Jeden im Team bei seinen Bedürfnissen abzuholen, das ist meine Aufgabe

Text: Julia Decker | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Work in progress – November 2020

Ein Kundenbedürfnis, ein ökologisches Ziel und grosses soziales Engagement: Das sind die Zutaten von Mr. Greens Erfolgsgeheimnis. Das innovative Zürcher Unternehmen setzt auf die Zusammenarbeit mit Menschen mit schwierigen Lebensläufen oder Beeinträchtigungen. Ein Gespräch mit dem Gründer und Geschäftsführer Valentin Fisler über die Arbeitswelt von Morgen.

Weshalb funktioniert Ihr Geschäftsmodell so gut?

Das hat einen ganz praktischen Grund: Wir betrachten den Recycling-Markt aus Kundensicht. Das macht sonst niemand so absolut. Recycling war bisher ein Anbietermarkt. Es gab Wertstoffhöfe und Sammel­stellen, aber niemand hat den Kunden gefragt, was er eigentlich gerne möchte. Dazu kommt: Recycling ist ein extremer Trendmarkt. Die Leute wollen sich heute ökologisch verhalten und dies wird in Zukunft bestimmt weiter zunehmen.

Was bedeuten Diversität und Inklusion für Ihr Unternehmen?

Diversität und Inklusion sind Teile unserer Firmen-DNA. Seit der Geburtsstunde von Mr. Green arbeiten wir mit sozialen Stiftungen zusammen, die unter anderem Menschen mit Beeinträchtigungen betreuen. Unsere Kunden schätzen, dass wir diesen Menschen Arbeit geben. Zum Beispiel helfen sie beim Einsammeln und Sortieren der Wertstoffe. Ohne diesen sozialen Aspekt wäre das Modell von Mr. Green undenkbar.

Was verstehen Sie unter einem schwierigen Lebenslauf?

Langzeitarbeitslose, die aus dem ersten Arbeitsmarkt ausgeschieden sind. Die einen werden bloss noch beschäftigt; die anderen versucht man mit einem gere­gelten Tagesablauf, mit Strukturen, so fit zu machen, dass sie wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurück können. Manche Biographien machen mich wehmütig. Die Menschen haben Probleme, eine Suchterkrankung zum Beispiel, die uns alle treffen können. Durch die gemeinsame Arbeit ist das Wir-Gefühl bei Mr. Green besonders stark.

«Wir brauchen mehr Menschen, die für ihre ethischen und sozialen Werte brennen. Dann wird die Wirtschaft menschlicher.»

Entstehen im Arbeitsalltag manchmal Probleme durch die Diversität und Inklusion?

Nicht immer funktioniert alles reibungslos. Manches muss öfters oder mal überdeutlich formuliert oder auch kontrolliert werden. Und vielleicht wird auch mal ein Mr. Green Bag nicht abgeholt, was nicht passieren sollte. Aber dann kommen wir eben nochmal. Eine gesunde Service-mentalität ist bei unserem Service selbstverständlich unabdingbar.

Wir haben aber festgestellt: Wenn wir grosszügig sind, stossen wir auch auf grosszügige Kunden. Wenn man zu streng mit sich selber und mit den anderen ist, hat man es in einer von Diversität und Inklusion geprägten Arbeitswelt schwer. Was neben einer gesunden Servicementalität natürlich auch immer hilft: ein kleines Augenzwinkern und ein grosses Lächeln.

Valentin Fisler (33) gründete das Unternehmen Mr. Green vor zehn Jahren als Student, zusammen mit seinen drei WG-Mitbewohnern. Der ausgebildete Betriebsökonom ist der Geschäftsführer des Recyclingdienstleisters. Fisler führt ausserdem mit einer Partnerin das Projektlabor «Who is Nik», eine Agentur für nachhaltiges Wirtschaften. Er lebt in Zürich.

