«Natürlich waren wir nach so viel Kritik und Skepsis auch selbst verblüfft über den grossen Erfolg»

Text: Marah Rikli | Bilder: www.foto-shooting.ch | Magazin: Aus Mut gemacht – Oktober 2022

Im Gespräch mit ceo Magazin erzählen die drei Medienfrauen Patrizia Laeri, Nadine Jürgensen und Simone Züger, wie sie den Mut für ihr Unternehmen elleXX fassten.

Patrizia Laeri, Nadine Jürgensen, Simone Züger, Sie haben im Jahr 2021 mit Ihrem Unternehmen elleXX eine neue Finanz- und Medienplattform gegründet. Was hat Sie dazu motiviert, diesen Schritt zu wagen?

Patrizia Laeri: Den endgültigen Schritt auf den Markt wagten wir, als wir mit drei verschiedenen Unternehmen Kooperationen ausgehandelt hatten. Gleich drei Kooperationen, das war für viele in der Branche ein Überraschungs-Coup. Jede von uns hatte in der Gründungsphase aber auch ihre sehr individuelle Motivation. Ich habe zwei Dekaden über Frauen und Finanzen berichtet, gleichzeitig als Wirtschaftsjournalistin viele Businesspläne von FinTechs und neuen digitalen Plattformen gewälzt und als Beirätin des Institute for Digital Business viel Digital-Kompetenz aufbauen können. Ich war bereit für Innovation. Als Journalistinnen berichteten Nadine Jürgensen und ich zudem immer wieder über Themen wie Gleichstellung oder Frauen und Finanzen. Wir beschrieben immer wieder von neuem die Probleme, waren jedoch nie Teil der Lösung. Nun wollten wir Teil der Lösung sein.

Simone Züger: Bei mir war es in der Gründungsphase eine Kombination aus eigenen Erfahrungen und einer inneren Haltung: Einerseits hatte ich in Zürich bereits eine Initiative lanciert, um Frauen in der Kreativwirtschaft zu vernetzen, und war im Vorstand von Medienfrauen Schweiz – eine gleichberechtigte Gesellschaft war schon lange mein grosser innerer Antrieb. Als Unternehmerin und Künstlerin machte ich andererseits aber die Erfahrung, dass ich keine passenden Vorsorgelösungen fand, die mir entsprachen. Ich wollte eine frauenfreundliche, soziale und nachhaltige Lösung. Zudem fühlte ich mich von der Tonalität der Finanzwelt nie angesprochen. Mit elleXX bot sich mir die Chance, anderen Frauen in ähnlichen Situationen konkrete und ansprechende Lösungen anzubieten – das hat mich sehr motiviert, diesen Schritt zu wagen.

Nadine Jürgensen: Mir erging es ähnlich. Schon vor elleXX habe ich mich für Vorsorgefragen, die öffentliche Präsenz und die Unabhängigkeit der Frauen eingesetzt. Je länger ich dies tat, desto mehr empfand ich es als erdrückend, die Zahlen zu kennen und dennoch nichts dagegen zu tun. 56 Prozent der Frauen in der Schweiz können nicht für sich selbst sorgen, die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen beträgt 37 Prozent und in der zweiten Säule erhalten Frauen gar 60 Prozent weniger Rente als Männer. Mit elleXX kann ich aktiv etwas zum Positiven verändern. Meine Motivation für die Gründung lag sehr stark darin, die Frauen in ihrer Unabhängigkeit zu ermächtigen.

Die drei Unternehmerinnen (v. l. n. r.) Patrizia Laeri, Nadine Jürgensen und Simone Züger gründeten im Jahr 2021 die erste Finanz- und Medienplattform für Frauen in der Schweiz. Mit ihrem Unternehmen elleXX haben sie sich dem Motto «Close the Gaps!» verschrieben. Die Unternehmerinnen bilden bei elleXX Frauen in Finanzwissen weiter und bringen, wie sie sagen, Inhalte und Investieren zusammen. Das Ziel von elleXX ist es, Frauen zu bereichern und die finanzielle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern nachhaltig in Richtung Gleichstellung zu bringen.

www.ellexx.com

Bereits wenige Monate nach der Lancierung erreichten Sie Ihr Jahresziel. Was macht Ihren Erfolg aus?

Züger: Unser Corporate Design spricht viele Frauen an und macht sicherlich einen Teil des Erfolgs aus. Mir ist es ein grosses Anliegen, Emotionen in die digitale Welt zu überführen und Finanzthemen so zugänglicher zu machen. Mit elleXX wollen wir die Frauen sowohl in der Tonalität ansprechen als auch ihren hohen Ansprüchen an Design und Ästhetik gerecht werden.

