«Überzeugung muss man
aus sich selbst schöpfen»

Text: Franziska Pfister | Bilder: www.foto-shooting.ch | Magazin: Aus Mut gemacht – Oktober 2022

Die Verwaltungsrätin Monique Bourquin erklärt, welche Führungserfahrung sie geprägt hat. Sich gegen die Karriere und für die Kinder zu entscheiden ist für die frühere CEO von Unilever Schweiz kein Zeichen fehlenden Mutes.

Frau Bourquin, was war das Mutigste, das Sie in Ihrem Leben gewagt haben?

Spontan und frisch in Erinnerung: Meine Tochter hat mich vor zwei Jahren in einen Kletterpark geschleppt und ich bin von einem Baum zehn Meter im freien Fall heruntergesprungen. Danach war ich richtig stolz.

Sie haben fünf Jahre lang Unilever Schweiz geleitet. Führen Frauen nach Ihrer Erfahrung anders als Männer?

Meiner Ansicht nach gibt es keinen typisch weiblichen Führungsstil, jede Person führt anders. Ich selbst arbeite eng mit dem Team zusammen und ermutige die Leute, ihre Meinung zu äussern und selbstständig zu entscheiden und zu agieren. Ich habe dabei immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Teams besser arbeiten und stärkere Leistungen erzielen, wenn kontrovers diskutiert werden darf.

«Sich für die Karriere zu entscheiden ist nicht mutiger, als etwas aufzugeben, um Zeit mit den Kindern zu verbringen.»

Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der SMI-Unternehmen liegt aktuell bei 14 Prozent. Woran liegt es, dass nicht mehr Schweizerinnen eine Karriere als Managerin anstreben?

Als Führungskraft habe ich stets nach Wegen gesucht, fähige Frauen dabei zu unterstützen, sich in Führungsfunktionen weiterzuentwickeln, aber nie probiert, sie zu überreden. Überzeugung muss man aus sich selbst schöpfen. Schweizerinnen sind geprägt von gewissen Werten, und die ändern sich nur langsam. So möchten viele Frauen ihre Kinder nicht komplett fremdbetreuen lassen. Das respektiere ich.

Väter haben offensichtlich weniger Schwierigkeiten, ihre Kinder in eine Kita zu geben.

Dies wäre der falsche Schluss, obwohl zu mir kaum je ein Mann kam, der sein Pensum der Kinder wegen reduzieren wollte. Es war immer die Frau. Nach meiner Erfahrung sind viele Männer grundsätzlich offen dafür, dass ihre Partnerin arbeitet. Aber klar begrüssen sie es auch, wenn ihre Kinder durch die Mutter betreut werden. Viele Familien leben hier beispielsweise im Vergleich zu Frankreich, wo ich aufgewachsen bin, immer noch traditioneller.

Monique Bourquin hat unter anderem Verwaltungsratsmandate beim Milchkonzern Emmi, beim Gebäckhersteller Kambly, bei der Kosmetik- und Pharmamarke Weleda und beim Food-Ingredients-Anbieter Kündig. Daneben ist sie im Stiftungsratsausschuss von Swisscontact, der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungszusammenarbeit, und Präsidentin von Promarca, dem Schweizerischen Markenartikelverband.

Ist der berufliche Erfolg nicht für alle gleich wichtig?

Männer definieren Erfolg stärker über beruflichen Aufstieg. Job und Rangordnung sind im Gespräch untereinander wichtig. Frauen dagegen definieren Erfolg differenzierter. Ihnen ist ein interessanter Arbeits-inhalt mit guten sozialen Kontakten oft wichtiger als ein ranghoher Posten. Natürlich schliesst sich beides aber keineswegs aus.

Ist es Ausdruck fehlenden Mutes, ein Teilpensum anzunehmen?

Nein, das hat nichts mit Mut zu tun, sondern mit anderen Prioritäten. Sich für die Karriere zu entscheiden ist nicht mutiger, als etwas aufzugeben, um Zeit mit den Kindern zu verbringen.

Firmenkulturen sind noch immer männlich geprägt. Was muss sich ändern?

