«Vertrauen ist Vertrauen»

Ob am Berg oder im Berufsleben – für den economiesuisse-Präsidenten Heinz Karrer ist Vertrauen zentral. Wirtschaftlich gesehen trägt es in seinen Augen massgeblich zum Erfolg einer Organisation bei. Das Vertrauen der Gesellschaft in die Wirtschaft, in die politische Lage und in die Zukunft der Schweiz hält Karrer für durchaus intakt.

Text: Roberto Stefàno | Bilder: Markus Bertschi | Magazin: Vertrauen in der Gesellschaft – September 2019

Sie sind ein begeisterter Berggänger. Welche Bedeutung hat für Sie Vertrauen am Berg?

Es ist zentral. Seit vielen Jahren klettere und unternehme ich hochalpine Touren. Dabei begleiten mich immer dieselben zwei Bergführer. Wir kennen uns inzwischen sehr gut – ich vertraue ihren Fähigkeiten
und sie meinen.

Wie unterscheidet sich dieses Vertrauen von jenem, das Ihnen als economiesuisse-Präsident entgegengebracht wird?

Eigentlich gar nicht. Vertrauen ist Vertrauen. Menschen gehen grundsätzlich davon aus, dass sie sich auf jemanden verlassen können. So hat man mir mit der Wahl zum Präsidenten von economiesuisse beispielweise das Vertrauen zugesprochen, die wirtschaftspolitischen Anliegen der Mitglieder bestmöglich zu vertreten.

Wie wichtig ist es, dass Sie das Vertrauen der Mitglieder spüren?

Sehr wichtig, denn ohne Vertrauen geht es nicht. Deshalb arbeite ich intensiv daran und suche den Dialog. Dies ist vor allem im Hinblick auf Konfliktsituationen entscheidend.

Zumal es nicht an Kritik fehlt – beispielsweise von Gegnern oder aus den Medien.

Kritik ist ein Bestandteil meiner Arbeit als Exponent des Verbands. Wenn man damit nicht umgehen kann, ist man am falschen Platz. Umso wichtiger ist es, die Kritik ernst zu nehmen und sie in künftige Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Wie gelingt Ihnen der Austausch mit den Verbandsmitgliedern? Immerhin vertreten Sie rund 100’000 Schweizer Unternehmen.

Dies geschieht über die rund 100 Branchenverbände und 20 regionalen Handelskammern. Wenn wir eine wirtschaftspolitische Vorlage bearbeiten, dann findet der Austausch zuerst in Arbeitsgruppen statt. Später geht das Geschäft in die Kommissionen und Vorstandsgremien. Entscheidend ist, dass alle betroffenen Mitglieder bestmöglich in den Prozess einbezogen werden und man Konflikte rechtzeitig ausdiskutiert. Nur mit dem gegenseitigen Verständnis gelingt es, in Situationen mit Uneinigkeiten eine klare Mehrheit zu erreichen. In über 90 Prozent der Fälle finden wir so eine einvernehmliche Lösung – trotz der grossen Zahl an Mitgliedern und der Heterogenität.

«Auch bei unterschiedlichen Ansichten ist das gegenseitige Verständnis sehr wichtig.»

Obwohl sich die Interessen der Firmen zum Teil deutlich unterscheiden?

Ja. Das liegt auch daran, dass eine Vorlage oft nicht alle Branchen gleich stark betrifft. Die direkt betroffenen Firmen müssen sich dann verstärkt einbringen, während sich die übrigen Unternehmen aus anderen Branchen zurückhalten. Doch es gibt auch andere ­Beispiele wie die Swissness-Vorlage: Dort gingen die Meinungen und Haltungen aus nachvollziehbaren Gründen auseinander. Man kann ein Lebensmittel bezüglich Swissness nicht gleich behandeln wie eine Maschine oder eine Uhr.

Heinz Karrer (1959) ist seit 2013 Präsident des Wirtschafts­dachverbands economiesuisse. Zuvor war er während zwölf Jahren CEO des Energie­dienst­leistungs­konzerns Axpo. Seine Karriere startete er in der Sportartikel­branche, bevor er in die Geschäfts­leitung von Ringier und in die Konzernleitung von Swisscom wechselte. Karrer hat an der Universität St. Gallen zwei Jahre Wirtschaft studiert. Als Handball­spieler hat er es bis in die Schweizer National­mannschaft und mit ihr an die Olympischen Spiele in Los Angeles geschafft. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater von drei erwachsenen Söhnen.

Welches sind aktuell die drei grössten Herausforderungen für die Schweiz?