Zu einer erfolgreichen Unternehmensführung gehört ein attraktives Arbeitsumfeld. Was bieten Sie Ihren Mitarbeitenden?

Zu unserer Unternehmenskultur gehört ein Zweck, der über jeder Tätigkeit steht. Die Menschen bewerben sich bei uns, weil sie etwas Sinnstiftendes tun wollen. Mr. Green punktet nicht mit dem 14. Monatslohn und Extrabonus. Aber bei uns kann jeder etwas ausprobieren, etwas lernen.

Was bedeutet für Ihre Mitarbeitenden Erfolg?

Ich gebe ein Beispiel: Menschen mit Beeinträchtigungen basteln in Werkstätten anderswo oft Dinge, die dann in einem Webshop landen und nie bestellt werden. Unsere Kunden aber bezahlen fürs Re­cycling und bieten Menschen so die Möglichkeit, einer sinnstiftenden Tätigkeit nachzugehen. Ihre Arbeitskraft wird tatsächlich gebraucht. Den Nutzen ihrer Arbeit spüren die Menschen, die den Müll abholen und sortieren. Das ist für sie ein Erfolg. Und das gibt einen ganz besonderen Spirit.

Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeitenden?

Ich bin selbst motiviert und versuche so, andere mitzuziehen. Tatsächlich motiviert jeden etwas anderes. Jeden in einem Team bei seinen Bedürfnissen abzuholen, das ist meine Aufgabe. So bringen alle die beste Leistung. Manchen tut es gut, während des Tages eine Stunde zu joggen, viele Mitarbeitende machen einen fixen Tag Home-Office. Und andere macht es glücklich, wenn sie ihren Hund mitbringen können, mich auch zum Beispiel.

«Bei uns kann jeder seinen Ideen nachgehen und jeder darf auch mal einen Fehler machen.»

Wie fördern Sie die Individualität Ihrer Mitarbeitenden und ihre besonderen Talente?

Bei uns können die Leute nicht gerade tun und lassen, was sie möchten, aber fast. Die Arbeitszeit können sie zum Beispiel sehr frei einteilen. Jeder kann seinen Ideen nachgehen und darf auch mal einen Fehler machen. Wenn ein Mitarbeitender von seiner Idee überzeugt ist, dann würde ich mir nie erlauben, sie ihm auszureden. Sondern ich versuche, ihm meinen Input dazu zu geben.

Was gelingt Ihnen im Hinblick auf Ihre Mitarbeitendenführung heute besser als vor zehn Jahren als Gründer?

Ich habe mehr Geduld. Vielleicht. Oder hoffentlich. Ich bin jetzt 33 Jahre alt, ichwar 23 als wir die Firma gegründet haben. Mit Mr. Green bin ich erwachsen geworden. Heute ist mein Umgang gemässigter und auch verständnisvoller.

In welche Richtung könnte sich Ihr Unternehmen entwickeln?

Müllvermeidung ist das Stichwort. Wir möchten mehr in den Reduce- und Re-use-Bereich hinein. Wenn viele Menschen Re-use-Produkte benutzen, wird Recycling überflüssig. Wir sind uns dessen bewusst und sehen darin eine Chance, unser Angebot auszubauen.

Mr. Green ist ein Recyclingdienstleister. Privat- und Geschäftskunden von Mr. Green bekommen spezielle Säcke ins Haus beziehungsweise Büro geliefert. In den sogenannten «Mr. Green Bags» können dann Wertstoffe wie zum Beispiel Plastik, Metall, Elektroschrott und Getränke­kartons unsortiert gesammelt werden. Das Team von Mr. Green holt die vollen Säcke vor der Türe ab, sortiert die Wertstoffe und führt sie dem Recycling zu. Dazu gehören auch Wertstoffe wie zum Beispiel Getränke­kartons oder Plastikfolien, die von Privatpersonen bis heute häufig noch nicht recycelt werden können. Das Unternehmen bietet Beschäf­tigung für Menschen mit Beeinträchtigungen oder schwierigem Lebenslauf. Mr. Green gibt es in Zürich, Bern, Basel, Winterthur und den zugehörigen Agglomerationsgebieten.

www.mr-green.ch

Welchen neuen Herausforderungen müssen sich Unternehmen in der Zukunft stellen?

