, in der Mitte ein Kicker-Kasten und ein Pingpong-Tisch im Miniformat, in einer Ecke lassen leere Prosecco-Flaschen auf eine kürzlich abgehaltene Feier schliessen. Hinter einem Raumteiler findet an einem langen Tisch gerade eine Sitzung statt.
Hier, im ersten Stock eines Bürogebäudes im Binz-Quartier, tüfteln die Ava-Angestellten an der Lösung zu einem wachsenden Problem unserer Gesellschaft: der menschlichen Reproduktion. Oder anders gesagt, sie helfen Frauen dabei, schwanger zu werden.
Big Data bedeutet grosse Verantwortung
2013 gründete der gebürtige Aargauer Pascal Koenig gemeinsam mit den ETH-Abgängern Peter Stein und Philipp Tholen sowie mit Lea von Bidder, die wie Koenig an der Universität St. Gallen studiert hatte, das Med-Tech-Startup Ava. Ihr Produkt: ein mit Sensoren ausgestattetes Armband, das von einer Frau mit Kinderwunsch nachts getragen wird. Während des Schlafs zeichnet das Armband drei Millionen Datenpunkte auf, verteilt auf neun physiologische Parameter wie Hauttemperatur, Durchblutung und Herzfrequenz. Dank den Daten, die auf diese Weise gewonnen werden, kann der Eisprung beziehungsweise die fruchtbare Phase in einem Menstruationszyklus erkannt werden – und zwar mit einer Genauigkeit von 89 Prozent, wie eine einjährige klinische Studie des Universitätsspitals Zürich zeigte. Das ist mehr, als die klassischen Ovulationstests erreichen, bei denen die Temperatur oder – mittels Urin – das luteinisierende Hormon gemessen wird, das für das Auslösen des Eisprungs verantwortlich ist. «Das sind unsere Kernkompetenzen: Data Science und Machine Learning», sagt Pascal Koenig. Er führt uns zum Gespräch ins Café im Erdgeschoss, weil im Ava-Büro kein Sitzplatz mehr übrig ist. Das Startup ist stark gewachsen, bald wird man in grössere Räumlichkeiten umziehen.
Pascal Koenig (*1975), der Mitgründer und CEO der Ava AG, hat langjährige Erfahrung im Bereich der Wearables und der Medizinaltechnik. Nach seinem Studium an der Universität St. Gallen sowie an der Columbia University in New York und einem Jahr beim Unternehmensberater McKinsey stieg er als Product Manager bei Synthes ein. Dort lernte er die Grundlagen der Medizinaltechnikbranche kennen. 2008 baute er das in Zürich ansässige Unternehmen Limmex auf, das Notruf-Uhren herstellt, sowie das Marktforschungsunternehmen Smartwatch Group. Der Hightech-Spezialist gewann mehrere Preise und wurde vom Magazin «Bilanz» als einer der 300 einflussreichsten Schweizer ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Partnerin und den gemeinsamen beiden Kindern in Zürich.
Mit den Daten ist eine grosse Verantwortung verbunden. «Man muss zwischen persönlichen und physiologischen Daten unterscheiden», erklärt Pascal Koenig. «Die persönlichen Daten gehören den Ava-Anwenderinnen, sie können sie löschen oder auf ihre eigenen Speicher übertragen. Die physiologischen Datensätze sind ausserdem anonymisiert auf unseren Servern gespeichert. Wir dürfen sie wissenschaftlich nutzen.» Die Nutzung ist durch Datenschutzgesetze geregelt. «Das hat sich unlängst noch einmal verschärft», sagt Koenig mit Hinweis auf die Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union, die am 25. Mai 2018 in Kraft trat, «und auch wenn das für Firmen wie uns zunächst etwas aufwendig und vielleicht mühsam ist, finde ich eine strengere Regelung gut. Wer Datenschutz ignoriert, ist naiv.»
