Mit dem Schutz der Natur
zukunftsfähig bleiben

Text: Redaktion ceo | Bilder: Andreas Zimmermann | Magazin: Grüne Chance – November 2021

Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen am gleichen Strang ziehen, um Lebensräume für Tiere und Pflanzen zu erhalten, sagt Urs Leugger-Eggimann. Der Zentralsekretär der Naturschutzorganisation Pro Natura versucht, als Vorbild voranzugehen.

Es ist ein Tierchen, das die meisten von uns eher selten zu Gesicht bekommen. Die Gliedmassen zierlich, der Körper fragil, so erscheint der Bachflohkrebs, der im Zentralsekretariat von Pro Natura in Basel überlebensgross auf einem riesigen Plakat an der Wand zu sehen ist. 2021 ist der Gliederfüsser von den Naturschützern als Tier des Jahres ausgewählt worden, eine von zahlreichen bedrohten Arten im Land, für deren Erhalt und Schutz sich die Organisation Pro Natura einsetzt.

Urs Leugger-Eggimann, ihr Zentralsekretär, weiss um die Bedeutung solcher Beispiele. Der Biber, der sich seine Lebensräume an vielen Gewässern der Schweiz seit Jahren zurückerobert, und der Bartgeier, dessen Auswilderung eine Erfolgsgeschichte ist, sind andere Sympathieträger, die exemplarisch für die Arbeit von Pro Natura stehen. «Aufs Ganze gesehen bleiben solche Erfolgsgeschichten im Artenschutz aber leider Einzelfälle», sagt der ausgebildete Biologe Leugger. Auch mit Feldhasen, Spechten, Wildbienen und Fröschen, von denen es immer weniger gibt, wirbt der Verein für die Sache der Natur.

Über Natur- und Umweltschutz werde in der Gesellschaft wieder breiter diskutiert, eine an sich erfreuliche Entwicklung. «Die Dringlichkeit des Themas wird zunehmend erkannt». Auf der anderen Seite müsse man zur Kenntnis nehmen, dass die Schweiz in Bezug auf den Schutz der natürlichen Lebensräume anderen Ländern hinterherhinke, sagt der Geschäftsführer. 1992 hat die Schweiz die Biodiversitäts-Konvention unterzeichnet, die eine Verpflichtung zur Unterschutzstellung von 17 Prozent der Landesfläche enthält. Von diesem Ziel sei unser Land heute noch weit entfernt. Im Vergleich mit den in der OECD vereinigten Industrienationen stehe die Schweiz als Schlusslicht da, mit dem höchsten Anteil an bedrohten Arten und dem niedrigsten Anteil an ausgewiesenen Schutzgebieten. Auch die Vereinten Nationen hätten der Schweiz diesbezüglich kein gutes Zeugnis ausgestellt, sagt Leugger.

Pro Natura ist mit rund 170’000 Mitgliedern eine der grössten Naturschutzorganisationen in der Schweiz. Als privater gemeinnütziger Verein mit Zentralsekretariat in Basel und Sektionen in allen Kantonen setzt sie sich für den Erhalt der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt ein und vertritt als Anwältin der Natur deren Interessen. Pro Natura engagiert sich in der Umweltbildung und fördert Projekte zum Schutz gefährdeter Arten und Lebensräume. Gegründet 1909, betreut sie mehr als 700 Naturschutzgebiete im ganzen Land und betreibt ein Dutzend Naturschutzzentren. Auf Initiative von Pro Natura wurde der bisher einzige Nationalpark der Schweiz geschaffen.

www.pronatura.ch

Leben auf zu grossem Fuss

Bei den Behörden, namentlich im Bundesamt für Umwelt, sei dies durchaus bekannt, im Gegensatz zur breiten Bevölkerung. Die gesetzlichen Grundlagen für den Schutz wären eigentlich gegeben, doch der Druck auf die Umwelt nehme weiter zu. «Wir leben auf zu grossem Fuss», sagt der Naturschützer mit Blick auf wachsende Ansprüche und divergierende Nutzungsinteressen. Die intensive Landwirtschaft, die Zersiedelung der Räume und die Versiegelung des Bodens würden die Lebensräume für Flora und Fauna bedrohen. «Manche gehen leider unwiderruflich verloren», beklagt Leugger.

Umso wichtiger sei es, mit Aufklärung, Umweltbildung und ständiger Kommunikationsarbeit die Menschen für das Thema zu sensibilisieren. Exkursionen mit Schulklassen, Bildungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer, Ausbildungsgänge für Naturpädagogen oder Lehrmittel für alle Altersstufen sind Elemente dieser Arbeit, die Leugger mit seinem über 100-köpfigen Team am Hauptsitz in Basel und in den beiden Naturschutz-Zentren Aletsch und Champ Pittet leistet. Etwa ebenso viele Beschäftigte sind in den 23 kantonalen Sektionen tätig. Die Zahl der Ehrenamtlichen beträgt gegen 3000.

