Text: Eric Johnson | Bilder: Blitab | Magazin: Homo digitalis – Juni 2018
#Gründerin #soziale_Unternehmerin #wettbewerbsfähig
...sind PCs, Smartphones und andere elektronische Geräte teilweise schwierig zu nutzen. Ein Startup in Wien, unter der Führung von Kristina Tsvetanova, möchte das ändern und die «digitale Inklusion» für Blinde verbessern. Das entsprechende Produkt heisst Blitab und ist ein E-Tablet, welches mit der Brailleschrift funktioniert.
Sie ist eine Pionierin. Als eine der wenigen Frauen im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen erhielt sie Auszeichnungen ihrer Universität und des bulgarischen Bildungsministeriums. Jetzt zählt sie zu den wenigen Frauen in einer von Männern dominierten Technologiebranche und bietet ein Produkt an, das völlig neue Bereiche für E-Tablets erschliesst. Kristina Tsvetanova sprach mit dem ceo Magazin über ihr Produkt und das moderne, digitale Leben.
Wie nutzen blinde Personen Blitab?
Lassen Sie mich zuerst erzählen, was blinde Menschen vor Blitab nutzten. Es gibt heute verschiedene Blindenlesegeräte auf dem Markt: Sie ähneln einer PC-Tastatur und zeigen eine Zeile Braille an, das taktile Schreibsystem, das stark Sehbehinderte verwenden. So können die Benutzer etwa fünf Wörter auf einmal lesen. Um ein ganzes Buch im Ausmass wie etwa «Harry Potter» zu lesen, braucht es zuweilen Monate! Wenn sie einschlafen oder in der Zeile verrutschen, ist es sehr schwierig, die entsprechende Stelle wiederzufinden. Sie können keine Grafiken oder Bilder «sehen». Darüber hinaus rangieren die derzeitigen Geräte im Einzelhandel preislich zwischen 5’000 und 10’000 US-Dollar.
Aus diesem Grund haben wir Blitab entwickelt. Bei uns werden eine ganze Seite Text, Bilder und Grafiken angezeigt. Blitab kann ganz ähnlich genutzt werden, wie auch Sehende E-Tablets wie etwa ein iPad verwenden. Blitab wandelt herkömmliche Ausgaben unterschiedlicher Apps in elektronische Braille-Schrift um, kleine Punkte (Tixel genannt), die nach oben und unten führen und so die einzelnen Buchstaben und Zahlen plus Formen und Oberflächen bilden. Zudem ist es erschwinglich: Wir möchten das Gerät zu einem Einzelhandelspreis von etwa 500 US-Dollar anbieten.
«Wir hoffen, dass in fünf bis zehn Jahren Braille viel mehr genutzt wird, vor allem hoffen wir aber auf eine stärkere soziale Einbindung blinder Menschen.»
Warum Braille und nicht Text-to-Speech?
Blitab ermöglicht Text-to-Speech, aber wir glauben an Braille. Es geht viel schneller, eine Seite zu lesen als zu sprechen, und das gilt auch für Braille. Blinde können so mehr in weniger Zeit bewältigen. Natürlich müssen blinde Menschen lernen, Braille zu lesen und zu schreiben, und teilweise geschieht das durch die immer höhere Verfügbarkeit von Text-to-Speech seltener. Wir glauben aber, dass wenn mit Braille Texte so vollständig und schnell zugänglich sind wie auf Blitab, dies dazu verleitet, eher dieses unglaublich taktile System zur Kommunikation zu nutzen.
Während ihres Wirtschaftsingenieurstudiums an der Universität Sofia, Bulgarien, sah Kristina Tsvetanova, wie schwierig sich für stark sehbehinderte Studenten das Lernen und die Kommunikation gestalteten. Ihre Beharrlichkeit regte normalsichtige Personen zu einem Versuch an, ihre «digitale Exklusion» zu beenden. Nach einigen technischen Funktionen in Sofia und später in Wien gründete sie gemeinsam mit den zwei Brüdern Slavi und Stanislav Slavev Blitab. Tsvetanova führt ein typisches «Startup-Leben» mit einem gedrängten Terminplan voller Problembehebungen, Investor-Relations- Arbeiten und Reisen. Das ceo Magazin sprach mit ihr während einer Fundraising-Tour durch das Silicon Valley.
Wie weit ist es noch bis zum kommerziellen Produkt?