Jürgensen: Einen anderen Teil des Erfolgs bewirkt auch unsere Content-Strategie. Wir sind nicht nur eine Finanz-, sondern auch eine Medienplattform. Ich habe viele Jahre als News-Journalistin gearbeitet. Die Themen, für die ich mich einsetze, wie Gleichstellung, Feminismus oder Care-Arbeit, waren jedoch nie auf Top 1. Die Redaktionen ignorieren nach wie vor weitgehend, welche Themen Frauen beschäftigen und dass die Leserinnen ernst genommen werden wollen. Frauen wollen nicht nur «Frauenmagazine» lesen oder darüber, wie sie sich schön anziehen oder abnehmen sollen.

Sie halten mit elleXX thematisch dagegen?

Jürgensen: Ja. Wir bilden Frauen mit elleXX nicht nur in Finanzwissen weiter, wir berichten auch über Gesellschaftsthemen, über Kultur, Karriere und Nachhaltigkeit. Dabei vertreten wir durchaus eine mutige und feministische Haltung. Unsere Autorinnen thematisieren zum Beispiel die negativen Konsequenzen eines Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen, ob es einen Menstruationsurlaub braucht oder warum Frauen im Literaturbetrieb weniger Chancen haben als Männer. Das spricht viele Frauen an.

«Wir beschrieben immer wieder von neuem die Probleme, waren jedoch nie Teil der Lösung. Nun wollten wir Teil der Lösung sein.»

Hat Sie Ihr eigener Erfolg eigentlich überrascht?

Laeri: Ich schrieb die ersten Businesspläne zu elleXX im Jahr 2017 und 2018. 2019 erarbeitete ich mit Simone Züger dann das erste Pitch Deck. Basierend darauf stellten wir die Idee mit elleXX möglichen Investor:innen vor. Immer wieder hiess es, dass unser Unterfangen niemanden interessiere und es keinen Markt dafür gäbe. Wir wurden sogar ausgelacht. Natürlich waren wir nach so viel Kritik und Skepsis auch selbst verblüfft über den grossen Erfolg: elleXX hat innerhalb von fünf Monaten 25’000 Followerinnen gewonnen, damit sind wir in der Schweiz bereits jetzt die grösste «Female Finance Community» und haben bestehende Finanzportale und -medien überholt.

Sie sind drei Gründerinnen, keine Einzelkämpferinnen. Warum waren Sie sich sicher, dass Sie zusammen ein Team gründen möchten?

Laeri: Es war sicherlich ein Prozess. Simone lernte ich an einem Medienfrauen-Anlass kennen. Ich fand ihre präsentierte Visualisierung sehr ansprechend und treffend. Als ich ihr von meiner Idee erzählte, war sie die Erste, die sofort verstanden hat, worum es geht. Nadine Jürgensen und ich waren schon lange «Partnerinnen in Crime» und kannten uns gut, wir hatten also bereits eine Vertrauensbasis. Ich würde niemandem empfehlen, eine Firma im Alleingang zu gründen. Es zahlt sich aus, sich zu verbinden und gegenseitig zu stärken und zu ergänzen. Ausserdem finde ich die Zahl drei in Bezug auf Demokratie ideal, so greift das Mehrheitsrecht.

Züger: Jede von uns ist Profi in ihrem Fachgebiet und bringt jahrelange Erfahrung und Expertise mit. Wir vereinen unterschiedliche Disziplinen, ergänzen uns in Content und Design, was viele Vorteile bringt. Sehr verbindend ist auch unsere gemeinsame Vision.

Was Sie in Bezug auf Ihre Gründung und Ihre Vision beschreiben, läuft heute unter «Purpose». Hilft Ihnen das?

Züger: Einen «Purpose» zu haben, ist sicherlich hilfreich. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass die Dinge gut ausgehen, wenn Leidenschaft, Neugierde und Hingabe das Fundament bilden. In meiner Karriere zeigte sich dann aber immer wieder: Es zahlt sich aus, den Mut aufzubringen und auf die eigene Leidenschaft und den «Purpose» zu setzen.

Jürgensen: Für mich heisst Erfolg auch, nicht nur im Jetzt erfolgreich zu sein, sondern unter Umständen für die nächsten Generationen etwas zu verändern, etwa für die Generation meiner Töchter. Das ist sicherlich ein Teil meines «Purpose» bei elleXX. Meine Neunjährige schrieb mir letztens auf einen Zettel: «Liebe Mami, es ist gut, dass du dich so für die Rechte der Frauen einsetzt. So werden die Frauen vielleicht mehr Rechte haben, wenn ich 20 bin.» Nachhaltig etwas zu bewirken, ist ein starker Antrieb in mir, der mir bestimmt auch beim Erfolg hilft.

