Reden ist Gold

Text: Redaktion ceo Magazin | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Vertrauen in der Gesellschaft – September 2019

 

Gäbe es so etwas wie den Schweizer Vertrauenspreis, hätte Beatrice Tschanz ihn gewonnen. Vielleicht mehrmals, sicher aber im Jahr 1998. Damals stürzte die Swissair MD-11 auf dem Flug von New York nach Genf vor der kanadischen Ostküste ab, alle 215 Passagiere und die 14 Besatzungsleute starben. Eine menschliche Katastrophe, das zuallererst, aber ebenso eine unternehmerische. Beatrice Tschanz war damals Kommunikatonsverantwortliche der Swissair. Was sie in den Stunden, Tagen, Wochen, Monaten nach dem Absturz geleistet hat, blieb allen in Erinnerung, die das Ereignis mitbekommen hatten.

«Alle Statistiken sagen, dass nach einem Absturz die Buchungen um 40 Prozent zurückgehen», sagt die Zürcherin, «aber das Unglaubliche bei der Swissair war: Wir hatten keine einzige Stornierung.» Sie wirkt auch heute, über 20 Jahre später, noch beeindruckt vom Vertrauen, welches die Nation in ihre Airline hatte.

Wir treffen uns in der Goethe Bar, Beatrice Tschanz’ feste, klare Stimme hat keine Mühe, die Kaffeehaus-Geräuschkulisse aus klapperndem Geschirr und Stimmengewirr zu übertönen. Wie hat sie es geschafft,
dass die Swissair-Kunden dem Unternehmen das Vertrauen nicht entzogen? «Wir sagten bereits am zweiten Tag, dass wir jeden gesicherten Fakt herausgeben werden», erinnert sich Tschanz. «Das war ein Paradigmen­wechsel.» Bis dahin galt in solchen Fällen: Schweigen. Mauern. Herauszögern. Nur zugeben, was einem nachgewiesen wird. «Wir haben es genau umgekehrt gemacht. Das haben die Kunden gemerkt.» Die SAir-Juristen hingegen waren alles andere als erfreut und fürchteten noch mehr Schaden­ersatz­forderungen. Aber Tschanz war überzeugt von ihrer Strategie der Offenheit – zu Recht, wie sich zeigte.

Von der verbreiteten «Salamitaktik» hingegen hält die Kommunikationsfachfrau nichts. «Man hat schon so oft gesehen, dass es überhaupt nichts bringt – im Gegenteil.» Die Geschichte ist voll von solchen Beispielen. Oft haben sie mit Umweltverschmutzung zu tun wie bei Deepwater Horizon oder sexuellem Missbrauch wie in der katholischen Kirche oder der Hilfsorganisation Oxfam. Für die Schweiz nennt Tschanz den Fall UBS und ihren ehemaligen Verwaltungsratspräsidenten Marcel Ospel. Beim Abgasskandal des deutschen Volkswagen-Konzerns wurde die Schweizerin in «Teilbereichen», wie sie sagt, als Beraterin angefragt:

«Ich empfahl dem damaligen VW-Konzernchef Martin Winterkorn, hinzustehen und die Verantwortung zu übernehmen.»

Sie hebt seufzend die Augenbrauen: «Aber das konnte man vergessen. Und heute wissen wir, wohin es geführt hat.»

Beatrice Tschanz

Die Zürcherin (1944) studierte Geschichte und Sprachen und begann ihre Karriere als Journalistin, bis sie 1987 in die Kommunikation wechselte und verschiedene Leitungsfunktionen innehatte. Von 1997 bis kurz nach dem Grounding der Swissair 2001 war sie Kommunikationschefin der SAirGroup. Von 2001 bis 2003 war sie in derselben Funktion bei Sulzer Medica Centerpulse, wo sie auch Mitglied der Geschäftsleitung wird. Danach machte sie sich als Kommunikationsberaterin selbständig. Sie ist Ver­waltungs­ratspräsidentin der Oase Holding Wohnen im Alter und als persönliche Beraterin tätig. Bis Ende 2019 ist sie noch Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Weltraumfragen (EKWF). Beatrice Tschanz ist verheiratet und lebt in Jona bei Rapperswil.

«Ein solches Vertrauen macht einen irrsinnig stark.»

Diese Offenheit hat Beatrice Tschanz in der Familie gelernt. «Mein Vater sagte mir und meiner Schwester: ‹Wenn ihr etwas ausgefressen habt, dann kommt ihr nach Hause, und wir reden darüber.› Ein solches Vertrauen macht einen irrsinnig stark.» Was das bedeutet, hat sie bei Freundinnen gesehen, an denen ständig herumgemäkelt worden sei und denen man nichts zugetraut habe. «Sie konnten das erst viel später im Erwachsenenleben aufbauen. Ich hingegen bekam das von klein auf in Riesenportionen mit.»