Schaffung des Nationalparks als Pioniertat

Finanziert wird die Tätigkeit durch Mitgliederbeiträge, Spenden und Legate sowie die besondere Unterstützung von etwa 27’000 Gönnerinnen und Gönner. Hinzu kommen Beiträge der öffentlichen Hand für konkrete Leistungsaufträge. Zu diesen zählen die Betreuung und Pflege von Naturschutzgebieten. «Solche Schutzgebiete sind die Perlen für unsere Biodiversitätskette», sagt Urs Leugger. Derzeit trägt die Organisation die Verantwortung für etwa 740 grosse und kleine Gebiete im ganzen Land, von denen sie einen Teil auch selbst besitzt und so dauerhaft unter Schutz stellen kann. Hinzu kommen Landschaftsschutzgebiete und Naturobjekte wie Höhlen oder Tümpel. Eine besondere Bedeutung kommt dem Schweizerischen Nationalpark im äussersten Südosten des Landes zu. Pro Natura, damals Schweizerischer Bund für Naturschutz, wurde im Jahr 1909 mit dem alleinigen Zweck gegründet, diesen ersten Nationalpark im Alpenraum zu ermöglichen. Insgesamt umfassen die 900 Reservate, die sich Pro Natura unterdessen für bestimmte Naturschutzziele sichern konnte, eine Fläche von 737 Quadratkilometern.

Urs Leugger-Eggimann (57) ist Geschäftsführer von Pro Natura und leitet das Zentralsekretariat der Organisation. Er hat Biologie und Geografie studiert und ein Nachdiplomstudium in betriebswirtschaftlichem Management für Nonprofit-Organisationen absolviert. Für den Naturschutz engagiert sich der 57-Jährige seit seinen Jugendjahren. Leugger arbeitet seit mehr als 20 Jahren für Pro Natura. Er ist Vater von zwei erwachsenen Kindern und lebt mit seiner Frau in Arlesheim BL.

Strategische Aufgabe

Dass sich auch die Wirtschaft vermehrt dem Thema Nachhaltigkeit zuwendet, sieht Urs Leugger als positiv an. Wichtig sei, dass die Unternehmen nicht nur in ihrem eigenen Verantwortungsbereich nach Verbesserungen suchen. «Nötig ist, sämtliche Prozesse und die gesamte Wertschöpfungskette auf Umwelteinflüsse zu überprüfen», sagt er. So würden die Verantwortlichen erkennen, wo es überall noch «Luft nach oben» gibt.

Basis dafür sei, dass in den Verwaltungsräten und im Management entsprechende strategische Weichen gestellt und verbindliche Ziele gesetzt werden. Erst dann gelinge auch auf den nachgelagerten Ebenen die konkrete Umsetzung. Überprüfen lasse sich das Erreichen der Ziele mit einem umfassenden Controlling. Es diene zudem als Grundlage für ein Nachhaltigkeits-Reporting, welches immer mehr Firmen publizieren. «Diese Transparenz ist wichtig, sowohl für die Unternehmen selbst als auch für die Zivilgesellschaft und die Behörden», sagt Leugger.

«Firmen, die heute bei der Nachhaltigkeit vorangehen, verschaffen sich einen Wettbewerbsvorteil.»

Im Dialog mit Unternehmen

Pro Natura sucht aktiv den Austausch mit Unternehmen und ihrer Führung. Wo es geht, nehme man auch Einfluss. Als ein Beispiel nennt Leugger den Verkauf von nicht standortgerechten Pflanzen, sogenannten Neophyten, in Gartencentern. «Wir haben im Dialog zu überzeugen versucht, dass es auch ohne solche Pflanzen im Sortiment geht, die eine wichtige Ursache für den Rückgang der Biodiversität sind, berichtet der Zentralsekretär. Bei weitergehenden Kooperationen mit einzelnen Firmen ist Leugger eher zurückhaltend. «Wenn wir Anzeichen für ein ‹Greenwashing›, also vor allem Marketingziele dahinter sehen, sehen wir von einer engen Zusammenarbeit lieber ab.»

Die Herausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte, die sich für die Wirtschaft und Zivilgesellschaft im Umweltbereich ergeben, seien gewaltig. Davon ist der promovierte Biologe überzeugt. Umweltschädliches Verhalten werde zunehmend den Verursachern belastet. Die Ansprüche der Gesellschaft an die Unternehmen würden weiter steigen. «Firmen, die heute vorangehen, verschaffen sich einen Wettbewerbsvorteil», ist Leugger überzeugt. Das gelte insgesamt auch für die Schweiz als Volkswirtschaft.