Patrizia Laeri ist Ökonomin und preisgekrönte Wirtschaftsjournalistin. Ausserdem wurde sie mit dem Digital Female Leader Award ausgezeichnet. Nadine Jürgensen ist Anwältin und langjährige Polit- und Gesellschaftsjournalistin. Sie ist Co-Präsidentin der Bewegung WE/MEN, die sich für mehr Frauen in der Öffentlichkeit einsetzt. Simone Züger ist Designerin, Künstlerin und Unternehmerin und führt ihr eigenes Design-Studio. Sie engagiert sich als Jurorin und ist Gastdozentin an diversen Hochschulen im In- und Ausland. Sie ist Vorstandsmitglied von Medienfrauen Schweiz.

Nachhaltigkeit ist elleXX sehr wichtig. Was bedeutet nachhaltig in Bezug auf Frauen und Finanzen?

Laeri: Frauen wollen nicht einfach nur dort investieren, wo es grosse Gewinne gibt, sie wollen mit ihrem Geld auch etwas Gutes bewirken und daher nachhaltig investieren. 92 Prozent der Frauen finden nachhaltiges Investieren wichtig (BNY Mellon 2021). Orientierung dabei schaffen die ESG-Kriterien für Unternehmen. ESG steht für Environment, Social und Governance, also für betriebliche Standards betreffend Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Studien zeigen, dass Frauen nachhaltiger investieren als Männer. Je mehr Frauen also bereit sind, Gelder zu investieren, desto wichtiger wird das Thema Nachhaltigkeit. Man könnte somit auch den Umkehrschluss ziehen: Je mehr Frauen investieren, desto mehr setzen die Firmen auf Nachhaltigkeit – und das ist gut!

«Es braucht Mut, selbst zu handeln, und den Ehrgeiz, sich Fachwissen anzueignen.»

Jürgensen: Nachhaltig investiertes Geld kann enorm viel bewirken. Stellen wir uns mal vor, was für grosse Hebel in Bewegung gesetzt werden könnten, würde das gesamte investierte Volksvermögen aus 3a und Pensionskasse in nachhaltige Investments fliessen. Dann hätten wir auf jeden Fall eine bessere Welt. Wir sprechen immer über nachhaltigen Konsum, nachhaltige Investitionen können jedoch viel mehr bewirken.

Sie sagen aber auch, Frauen haben Aufholbedarf in Sachen Investitionen. Warum sind Frauen zurückhaltender im Investieren?

Züger: Die Ansprache in Bezug auf Investmentprodukte richtet sich immer noch primär an Männer. Auch der Finanz-Jargon schreckt viele Frauen ab. Daher finden die Frauen viel weniger Zugang zum Thema Anlagen und Investitionen. Untersuchungen zeigen auch: Vielen Frauen fehlt der Mut, weil sie sich nicht kompetent genug fühlen. Etwa ein Drittel traut sich nicht, einen Teil ihres eigenen Geldes anzulegen. Es geht also auch um Finanzwissen – das wiederum kann aber vermittelt werden.

Laeri: Es fehlt den Frauen immer noch an Vorbildern, ich spürte das schon während meiner Studienzeit. Es gab sehr wenig Frauen in der Wirtschaft, Gründerinnen schon gar nicht. Ich konnte also nicht in ein Netzwerk eintreten und mir Rat abholen. Es braucht daher den Mut, selbst zu handeln, und den Ehrgeiz, sich das Fachwissen anzueignen. Laut dem «American Institute for Economic Research» hat das Phänomen auch mit Erziehung und Bildung zu tun. Es gibt zum Beispiel einen nachgewiesenen Gender-Gap beim Finanzwissen und Taschengeld: Mädchen erhalten weniger Sackgeld als Jungs.

Jürgensen: Finanzen sind für Frauen immer noch ein eher neues Thema. In der Schweiz darf eine verheiratete Frau erst seit 35 Jahren ein eigenes Bankkonto führen und ohne Erlaubnis des Ehemannes erwerbstätig sein, irgendwie verständlich, dass es noch Aufholbedarf gibt. Die Frauen haben schon sehr viel erreicht, sie werden auch mutiger werden in Sachen Investitionen, davon bin ich überzeugt.

Patrizia Laeri, Nadine Jürgensen und Simone Züger – Ganz persönlich

Beim Begriff «Mut» denke ich als Erstes an …
Jeanne d’Arc. (Patrizia)

Mut hat für mich die Farbe …
Rot. (Nadine)

Mein Mut-Vorbild ist …
Lou Andreas-Salomé, die wie wenige ihrer Zeit (19. Jh.) ein ganz und gar eigenständiges Leben führte. (Simone)

Dieses Tier verkörpert meinen persönlichen Mut am besten …
der schwarze Panther. (Simone)

Wer mutig entscheiden will, muss …  
den schwierigen ersten Schritt wagen. (Nadine)