Aufgewachsen ist die Kommunikationsfachfrau am Zürichberg. Streng sei der Vater gewesen, meint sie, aber immer gerecht. Trotzdem spürte sie den Wunsch, auszubrechen. Nach Brasilien wollte sie. Als Studentin der Geschichts- und Sprachwissenschaften las sie immer die Stellenanzeigen in der «Neuen Zürcher Zeitung». Eines Tages suchte dort die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) für eine kleine neue Aussenstelle in Brasilien einen Assistenten. «Natürlich wollten die einen Mann, aber ich fand: Das ist mein Job!» Statt eine schriftliche Bewerbung einzureichen, ging sie zum Hauptsitz der Bank und dort direkt ins Büro des Direktors der Auslandvertretung. «Er fand mich ganz schön frech, aber irgendwie frass er den Narren an mir.» Natürlich war auch der Vater zuerst empört. «Dann hörte er ‹SBG› und fand: ‹Das packst du.›» 14 Tage später sass Beatrice Geiser, wie sie damals noch hiess, im Flieger nach Brasilien. Statt mit dem Stenoblock das Diktat des Chefs abzunehmen, reiste sie mit Schweizer Investoren durchs Land. «Die haben mir einfach vertraut», sagt sie. «Das hat mich natürlich angespornt, es möglichst gut zu machen.»

«Die haben mir einfach vertraut. Das hat mich natürlich angespornt, es möglichst gut zu machen.»

Als sie nach zwei Jahren zurückkehrte, begann ihre Karriere als Journalistin. 18 Jahre war sie bei Ringier. Doch «alt werden» wollte sie nicht in dem Beruf und nahm darum Michael Ringiers Angebot an, Kommunikationschefin des Unternehmens zu werden. Die entsprechende Weiterbildung in Berkeley finanzierte Ringier. «Eine Zeitung braucht eigentlich keine Kommunikationsabteilung», meint Tschanz, «aber für mich war es eine ideale Möglichkeit, zu üben.»

Fehler habe sie da gemacht! Zum Beispiel mit Beerdigungsmiene die Einstellung des Frauen-«Blicks» verkündet oder mit Begeisterung die Beteiligung an der ersten «Stop Aids»-Kampagne des Bundes. «Voll falsch!», ruft Tschanz und lacht. «Später zeigte ich jeweils Videoaufnahmen dieser Pressekonferenzen meinen Mitarbeitenden als Negativbeispiel.»

Doch wer Fehler machen darf, wird stärker und gewinnt mehr Selbstvertrauen – die Basis dafür, dass andere einem etwas zutrauen. Beatrice Tschanz hat auch bei ihrem nächsten Arbeitgeber, der Jelmoli AG, davon profitiert. Dort erlebte sie ihre erste schwierige berufliche Situation: den Abbau ihres 157-köpfigen Teams.

«Das war hart. Aber ich lernte: Man muss klar und ehrlich kommunizieren, nicht mitleidig und mit falschen Versprechungen.»

Denn das gelte immer: Kommunikation ist wichtig, aber damit ist noch nichts getan. Kommunikation ist erst dann authentisch, wenn danach auch gehandelt und eingehalten wird, was kommuniziert wurde.

Mit diesem Grundsatz erlangte sie als SAir-Kommunikationschefin internationale Bekanntheit. Nach dem Grounding der Swiss­air 2001 wurde sie von Sulzer Medica an Bord geholt. Der Konzern befand sich gerade in einer tiefen Krise: In den USA waren verschmutzte Hüftgelenke verkauft worden, es lagen millionenschwere Sammelklagen vor. Für Tschanz war es eine Herausforderung – und ein Karriereschritt: Sie kam in die Konzernleitung.

Doch so strahlend ihre Karriere war, die Kommunikationsspezialistin erlebte auch schwere Momente. Etwa als sie erfuhr, dass sie keine eigenen Kinder bekommen konnte. Als sie 1985 an Krebs erkrankte. Als sie mit Ende 50 nach 25 Jahren Ehe ihren ersten Mann verlor. Als Sulzer Medica 2003 verkauft wurde, sie eine hohe Abgangsentschädigung erhielt und als «Abzockerin» kritisiert wurde – obwohl die Summe viel tiefer war als jene, die ihre Kollegen erhielten. «Aber ich wusste immer, dass es weitergeht», sagt sie, «und da hat mir das Fundament, das ich von zu Hause mitbekommen habe, wesentlich geholfen.»

Als wir uns verabschieden und sie ihre Jacke holt, wird sie von Tischnachbarn angesprochen. Sie antwortet herzlich. «Das passiert mir bis heute», sagt sie anschliessend lachend, «dass mich fremde Leute grüssen.» Vertrauen wächst langsam, es ist schnell verspielt, aber gut gehegt, kann es offensichtlich lange halten.

Beatrice Tschanz persönlich

Ihr Grundsatz?
Man ist stärker, als man selber denkt. Vor allem Frauen trauen sich oft zu wenig zu, das ist schade.

Wo machen Sie am liebsten Ferien?
Mein Wohlfühlort ist Sardinien. Ich liebe die Wildheit, gepaart mit wunderbaren Orten und Buchten. Das Meer ist ganz wichtig, schliesslich bin ich ein Wassermensch. Ausserdem geht auf Sardinien immer ein Lüftchen, das mag ich sehr, und man kann hervorragend essen.

Welches Ziel wollen Sie dieses Jahr erreichen?
Wieso eines? Ich habe immer eine ganze Reihe von Zielen. Dieses Jahr zum Beispiel ...