Meinen Mitarbeiter:innen habe ich immer gesagt: Bringt euch aktiv in Sitzungen und Projekten ein. Gerade in einem kompetitiven internationalen Umfeld, wo jede:r das Wort ergreift, geht man sonst trotz sehr guter Leistungen unter. Ich selbst habe mich nie gefürchtet, für meine Meinung einzustehen und im Sinne der Sache wenn nötig zu widersprechen. Zielstrebigkeit, Mut, gesunde Hartnäckigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Entscheidungsfreudigkeit sind zusätzliche wichtige Attribute. Firmenkulturen sollen Führungskräfte in diese Richtung bekräftigen und ihre Leadership entwickeln – dies kommt nicht nur den Frauen zugute.

Monique Bourquin ist in Frankreich aufgewachsen und hat an der Universität St. Gallen Wirtschaftswissenschaften studiert. Ihre Karriere startete sie bei PwC Schweiz. Nach Stationen bei Rivella und Mövenpick arbeitete sie 14 Jahre für den Konsumgüterkonzern Unilever. Nach Marketing- und Verkaufsfunktionen war sie ab 2008 fast fünf Jahre lang Geschäftsführerin des Schweiz-Geschäfts und führte 500 Personen. Anschliessend war sie bis 2016 vier Jahre lang Finanzchefin für Deutschland, Schweiz und Österreich. Seither ist sie nicht mehr operativ tätig, ist jedoch im Verwaltungsrat mehrerer Firmen, darunter Emmi. Ausserdem hat sie einen Lehrauftrag an der ETH Zürich zum Thema Change Management übernommen und ist Präsidentin des Schweizerischen Markenartikelverbands Promarca. Sie lebt im Kanton Schaffhausen, ist verheiratet und Mutter einer Tochter.

Wie stehen Sie zur Frauenquote?

Es ist für mich unvorstellbar, dass Frauen nur angestellt werden, um eine Quote zu erreichen. Ich dachte immer, eine Quote ist unnötig. Aber nach 30 Jahren in der Berufswelt bin ich doch etwas ernüchtert darüber, welche geringen Fortschritte wir gemacht haben.

Eigentlich können es sich Unternehmen gar nicht leisten, Frauen auszuschliessen.

Nein, Unternehmen sind auf Talente und fähige Führungskräfte angewiesen, ob männlich oder weiblich, ob jung oder alt. Viele Firmen leiden an Jugendwahn, Angestellte können bis 50 aufsteigen und müssen danach froh sein, noch einen Job zu haben. Das ist eine bedauerliche Entwicklung. Meine stärksten Teams entstanden durch die Verbindung von Leuten vor der Pensionierung und Univer-sitätsabgänger:innen. Je diverser, desto besser: Akademiker:innen und Leute mit einem Lehrabschluss, Junge und Ältere, Frauen und Männer, verschiedene Nationalitäten.

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Bei welchen gesellschaftlichen Fragen wünschen Sie sich mehr Mut?

Die Schweiz ist viel fortschrittlicher und mutiger, als sie sich selbst wahrnimmt. Die Demokratie ist bei uns hoch entwickelt, wir lassen hitzige Debatten zu, suchen aber nach pragmatischen Lösungen und setzen diese auch um. Die meisten fühlen sich für das gesamte Land verantwortlich und verfolgen nicht nur eigene Interessen. Diese Stärke müssen wir unbedingt behalten, auch wenn ich manchmal wünschte, wir wären bei Veränderungen schneller.

Wie lautet Ihr Ratschlag an junge Menschen, die am Anfang der beruflichen Laufbahn stehen?

Lasst euch nicht in ein Korsett stecken. Macht etwas, das euch Freude bereitet, womit ihr authentisch sein könnt, wo ihr eure Werte im Job wiederfindet und es entsprechend Spass macht, Vollgas zu geben. Mein Rat lautet auch, Feedback einzuholen, sich selbst dadurch besser kennenzulernen und sich ständig weiterzuentwickeln, fachlich und persönlich.

Monique Bourquin – Ganz persönlich

Beim Begriff «Mut» denke ich als Erstes an …
Bungee-Jumping und Nelson Mandela.

Mut hat für mich die Farbe …
Orange.

Meine Mut-Vorbilder sind …
Menschen, die durch uneigennützige Taten beeindrucken.

Dieses Tier verkörpert meinen persönlichen Mut am besten …
jedes Tier, das seine Jungen vor Gefahr schützt.

Wer mutig entscheiden will, muss …
bereit sein, fürs Gesamte zu handeln und die Konsequenzen zu tragen.