Verändert die Digitalisierung unsere sozialen Strukturen und unser Zusammenleben? Falls ja, wie macht sich das bemerkbar?
Da stehen wir wohl erst ganz am Anfang einer längeren Entwicklung. Was der Umgang mit dem Digitalen im Kleinen bewirken kann, sehe ich an mir selbst. Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt. Die Fähigkeit, sich auf etwas zu konzentrieren, nimmt ab. Früher konnte ich mich stundenlang in einen Roman vertiefen. Heute, wenn das Smartphone in Griffweite liegt, lasse ich mich leichter ablenken, suche ständig nach Verweisen und Quellen. Ich halte das aber nicht für den Untergang des Abendlandes. Veränderung ist ja nicht per se gut oder schlecht.
Mensch versus Maschine, wer gewinnt?
Kulturpessimismus liegt mir fern. Aber Technologie hat grundsätzlich Potenzial für eine dystopische Entwicklung. Wichtig ist, dieses Potenzial und die grösseren Fragestellungen im Auge zu behalten: Vermag die Technik die Ungleichheit zu verringern oder zu vergrössern? Dient sie nur den Wohlhabenden oder allen? Technologische Errungenschaften mögen in Demokratien ungefährlich erscheinen. Was aber bewirken sie in autoritären Regimes und Diktaturen? Die Entwicklung in China etwa, wo der gläserne Bürger fast schon Realität geworden ist, erfüllt mich mit Sorge.
Wo sind wir Robotern noch überlegen –und wie lange noch?
Da gilt es meiner Meinung nach zu unterscheiden. Künstliche Intelligenz, wie wir sie heute kennen, betrifft einzelne Fähigkeiten wie autonomes Fahren, Go spielen oder das Erledigen von Alltagsaufgaben. Von einer allgemeinen künstlichen Intelligenz, die kreative Lösungen für die unterschiedlichsten Aufgaben findet, so wie wir Menschen das können, sind wir noch weit entfernt. Auch bin ich mir nicht sicher, ob eine solche allgemeine KI aus wirtschaftlicher Perspektive überhaupt interessant wäre, ob nicht Automaten, die genau eine Aufgabe sehr gut erfüllen, ökonomisch mehr Sinn machen.
Und was bedeutet die Entwicklung der KI für die zwischenmenschliche Kommunikation?
Es gibt heute schon Anwendungen, denen wir nicht mehr trauen können: digitale Bots (automatisierte Computerskripte), Bildmanipulationen oder Videointerviews, die nie stattgefunden haben, zum Beispiel. Irgendwann wird es uns egal sein, ob zu uns ein realer Mensch spricht oder ein Roboter, der mit Selbstvertrauen und Intelligenz ausgestattet ist.
Welche Kommunikationswege bevorzugen Sie persönlich?
Am liebsten ist mir immer noch das direkte Gespräch, bei dem ich dem Gegenüber in die Augen sehen kann. E-Mails nutze ich intensiv, kenne aber auch die Schattenseiten. Es geht viel zu einfach. Die Folge ist eine Flut von Nachrichten. Telefonieren mag ich eigentlich nicht besonders, wobei: Skype finde ich wunderbar. Ich halte damit den Kontakt zu meinem Bruder, der sehr weit weg wohnt.
Viele von uns sind dauernd online und ständig erreichbar. Wie wichtig sind für Sie Offline-Oasen?
Es braucht sie – gerade weil die Verlockungen der digitalen Welt ein gewisses Suchtpotenzial aufweisen. Ich habe schon erwähnt, dass ich dafür ironischerweise eine eigene App verwende. Dass wir uns solche Oasen wünschen, deute ich als Zeichen einer Gegen-bewegung. Die ständige Erreichbarkeit wird nicht mehr vorausgesetzt. Ich lasse mir oft auch viel Zeit für das Beantworten.
«Von einer allgemeinen künstlichen Intelligenz, die kreative Lösungen für die unterschiedlichsten Aufgaben findet, so wie wir Menschen das können, sind wir noch weit entfernt.»
Macht die Digitalisierung unser Leben besser oder schlechter?
Beides. Das ist doch ganz abhängig von der jeweiligen Anwendung. «Die Digitalisierung» gibt es gar nicht, es gibt nur eine unglaubliche Anzahl an neuen Plattformen, Anwendungen, Technologien, Algorithmen. Eigentlich müssen wir sie alle einzeln bewerten. Jede neue Technologie: Ist sie sinnvoll, ist sie eventuell gefährlich, wie nutzen wir sie am besten, wie können wir die Risiken minimieren? Das sind keine Fragen, die wir für «die Digitalisierung» als Gesamtes beantworten können.
Was wiegt Ihrer Meinung nach mehr: die Risiken oder die Möglichkeiten, die mit dem digitalen Fortschritt einhergehen?
Das ist vielleicht gar nicht die richtige Frage. Der technologische Fortschritt vollzieht sich ja so oder so. Also ist die entscheidende Frage eher, wie wir damit umgehen.
Welche Entwicklung wird unser Leben in Zukunft am meisten prägen?
Prognosen mache ich nicht gern, man liegt ja oft daneben. Was wurde uns in den letzten Jahren nicht alles versprochen. Die Smart-watch oder das 3-D-Kino etwa sind Beispiele für nicht erfüllte Erwartungen. Ich würde mir wünschen, dass wir uns nicht nur mit digitalen Gadgets auseinandersetzen, sondern die grossen Herausforderungen angehen, die letztlich «alte Industrien» betreffen: Stadtentwicklung, Wohnungsbau, Energieversorgung oder Verkehr. Die Digitalisierung kann uns dabei helfen.
Sie sind Autor, Schriftsteller, Essayist, Dramaturg, Ethiker und Wissenschaftler: Was steht an erster Stelle?
Der Autor.
In welchem Umfeld ist Ihnen am wohlsten?
Zu Hause einen Abend gemeinsam mit Freunden zu verbringen.
Wert der Auszeichnungen?
Preise sind für mich nicht allein Bestätigung meiner Arbeit. Sie sind für uns Schriftsteller auch Teil des Einkommens.
Nächste Projekte?
Ich habe mehrere Essays in Arbeit und bereite meinen nächsten Roman vor. Das alles ist aber noch nicht weit genug gediehen, als dass ich darüber sprechen möchte.
Jonas Lüscher
Kurze Fragen – kurze Antworten
Falls Sie sich in 3 Hashtags beschreiben müssten, welche wären dies?
Man sollte #Menschen #nicht in #Hashtags beschreiben.
Welches ist Ihre Lieblings-App? Welche App ist aus Ihrem persönlichen oder beruflichen Alltag nicht mehr wegzudenken?
Google Maps.
Welches Hintergrundbild ist auf Ihrem Handy oder Laptop zu sehen?
Ein Foto der drei Astronauten Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins, aufgenommen zwei Wochen vor ihrem Flug zum Mond.
Was war Ihr Traumberuf, als Sie noch ein Kind waren? Warum haben Sie sich schlussendlich für diese Laufbahn entschieden?
Tiefseetaucher. Aber bald habe ich sehr viel gelesen und damit kam auch der Wunsch Schriftsteller zu werden.
Können Sie sich an Ihr erstes Handy erinnern? Welches Modell war es?
Es war ein graues Klapp-Handy. An die Marke kann ich mich nicht mehr erinnern.