Datenschutz werde von den meisten Menschen zu wenig ernst genommen, findet er: «Mich eingeschlossen!» Vieles ist so praktisch, das Speichern von Passwörtern etwa, der Austausch in den sozialen Medien. Gar schnell wird etwas online gepostet oder geliked, das man später vielleicht bereuen könnte. «Wir müssen nicht allzu weit zurück in der Geschichte, um uns daran zu erinnern, dass nur ein kleines ‹Detail› wie die Religionszugehörigkeit reichte, um eliminiert zu werden», gibt Koenig zu bedenken. Doch lascher Datenschutz muss nicht gleich solch tragische Folgen haben. Manchmal erfahren wir heute schon im kleinen Rahmen die negativen Seiten unseres Daseins als immer gläsernere Menschen. So hatte Koenig unlängst Ärger bei einem Visum-Antrag, weil er vor Jahren einmal mit Freunden im Iran gewesen war.
«Wer Datenschutz ignoriert, ist naiv.»
Grossen Respekt hat der CEO auch vor der Intransparenz der selbstlernenden Algorithmen. «Sie mögen vielleicht präzisere Entscheidungen fällen als ein Mensch, aber niemand übernimmt dann die Verantwortung oder kann zur Verantwortung gezogen werden.»
Grundsätzlich glaubt Pascal Koenig jedoch stark an die Vorzüge der Digitalisierung. Ohne sie gäbe es Ava nicht und hätte es auch Koenigs frühere Startup-Projekte wie das Überwachungsgerät für Herzpatienten und die Notruf-Uhr für Senioren nicht gegeben. Seine persönliche Lebensqualität hat sich dank der Digitalisierung ebenfalls gesteigert – wobei er sich sehr bewusst ist, wie wertvoll Offline-Phasen sind. «Natürlich ist es verlockend, am Wochenende schnell zwischendurch E-Mails zu checken, und ich muss immer wieder innerlich mit mir ringen, um mich nicht von dieser Art Ablenkung bestimmen zu lassen.» In der Familie tut er das so undogmatisch wie im Geschäftsleben. Die gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten sollen ungestört bleiben von der Technik. «Es würde mich enorm nerven, wenn unsere Kinder, die jetzt neun und zehn Jahre alt sind, am Tisch chatten oder gamen würden.» Als Digital Natives haben sie eigene iPods und die alten Handys ihrer Eltern. «Das ist auch richtig so, damit sie mit digitalen Medien vertraut werden», findet Koenig. «Letztlich geht es wie bei so vielem anderem darum, Mass zu halten.»
Jedes dritte Paar hat Schwierigkeiten, ein Kind zu bekommen. Ob es klappt oder nicht, wird durch viele Faktoren beeinflusst – einer davon ist das Timing. Das Armband der Ava AG ist der erste Ovulationstest, der mittels Sensoren und einer einmalig hohen Genauigkeit von 89 Prozent den Beginn der fruchtbaren Tage im Menstruationszyklus in Echtzeit erkennt. Der Tracker misst unter anderem Puls, Atemfrequenz und Hauttemperatur. Gegründet wurde die Ava AG im Jahr 2013 von Pascal Koenig zusammen mit ETH-Ingenieur Peter Stein, Philipp Tholen und Lea von Bidder; Letztere rangiert in der aktuellen «Forbes»-Liste «30 under 30». Das erste Konzept des Sensorenarmbands wurde in einer einjährigen klinischen Studie am Universitätsspital Zürich erfolgreich getestet. Das erste Ava-Armband kam im Juli 2016 in den USA auf den Markt, in Europa startete der Verkauf im Januar 2017. Derzeit wird ein Büro in Hongkong aufgebaut. Spätestens im Jahr 2020 will die Ava AG auch auf dem chinesischen Markt sein.
