Sprung ins Unbekannte

Text: Olivia Kinghorst | Bilder: www.foto-shooting.ch | Magazin: Aus Mut gemacht – Oktober 2022

Petra Ehmann hat einen vielseitigen Werdegang: Sie ist digitale Führungskraft, Weltbürgerin, Botschafterin für Vielfalt und Ingenieurin in einem. Trotzdem: Es gibt einen roten Faden in ihrer Arbeit. In jeder Rolle stellt sie den Status quo infrage. Ehmann erzählt, woher ihr Mut für diesen Weg kommt.

Petra Ehmann ist Deutsche und lebt in der Schweiz, aber ihre Geschichte beginnt tatsächlich 10’000 Kilometer entfernt in Bolivien. Hier in Südamerika hat sie die meisten Erinnerungen an ihre frühe Kindheit. Vor allem an das erste Mal, als der Motor des Autos ihrer Eltern mitten in der Atacama-Wüste kaputtging. «Wir haben immer wieder erlebt, wie mein Vater das Auto repariert hat und wie er uns erklärt hat, wie der Motor funktioniert», sagt sie. «Das hat in mir als Kind schon ganz früh ein Interesse für Technik und für Naturwissenschaften geweckt.»

Ihre Kindheit in Südamerika scheint weit entfernt von unserem Gespräch heute in der Zürcher Innenstadt. Die 36-Jährige, die als eine der führenden digitalen Stimmen der Schweiz gilt, sitzt vor uns in einem trendigen griechischen Restaurant. Aber diese Abenteuer auf der ganzen Welt prägen bis heute noch ihre Einstellung zu Arbeit und Leben. «Meine Eltern waren sehr mutig, mit uns durch die Weite von Südamerika zu fahren. Wir waren fernab jeglicher Zivilisation, auf kaum befahrenen Strassen.»

Ehmann kennt das Leben abseits der ausgetretenen Pfade. Als sie 19 war, wurde ihr oft gesagt, sie solle BWL studieren oder eine Lehre machen. Stattdessen entschied sie sich für ein Maschinenbaustudium an
der ETH Zürich – umgeben von männlichen Kommilitonen. «Dafür gab es eine Menge seltsamer Blicke und es hat mich viel Mut gekostet», erinnert sie sich. Dieser Mut trug sie schliesslich um die Welt. Zuerst zu Bosch in Mexiko, zu Hilti in Shanghai und schliesslich nach São Paulo in Brasilien.

Bossard ist ein weltweit tätiges Unternehmen, das auf hochwertige Schrauben und Verbindungselemente spezialisiert ist. Das Unternehmen begann 1831 als Eisenwarenhandlung in Zug, bevor es an der SIX Swiss Exchange kotiert wurde. Seither ist Bossard auf rund 2’700 Mitarbeitende angewachsen und heute in 32 Ländern tätig. Das Unternehmen wird von der siebten Generation der Gründerfamilie geführt und erzielt einen Jahresumsatz von fast 1 Milliarde CHF.
www.bossard.com

Heute ist Ehmann zurück in der Schweiz. Zuletzt leitete sie die globalen Produktpartnerschaften für Augmented Reality (AR) bei Google, wo sie fast ein Jahrzehnt lang tätig war. Am Anfang war es ein gewagter Schritt. Es gab nur wenige AR-Prototypen und es mangelte nicht an Skeptikern. «Fliegt das wirklich?», fragte man Ehmann. «Bei jeder neuen Technologie, bei jeder Innovation, bei jeder neuen Idee ist es leicht, sie zu verwerfen, denn es gibt ja kaum Beweise, dass sie funktionieren wird. Aber man muss Durchhaltewillen haben, um herauszufinden, welche Idee wirklich fliegen wird.»

«Fliegt das wirklich?»

Die Bereitschaft, sich ins Unbekannte zu stürzen, hat Ehmann aus ihrer Zeit an der Stanford University und ihrer Arbeit im Silicon Valley mitgenommen. «Man hat das Gefühl, dass man jedes Problem auf der Welt lösen kann, wenn man nur gross genug denkt, die am besten passenden Technologien und Talente einsetzt und ambitioniert genug vorgeht. Dazu braucht es auch eine entsprechende Vision.» Auch das oft zitierte Mantra «fail fast, fail often» hinterliess bei Ehmann Eindruck. «Es hat mich sicherlich beeinflusst. Wie kann man Flexibilität beibehalten? Das ist Teil der DNA im Silicon Valley und die hat auf mich abgefärbt.»

Petra Ehmann wurde in Deutschland geboren und erwarb ihren Bachelor in Maschinenbau an der ETH Zürich und ihren Master in Management Science and Engineering in Stanford. Als Weltbürgerin hat sie in Bolivien, Brasilien, Mexiko, den USA, Deutschland, der Schweiz und China gelebt. Sie kam 2013 zu Google und leitete zuletzt die globalen Produktpartnerschaften für Augmented Reality. Sie ist ausserdem Mitglied des Verwaltungsrats des börsennotierten Schweizer Familienunternehmens Bossard, Advisory Boardmember bei We Shape Tech und Stiftungsrätin des Technoramas. Im September 2022 trat sie ihre neue Rolle als Chief Innovation Officer bei der Schweizer Mediengruppe Ringier an.

Ehmann hat eine spannende Zeit vor sich. Sie wagt sich in eine neue Rolle als Chief Innovation Officer beim Schweizer Medienkonzern Ringier. Weiterhin engagiert sie sich als Verwaltungsrätin des Technologie- und Befestigungsunternehmens Bossard. Ihre Aufgabe dort: einen umfassenden Kulturwandel mit aufzuspannen. Dafür gibt es regional und international viele spannende Vorbilder, die diesen Weg bereits beschritten haben und Ehmann als Inspiration dienen.

«Ich möchte andere ermutigen, für ihre Standpunkte einzustehen.»

Und nicht nur in Vorstandsetagen muss Ehmann Mut beweisen. Als Diversity-Botschafterin und Beiratsmitglied der Diversity-Plattform «We Shape Tech» setzt sie sich in der Tech-Branche weiterhin für die Chancengleichheit von Frauen und Männern ein. «Ich engagiere mich, um diesen Vorbildern aus der Technologiebranche eine Bühne zu bieten, damit sie andere Personen inspirieren und mit auf den Weg nehmen.» Wie bei allen beruf-lichen Stationen von Ehmann geht es letztlich um eine klare Mission. «Mut ist, den Status quo zu ändern», sagt sie.

Petra Ehmann – Ganz persönlich

Beim Begriff «Mut» denke ich als Erstes an …
das Einstehen für meine Werte.

Mut hat für mich die Farbe …
Gelb.

Meine Mut-Vorbilder …
Unternehmer:innen.

Dieses Tier verkörpert meinen persönlichen Mut am besten …
ein Leopard.

Wer mutig entscheiden will, muss …
schnell sein.