Vom Nichts bis zum Konzept und dann vom Prototyp bis zum kommerziellen Produkt ist es ein weiter Weg. Wir starteten 2014, und es gab Zeiten, in denen wir nahe daran waren, aufzugeben. Aber wir haben diese Durststrecken gemeistert: Jetzt sind wir in der Vorproduktion und beim Fundraising, um dann mit der richtigen Produktion zu beginnen. Wir rechnen damit, noch dieses Jahr unsere erste Kapitalrunde abzuschliessen und auf den Markt zu gehen.
Wann und wie wird Blitab verfügbar sein, und wie verkaufen Sie es?
Wir planen einen Verkauf über zwei Kanäle. Der eine besteht aus den normalen Einzelhändlern, die Assistenzprodukte für Blinde und Braille-Geräte verkaufen. Der andere sind staatliche Einrichtungen und Unternehmen, die mit blinden Menschen zu tun haben. So sind wir etwa im Gespräch mit Banken, die Blitab weiterverkaufen können, um einen besseren Zugang zu ihren Transaktionen zu schaffen. Wir sind im Gespräch mit Telekombetreibern wie T-Mobile, die an einer Verwendung von Blitab interessiert sind, weil man es mit einer SIM-Karte nutzen kann. Wir hoffen, 10 bis 20 Prozent des bestehenden Marktes für Assistenzprodukte abzuschöpfen. Wenn wir dazu beitragen können, dass Braille wieder vermehrt genutzt wird – was wir hoffen –, sind uns keine Grenzen gesetzt.
Wo sehen Sie Blitab in fünf bis zehn Jahren?
Wir sehen Blitab als Impulsgeber, wie das iPad einer war. Unser Ziel ist ein App-Ökosystem mit verschiedenen Dienstleistungsarten wie interaktiven Karten oder Lern-Apps, wie sie Sehende heute bereits nutzen – nur eben für Blinde. Wir streuen unsere API (eine elektronische Schnittstelle für App-Entwickler) laufend an Personen, die neue Apps für Blitab entwickeln möchten – jede dieser neuen Apps ist uns natürlich herzlich willkommen. Auch entwickeln wir digitale Dienstleistungen, die mit dem Gerät verbunden werden. Wir hoffen, dass in fünf bis zehn Jahren Braille viel stärker genutzt wird, vor allem hoffen wir aber auf eine stärkere soziale Einbindung blinder Menschen.
Inwiefern sind blinde Personen heute ausgeschlossen?
Es gibt ungefähr 300 Millionen Blinde, die grösstenteils keinen Zugang zu digitalen Inhalten haben. Viele nutzen Papier und Brailleschrift. Wir möchten ihnen einen besseren Zugang zu all den grossartigen Apps bieten, die es gibt. Und wir möchten den Preis dafür erschwinglich gestalten. Ich freue mich, sagen zu können, dass wir nicht alleine sind: Auch andere Geräte werden blinden Menschen eine Hilfe sein.
Welche zum Beispiel?
Zum Beispiel selbstfahrende Autos. Und Roboter – sie könnten eine enorme Unterstützung sein, selbstverständlich auch für sehende Personen. Die gleichen Roboter, die Blinde sicher durch den Verkehr leiten, können auch kleine Kinder und andere behinderte Personen unterstützen. Es wird an Drohnen gearbeitet, die Menschen leiten können – die ihnen mitteilen, wo die Strasse, das Geschäft oder die Ampel ist. Es wird auch an der Entwicklung von «Roboter-Blindenhunden» gearbeitet. Natürlich sind echte Tiere wundervoll, allerdings sind ihr Training und ihre Haltung sehr teuer. Roboter könnten dazu beitragen, diese Arbeit zu ergänzen.
Blitab ist, wie der Name besagt, ein E-Tablet, das Dokumente jeglicher Art (Texte und Grafiken) für Blinde darstellt, in Text-to-Speech umwandelt und Eingaben von Braille-Schreibmaschinen aus ermöglicht (sogenannte Perkins-Tastaturen). Das E-Tablet, das einem normalen Tablet für Sehende sehr ähnlich sieht, ist eine Plattform – was bedeutet, dass es vorhandene Apps nicht verdrängt, sondern deren Nutzung durch Blinde ermöglicht. Das Unternehmen hat mehrere Innovationspreise gewonnen.
www.blitab.com
Inwiefern hat die Digitalisierung Ihr Leben beeinflusst?