An erster Stelle steht das stabile Verhältnis zur Europäischen Union. Dieses stützt sich auf bilaterale Verträge, die auf Wunsch der EU nun in einen Rahmen eingebettet werden sollen, um mehr Rechtssicherheit für alle Parteien zu erlangen. Das Rahmenabkommen ist für uns zentral, um das bestehende Verhältnis mit der EU zu festigen und den bilateralen Weg zukünftig weiter auszubauen. In der Wirtschaft ist dies ziemlich unbestritten, doch innen- und aussenpolitisch stehen noch einige Diskussionen an, bis die Bevölkerung darüber abstimmen kann. Eine weitere Herausforderung ist die Klimafrage. Bisher hat die Wirtschaft die gesteckten Ziele bezüglich CO2-Emissionen deutlich übertroffen. Ein wichtiger Grund dafür waren die Zielvereinbarungen mit dem Bund, die allerdings nur auf Betriebe mit einer gewissen Grösse begrenzt waren. Im neuen CO2-Gesetz wollen wir, dass alle Firmen einen solchen Weg gehen können. Drittens braucht es eine nachhaltige Altersvorsorge. Die AHV und das BVG müssen unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung stabilisiert und finanziert werden.

Das Verhältnis Schweiz-EU scheint aber nicht sehr vertrauensvoll zu sein ...

Da bin ich mir nicht so sicher. Die Frage ist doch, wie die Mehrheit der Bevölkerung zu den bilateralen Verträgen steht. Die Umfragen zeigen eine deutliche Unterstützung des bilateralen Wegs, auch wenn die EU kritisiert und die Selbstbestimmung der Schweiz hochgehalten wird. Umso wichtiger ist es, die Chancen und Gefahren aufzuzeigen und über das Verhältnis zu sprechen, da schon bald wichtige Abstimmungen bevorstehen.

Ist die Wirtschaft hierfür der richtige Absender? Schliesslich scheint das Vertrauen ihr gegenüber in der Bevölkerung ebenfalls angekratzt zu sein.

Nicht immer geben die lautesten Kritiker auch tatsächlich die Meinung der Bevölkerungsmehrheit wieder. Gemäss den Befragungen war das Vertrauen der Bevölkerung in die Wirtschaft bis zur Finanzkrise ziemlich hoch. Danach hat es etwas gelitten. Doch inzwischen liegen die Werte sogar noch höher als vor der Finanzkrise.

Wie erklären Sie sich dann die Niederlage bei der Steuervorlage 17?

Die Bevölkerung war gemäss nachträglicher Analyse der Meinung, dass die Vorlage zu wenig ausgewogen war. Aber es besteht kein grundsätzliches Misstrauen. So wurde in der jüngsten Studie der ETH Zürich zum Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen der beste Wert seit dem Start der Erhebung 1992 erreicht.

Für zusätzliche Verunsicherung in der Bevölkerung sorgt derzeit die Digitalisierung. Wie spüren Sie dies?

Grundsätzlich gehören Veränderungen zum Leben. Neu ist aber die hohe Geschwindigkeit, mit der diese erfolgen. Denken Sie nur an das Smartphone und wie es unser Leben auf den Kopf gestellt hat. Viele Leute fragen sich, wo dies am Ende hinführt. Oft fehlt aber einfach auch das Wissen oder das Sich-mit-der-Thematik-auseinandersetzen-­Wollen oder -Können.

Wie reagieren Sie darauf?

Wir haben zahlreiche Publikationen zur Digitalisierung veröffentlicht und führen Veranstaltungen durch, an denen wir das Thema mit der Bevölkerung diskutieren. Die Digitalisierung bietet unglaubliche Chancen, bereitet aber auch Sorgen. Wichtig ist beispielsweise die permanente, lebenslange Weiterbildung. Doch wie gelingt es, dass auch Leute in etwas fortgeschrittenem Alter noch eine Stelle wechseln oder eine Umschulung absolvieren können? Die Digitalisierung wirft viele wirtschafts- und sozialpolitische Fragen auf.

«Heute ist es viel schwieriger, sich Gehör zu verschaffen.»

Hier könnte economiesuisse wieder einmal Akzente setzen – wie sie dies früher öfters erfolgreich getan hat. Man sprach sogar vom achten Bundesrat …

Das ist wohl eher ein Mythos: Nehmen wir die Abstimmungen als Richtwert, so gewinnen wir neun von zehn wirtschaftspolitisch relevanten Urnengängen. Dies war vor 20 oder 30 Jahren nicht anders. Was stimmt, ist, dass es heute viel schwieriger ist, sich Gehör zu verschaffen. Unter anderem liegt es daran, dass die Institutionen an Strahlkraft verloren haben und sich immer mehr Organisationen und Leute öffentlich äussern. Dank den sozialen Medien ist dies mittlerweile so einfach wie nie zuvor.

Über Jahre aufgebautes Vertrauen kann schnell zerstört werden. Welche Bedeutung hat bei economiesuisse das Risikomanagement?

Wir verfolgen dabei zwei Ansätze: Mittel- und langfristig geht es darum, offen zu sein für gesellschaftliche Themen, welche die Bevölkerung latent beschäftigen. Diese Trends müssen wir aufnehmen und miteinbeziehen, wenn wir wirtschaftspolitische Anliegen behandeln und hinterfragen. Kurzfristig ist vor allem die Kommunikation gefragt. Wie kommunizieren wir? Wie reagieren wir auf eine Berichterstattung? Das ist unsere tägliche Arbeit. Hier ist eine gute Vorbereitung erforderlich, denn das Vertrauen ist sehr schnell verspielt.

Zum Beispiel mit überrissenen Managersalären.