Zukunftsfähig bleiben

Dass die Schweizer Stimmbevölkerung im Juni 2021 das CO2-Gesetz abgelehnt hat, hinter dem auch grosse Teile der Wirtschaft standen, findet Leugger höchst bedenklich. «Doch jetzt den Kopf in den Sand zu stecken, ist keine Option». Es sei auch für die Privatwirtschaft unabdingbar, effizienter zu werden und nach Innovationen zu suchen, die weniger Energieeinsatz erfordern. Klimaschutz und der Erhalt der Biodiversität sollten Teil der Agenda sein. Nur so könne man zukunftsfähig bleiben.

Als Organisation müsse Pro Natura selbst vorbildlich agieren, sagt ihr operativer Chef. Am Sitz des Zentralsekretariats in Basel, untergebracht in einer ehemaligen Gewerbeliegenschaft im Gundeldinger Quartier, sind Pflanzen ein dominantes Einrichtungsmerkmal. Wie in einem Biotop grünt es in und vor den Büros der Angestellten. Nachhaltigkeit vorzuleben bedeute, darauf zu achten, was und wie man konsumiere und sich fortbewege, sagt Leugger. «Wie sich unser Verhalten im Alltag auf die Umwelt auswirkt, ist ein ständiges Thema bei uns.»

«Wie sich unser Verhalten im Alltag auf die Umwelt auswirkt, ist bei uns ein ständiges Thema.»

Glaubwürdigkeit als Kapital

Glaubwürdigkeit gehöre zum Kapital einer Nichtregierungsorganisation, betont ihr Geschäftsführer. Dieses Kapital werde auch für die politische Arbeit benötigt. Als Anwältin der Natur, als die man sich versteht, beteiligt sich Pro Natura am Gesetzgebungsprozess, macht Eingaben bei Vernehmlassungen und lanciert mit anderen Gruppierungen Initiativen und Referenden. Sorgsam nutzt pro Natura zudem das Verbandsbeschwerderecht. Eine hohe Erfolgsquote zeigt laut Leugger, dass man mit diesem wichtigen Recht sorgsam umgehen würde. Er glaubt, dass diesbezüglich die Bedeutung der Nichtregierungsorganisationen weiter zunehmen werde. «Die Zivilgesellschaft verlangt das von uns.» Wichtige Schwerpunkte der Arbeit von Pro Natura bleiben aber der praktische Naturschutz, wie er in den Schutzgebieten geleistet wird, und die Umweltbildung.  

Hoffnung machen Leugger die erneuerten Zielsetzungen der Regierung in Bern. Dass der Bundesrat die «Sustainable Development Goals» der Vereinten Nationen unterzeichnet habe und darauf basierend in diesem Sommer seine Strategie für Nachhaltige Entwicklung 2030 verabschiedet, sei ein gutes Zeichen. Damit habe sich die Schweiz völkerrechtlich verbindliche Ziele für eine nachhaltige Entwicklung bis 2030 gesetzt. Festgeschrieben ist so unter anderem der Schutz der Vielfalt der Arten an Land und im Wasser – und damit ein Kernanliegen von Pro Natura. Zugute käme dies wohl auch dem kleinen Bachflohkrebs und seinem bedrohten Lebensraum.

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Urs Leugger-Eggimann – Ganz persönlich

Welches persönliche Ziel möchten Sie erreichen?
Der familiären, beruflichen und gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden, ist nicht immer einfach. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, meine Work-Life-Balance zu verbessern und meine Rolle als Familienmensch zu stärken.

Wie nachhaltig leben Sie als Privatperson?
Wo immer es geht, versuche ich, die Prinzipien der Nachhaltigkeit zu befolgen, sei es bei der Mobilität oder beim Konsum. Ich fahre leidenschaftlich gern Velo und benutze den öffentlichen Verkehr, wir leben ohne Auto und Flugreisen kommen gar nicht in Frage. Beim Einkaufen überlege ich stets, ob ich das wirklich brauche, achte auf ökologische und sozial faire Produktion. Nahrungsmittel kaufe ich vorzugsweise aus der Region und mit Bio-Label. Fleisch konsumieren wir massvoll.

Was hat Sie die COVID-19-Pandemie gelehrt?
Lieb gewonnene Gewohnheiten wurden auf einmal in Frage gestellt. Die Pandemie hat uns allen gezeigt, wie verletzlich wir letztendlich sind und dass wir auch mit vermeintlich Selbstverständlichem sorgsamer umgehen sollten.

Hat sich durch die Pandemie etwas für Sie nachhaltig verändert?
Haupterkenntnis ist, dass nicht alles selbstverständlich ist, was uns gegeben wird. Umso mehr müssen wir dem Sorge tragen.

Welche Vision haben Sie für die Welt von morgen?
Dass die Menschheit lernt, die grossartige Vielfalt der Natur zu schätzen und zu bewahren, und begreift, dass wir sie mit unserem Planeten lediglich teilen und sie die Basis für eine gesunde Zukunft für uns alle ist. Eine gesunde Zukunft für die Menschheit und ein gesunder, artenreicher Planet gehen Hand in Hand.