Ohne Digitalisierung gäbe es mein Unternehmen nicht. Wir könnten nicht einmal dieses Gespräch führen (Anmerkung: Das Interview wurde über Skype geführt). Mein Leben ist stark digitalisiert. Wenn ich zum Workout ins Fitnessstudio oder joggen gehe, nutze ich digitale Tracker. Im Büro verwende ich Geräte, Bluetooth und den ganzen Rest. Vor ein paar Jahren dachte ich noch, Roboter würden nie eine Rolle in meinem Privatleben spielen. Jetzt gehe ich shoppen und dann ploppt auf meinem Smartphone plötzlich eine Mitteilung auf, dass das Geschäft um die Ecke einen Sonderrabatt auf etwas bietet, das ich gerade haben möchte – das überraschte mich! Die Digitalisierung erweitert die Möglichkeiten des Einzelnen und verschafft ihm mehr Zeit.
Nutzen Sie einen «digitalen Assistenten»?
Ich verwende den Google-Assistenten, der aussieht wie eine grosse Kerze. Er ist mit Bluetooth verbunden und ich trage ihm auf, Musik abzuspielen, oder ich stelle ihm Fragen wie etwa zum Wetter. Manchmal sage ich etwas, das nicht an den Assistenten gerichtet ist, und er beginnt plötzlich mit mir zu sprechen – das überrascht mich immer wieder. (lacht)
«Mit den aktuellen Blindenlesegeräten braucht es Monate, um ein Buch vom Ausmass eines ‹Harry Potter›-Romans zu lesen.»
Birgt die Digitalisierung auch Nachteile für Sie?
Der Verlust der Privatsphäre ist wahrscheinlich die Hauptsorge. Ich habe die öffentlichen Diskussionen über Facebook und Cambridge Analytica sowie den Schutz personenbezogener Daten genauestens verfolgt. Eine Schwäche einer ausgeprägten Digitalisierung besteht darin, dass Nutzer entweder nicht wissen oder sich nicht daran erinnern, welchen Datenfreigaben sie zugestimmt haben. Wir möchten günstige Dienstleistungen, aber wir wollen auch Datenschutz: Die Grenze dazwischen muss noch festgelegt werden.
Arbeit und Erreichbarkeit rund um die Uhr: Wie denken Sie darüber?
Die Menschen heute wie früher können keine Erreichbarkeit rund um die Uhr gewährleisten. Geräte hingegen können immer verfügbar sein. Es gibt aber nach wie vor noch viele Bereiche, in denen Geräte den Menschen nicht ersetzen können. Das gilt zum Beispiel für das Gesundheitswesen oder die Kunst, wo nach wie vor Emotionen und menschliche Beziehungen wichtig sind.
Was ist als Nächstes geplant?
Vor einigen Wochen nahm ich an einer virtuellen Präsentation teil, bei welcher der Moderator ein Hologramm war. Es schien, als ob der Moderator wirklich im Raum wäre. Die Technologie ist noch nicht kommerziell verfügbar, aber sie ist im Kommen. Sie wird bei Meetings eine Menge Zeit, Kosten und Aufwand sparen.
Noch eine Schlussbemerkung?
Ich möchte den Blinden helfen, und ich möchte Männer und Frauen zusammen bringen. Männer und Frauen sind gleichwertig, aber unterschiedlich. Ich denke, dass eine Welt voller Diversität, Nachhaltigkeit und sozialer Einbindung für uns möglich ist. Das ist mein Traum.
Kristina Tsvetanova
Kurze Fragen – kurze Antworten
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Was ist Ihre Lieblings-App?
Ich habe mehr als einen Favoriten. In meiner Freizeit nutze ich meine Fitness-App sehr viel. Bei der Arbeit ist es Bloomberg Technology.
Welches Hintergrundbild hat Ihr Handy oder PC?
Eine Läuferin an der Startlinie, die bereit für einen Wettlauf mit einem Tiger ist. Das motiviert mich, immer besser zu werden.
Was war als Kind Ihr Traumberuf? Wie entschieden Sie sich für die Laufbahn, die Sie eingeschlagen haben?
Als Kind setzte ich meine Puppen in eine Reihe und unterrichtete sie. Ich war eine Lehrerin. Heute ist es mein Traum, Führung zu übernehmen und zu zeigen, wie Dinge laufen sollten.
Erinnern Sie sich an Ihr erstes Mobiltelefon?
Ein Motorola Clipper, mit einem Flip-Screen und Farbdisplay. Es war wunderbar, und es funktioniert immer noch.