Exzessive Saläre sind ein Thema, das in der Vergütungsverordnung im Nachgang zur Abstimmung von 2013 geregelt worden ist. Deshalb tragen die Aktionäre heute mehr Verantwortung, was zu deutlich weniger Kompensationsausreissern und erhöhter Transparenz geführt hat. Wichtig ist, dass der Staat nicht in die Lohnpolitik eingreift.

Dennoch, ein Skandal bei einem Unternehmen färbt schnell auf die gesamte Wirtschaft und auch auf economiesuisse ab.

Das ist so. Gerechtfertigt ist dies aber nicht, denn so werden 500’000 Betriebe in der Schweiz in «Geiselhaft» genommen. Diese machen einen hervorragenden Job, wofür die Schweiz auch international gelobt wird.

Was gibt Ihnen das Vertrauen, dass dies auch in Zukunft so sein wird?

Diese Frage wurde in den vergangenen Jahrzehnten vermutlich schon oft gestellt, vor dem Hintergrund, dass es uns so gut geht. Anscheinend gelingt es der Schweiz immer wieder, zu den innovativsten und wettbewerbsfähigsten Ländern zu gehören. Dabei spielt das Vertrauen eine grosse Rolle: Das Land und seine Unternehmen stehen für Zuverlässigkeit, hohe Qualität, Berechenbarkeit und Rechtssicherheit. Das sind unsere Erfolgsfaktoren. Und ich bin zuversichtlich, dass wir diese auch in Zukunft nutzen können.

Der Wirtschafts­dachverband economiesuisse vertritt die Interessen von rund 100’000 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen der Schweiz. Diese bieten rund zwei Millionen Menschen Arbeit. Der Dachverband ist das Bindeglied zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft und setzt sich für optimale Rahmen­bedingungen für Schweizer Unternehmen ein – vom KMU bis zum Grosskonzern. Er vertritt dabei liberale Anliegen wie Eigen­verant­wortung, freier Handel und weniger Eingriffe durch den Staat. economie­suisse ist im Jahr 2000 aus dem Schweizer Handels- und Industrie­verein (Vorort) hervorgegangen.

www.economiesuisse.ch

Heinz Karrer persönlich

Diese Gipfelaussicht hat mich am meisten beeindruckt.
Alle 4000er der Schweiz sind schön. Beeindruckt hat mich die Aussicht vom Breithorn in Zermatt. Dort bin ich an einem strahlend schönen Tag dem bekannten Bergführer Ulrich Inderbinen begegnet.
Er hat mir das Panorama bis hin zu den Pyrenäen am Horizont gezeigt. Dies konnte ich anfangs nicht glauben – aber es traf tatsächlich zu.

Welchen Gipfel möchten Sie noch besteigen?
Den Piz Badile. Er ist ein schöner Kletterberg, der aber zuletzt wegen eines Bergsturzes schwer zugänglich war.

Und höhere Berge im Ausland?
Ich habe in den Anden 6000er bestiegen oder letztes Jahr den Kasbek in Georgien mit über 5000 Metern. Aber ich habe keine Ambition, auf einen 8000er zu steigen.

Sie suchen nicht die Höhe?
Früher hatte die Höhe eine grössere Bedeutung für mich. Eine weniger hoch gelegene, aber schwierigere Kletterroute ist für mich mittlerweile genauso interessant.

Ein persönliches Ziel, welches Sie bis Ende Jahr erreichen möchten?
Möglichst viele schöne Bergtouren unternehmen.

Hier lade ich meine Batterien auf …
Vor allem in der Natur, in Kombination mit Bewegung: beim Wandern, Bergsteigen und Klettern, beim Joggen, Skifahren oder auf Skitouren.

Ihre liebste Feriendestination?
Wir verbringen viel Zeit in Mürren im Berner Oberland. Dort haben wir eine Wohnung, wo sich oft auch die ganze Familie trifft.

Wo treffen Sie sich am liebsten mit einem Bundesrat?
Mit Alt-Bundesrat Adolf Ogi beim Skifahren. Ansonsten finden die meisten Treffen in den Büros der Bundesrätinnen und -räte statt.

Welche Anschaffung steht bei Ihnen zuoberst auf der Einkaufsliste?
Ich lese sehr gerne. Oft gehe ich spontan in eine Buchhandlung und kaufe mir etwas zum Lesen. Das dürfte bald wieder so weit sein. Zudem benötige ich neue Karabinerhaken.

Welches Buch liegt bei Ihnen auf dem Nachttisch?
Ich war kürzlich im Berner Jura und habe die Firma Camille Bloch besucht. Firmenchef Daniel Bloch hat mir sein Buch geschenkt, welches ich inzwischen zu Ende gelesen habe.

Welcher Filmheld ist Ihnen am sympathischsten?
Gandhi ist für mich die beeindruckendste Persönlichkeit der jüngsten Geschichte – vielleicht zusammen mit Nelson Mandela.

Was möchten Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Ich wünsche mir, dass sie für eine erfolgreiche und innovative Wirtschaft einstehen. Denn sie ist die Grundlage für den Wohlstand in der Schweiz.