Ava konnte nur dank der Digitalisierung in so kurzer Zeit so rasch wachsen. Als private Firma gibt das Startup keine Auskunft über Absatzzahlen. Was Koenig aber sagen kann: Letztes Jahr hat die Firma 14-mal mehr Umsatz gemacht als im Startjahr 2016 – «natürlich auf einer verhältnismässig tiefen Basis, aber wir wachsen Monat für Monat stark, und in den USA, wo wir 70 Prozent unseres Umsatzes machen, sind wir bereits in den schwarzen Zahlen». Vor einem Jahr zählte das Startup noch 20 Mitarbeitende, mittlerweile sind es rund 60, und nächstes Jahr, sinniert Koenig, vielleicht schon 120, mit denen man international präsent ist. Das funktioniert nur als digitale Plattform. Der Launch fand 2016 in den USA statt, 2017 folgte Europa, und aktuell wird ein Office in Hongkong aufgebaut mit dem Ziel, in ein bis zwei Jahren auch das chinesische Festland zu erobern. «Heute früh habe ich bereits acht Videointerviews mit Bewerbern in Hongkong geführt – digitalem Zeitalter sei Dank.»
Die Werbung und der Vertrieb bei Ava laufen ausschliesslich online. Und bei der Rechnungslegung hat der CEO das Papier abgeschafft. «Ich hatte so viele Kämpfe mit Buchhaltern auszutragen, ob das auch wirklich ohne Ordner geht. Natürlich gibt es dort Graubereiche, aber als Startup können wir radikaler sein als ein klassisches Unternehmen. Papier ist ein Auslaufmodell.»
Was viele Startups falsch machen, findet Koenig, ist, dass sie alles machen wollen, sowohl produkt- wie auch vertriebsseitig. «Sie verzetteln sich. Ich hingegen glaube extrem an Fokus. Als Startup muss man sich fragen, wo man der Weltbeste sein kann, und sich dann darauf konzentrieren.» Das ist auch einer der Gründe, weshalb Ava seine Daten nicht verkauft und sehr zurückhaltend ist bei Interessenten, die damit forschen wollen. Es haben schon viele angeklopft, welche Zugang zu den Daten wollten – vergeblich.
Wie schafft Ava es, allein auf digitalem Weg das Vertrauen seiner Kunden zu gewinnen? «Etwas vom Wichtigsten sind die klinischen Studien», sagt Pascal Koenig. Nach dem Abschluss der ersten Studie vor der Markteinführung laufen derzeit sieben weitere. Dazu kommt die PR, die man zwar nicht aggressiv vorantreibt, aber gerne auf Anfrage mitmacht. Das Wichtigste ist laut Pascal Koenig das Team: «Unsere Leute sind intrinsisch motiviert, smart, sie denken global, sie haben grosse Visionen und trotzdem eine gesunde Bescheidenheit.»
Der CEO ist überzeugt, dass künstliche Intelligenz mehr ist als nur ein Hype. «Gerade im Gesundheitsbereich gibt es noch so viele Möglichkeiten auszuschöpfen. Der Mensch und der persönliche Kontakt zum Arzt werden immer wichtig bleiben, aber mit der richtigen Datenbasis werden wir den medizinischen Standard noch massiv erhöhen können.» Auch daran arbeitet man bei Ava.
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Pascal Koenig Kurze Fragen – kurze Antworten
Welches Hintergrundbild ist auf Ihrem Handy zu sehen? Meine Familie auf Ellis Island. Die Geschichte des Ortes fasziniert mich sehr, Millionen von Schicksalen haben sich dort abgespielt. Auch viele Schweizer bekamen an diesem Ort die Chance auf ein neues Leben – daran sollten wir manchmal denken, wenn wir über Migrationsthemen sprechen.
Was war Ihr Traumberuf, als Sie noch ein Kind waren? Ich wollte Unternehmer werden, auch mein Vater war selbständig. Ich hatte nie Angst vor dieser Verantwortung.
Wann begann bei Ihnen das digitale Zeitalter? Das erste Mal, als ich die Kraft der Digitalisierung erlebte, war im High School Austausch in den USA, etwa 1992. Meine Eltern hatten zwar schon in den 1980ern einen Computer zu Hause, aber die erste Internetverbindung erlebte ich in den USA.