Ich beobachte einen Trend hin zu ökolo­gischem Verhalten, Ideen für alternative Wirtschaftsmodelle wie Postwachstum tauchen öfters auf. Soziale Inklusion und bewusster Konsum werden auch eine Rolle spielen. Das sind Dinge, die für Mr. Green sprechen. Aber nur dann, wenn wir uns immer wieder neu positionieren.

Was fehlt Ihnen in der Gesellschaft von heute?

Vielleicht sollten mehr Menschen anfangen, sich nicht nur über die Arbeit zu definieren. Zugegeben, wenn ich das sage, ist das unglaubwürdig, denn die Arbeit ist ein grosser Teil meines Lebens. Aber auch ich muss umdenken. Für Unter­nehmen sind neue Modelle notwendig, um sich nicht nur einer Gewinnmaximierung unterzuordnen. Bisher musste immer alles schneller und effizienter gehen. Wir brauchen mehr Menschen, die für ihre ethischen und sozialen Werte brennen. Dann wird die Wirtschaft menschlicher. Vielleicht sind auch noch grössere Massnahmen wie alternative Wirtschaftssysteme gefragt?

Wie schauen Sie in die Zukunft?

Positiv. Wir verbinden ein Kundenbedürfnis, soziales Engagement und Ökologie, das spricht die Menschen an. Ein Abo bei uns abzuschliessen, fühlt sich für Kunden auch ein wenig wie eine Spende an. Man ist froh, bei einer guten Sache dabei zu sein. Ohne ausschliesslich auf den eigenen Nutzen zu achten. Und wir behalten neue Aufgabenfelder im Blick. Und das verstehen wir als Wirtschaft, die Zukunft hat.

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Valentin Fisler - Ganz persönlich

Wo standen Sie vor 20 Jahren?
Ich bin ein «Züri-Bueb», wie es so schön heisst. Ich war im Schulhaus Aemtler in der Sekun­darschule. Gleich ums Eck, wo wir heute unser Büro haben. Vor 20 Jahren habe ich dort wahrscheinlich einfach aus dem Fenster geschaut oder Basketball gespielt.

Hätten Sie gedacht, dass Sie 20 Jahre später mal CEO sind?
Niemals. Ich weigere mich auch ein bisschen, CEO zu sein. Es ist mir unangenehm, «on Top» mein Gesicht hervorzustrecken. Mir sind flache Hierarchien einfach sympathischer.

Haben Sie unternehmerische Vorbilder?
Wenn es um ethische und ökologische Werte geht, dann vor allem den Amerikaner und Patagonia-Gründer Yvon Chouinard. Er hat immer nach seinen Werten gehandelt. Egal, ob sich kurzfristig Gewinn eingestellt hat oder nicht. Das hat seine Marke gestärkt und sich dann in der Folge wirtschaftlich ausgezahlt.

Haben Sie einen persönlichen Superhelden?
Mr. Green, unsere Firmenfigur: Grosse Herausforderungen angehen, zum Beispiel die Welt retten und dabei immer ein wenig scheitern, mit einem Augenzwinkern – das gefällt mir.

Wie kommen Sie auf gute Ideen?
Auf Spaziergängen mit meinem Hund. Inspiration kommt eher in der Entspannung als in der Anspannung. Ob das jetzt beim Duschen, beim Wandern oder in der verlängerten Mittagspause ist.

Haben Sie ein gutes Motto?
Ja! Das Motto von Mr. Green. Es lautet: Zusammen retten wir die Welt – ein bisschen.