Wie gehen Sie bei der Planung der Shows vor?
Ich plane sie auf einer Landkarte. Dabei orientiere ich mich am Publikum und beziehe Städte, Berge und andere Hindernisse mit ein. In der anschliessenden Analyse schätze ich ab, welche Flugfiguren sich in diesem Umfeld eignen, und zeichne sie auf der Karte ein. Wenn sich das gesamte Team zur Vorführung trifft, erläutere ich meinen Plan. Dann ist die Diskussion eröffnet. Jeder kann seine Meinung und Vorbehalte einbringen. Am Ende entscheiden wir uns für ein Programm.
Besteht keine zusätzliche Sicherheitsstelle, die das Programm absegnet?
Doch. Wir präsentieren Anfang Jahr das gesamte Programm, welches wir in den darauffolgenden Monaten fliegen werden, dem Display-Kontrollkomitee. Zudem gehen wir auf die besonderen Hindernisse an den verschiedenen Vorführorten ein und vermerken diese in der Karte. Wenn das Komitee mit der Analyse einverstanden ist, erhalten wir die Freigabe für das Programm.
Wie üben Sie die Manöver an den unterschiedlichen Vorführorten?
Wir fliegen das Programm zuerst ohne Publikum und zeichnen es mit der Kamera aus der Perspektive der Zuschauer auf. Nach dem Training analysieren wir es am Bildschirm. Am Vorführtag können wir so noch Korrekturen vornehmen.
Was ist Ihnen als Leader innerhalb des Teams besonders wichtig?
Das Vertrauen steht an erster Stelle, es muss immer vorhanden sein. Weiter müssen alle Teammitglieder zu 100 Prozent verstanden haben, dass es alle braucht, damit die Formation am Ende gelingt. Manchmal muss man dafür das eigene Ego zugunsten der Teamleistung zurückstellen. Diese Wertauffassung muss man pflegen und immer mal wieder ansprechen. Es nützt nichts, wenn vier von fünf schon sehr nahe fliegen können, jemand aber noch mehr Abstand benötigt. Dann muss sich die Gruppe an diesem orientieren, damit das Bild stimmt. Das ist nicht immer so einfach.
Wie spüren Sie das Vertrauen Ihrer Teamkameraden?
Wenn das Team gelassen scheint. Dies spüre ich, wenn ich mit jemanden über Funk spreche oder während des Fluges zurückblicke. Solange alles ruhig ist, ist das Vertrauen da. Erhalte ich einen anderen Eindruck, muss ich etwas dagegen unternehmen.
Sie ändern noch etwas während des Fluges?
Ja. Ich reduziere beispielsweise die Geschwindigkeit. Dann dauert das Programm zwar etwas länger, doch am Boden merkt dies niemand.
Wie stehen Sie im Team privat zueinander?
Wir kennen uns extrem gut und treffen uns oft neben der Arbeit – auch mit unseren Liebsten.
Dennoch könnten Spannungen entstehen.
In diesem Fall bin ich als Leader gefragt. Ich nenne es aggressives Zuhören: genau hinhören, um in einer Diskussion zu verstehen, was geschieht und auch die Zwischentöne mitzukriegen. Es ist meine Aufgabe, nachzufragen und die Personen anzusprechen. Das Ganze braucht Zeit und kann anstrengend sein, ist aber enorm wichtig.
Und wenn jemand nicht in die Gruppe passt?
Wir wählen alle unsere Teammitglieder selber aus – auch unseren Chef, den Commander. Wir «müssen» niemanden aufnehmen, sondern nur hoffen, dass jemand zusagt.
Wie sehr verlassen Sie sich als Pilot auf die Techniker am Boden?
Wir sind wohl eines der wenigen Länder, in denen das Team seine Fluggeräte nicht selber kontrolliert. Wir haben ein sehr enges Verhältnis zu unseren Technikern. Wenn ein Mechaniker bestätigt, dass ein Flieger bereit ist, dann würde ich dies nie hinterfragen.
Wie stehen Sie grundsätzlich zu technischen Hilfsmitteln in der Fliegerei?
Man muss ihnen vertrauen. Allerdings gibt es in der Aviatik immer eine Absicherung. Wir verlassen uns nie auf ein einziges System. Ohnehin ist in unseren Flugzeugen relativ wenig Technik vorhanden.
Ihre Flieger gelten als veraltet.
Sie sind total veraltet – aber nur für den militärischen Einsatz. Wir jedoch brauchen die Flugzeuge für Shows. Dazu sind sie noch voll im Schuss.
2016 ist es erstmals bei der Patrouille Suisse zu einem Absturz gekommen. Wie begleitet Sie dieses Ereignis?
Die Auswirkungen waren riesig. Inzwischen neigt sich die Untersuchung dem Ende zu, so dass man abschätzen kann, welche damals eingeleiteten Sofortmassnahmen weitergeführt werden müssen, um einen solchen Vorfall künftig zu vermeiden.
Und im Team?
Wir sprechen heute viel über solche Vorkommnisse, um mental darauf vorbereitet zu sein. Es war ein einschneidendes Erlebnis, das uns alle verändert hat – auch die Art, wie wir unsere Familien, unsere Liebsten, in unsere Arbeit einbeziehen.
Inwieweit hat das Vertrauen darunter gelitten?
Es stand nie zur Diskussion, nicht mehr miteinander zu fliegen oder kein Vertrauen mehr zu haben. Das Risiko eines Unfalls gehört zu unserem Beruf.
Inwieweit fliegt die Angst mit?
Ich habe nie Angst, wenn ich selber fliege. Aber ich habe nach wie vor Lampenfieber. Es ist der Respekt vor der Aufgabe. Und es hilft auch, konzentriert zu bleiben. Das Lampenfieber verfliegt, sobald ich den Antrieb spüre.
Welches Manöver würden Sie an einer Flugshow nie fliegen? Wo ist das Limit?
Unser Programm muss innerhalb von zwei Wochen stehen. Das ist nicht viel Trainingszeit. Wir versuchen zwar immer wieder neue Manöver, doch diese müssen nach wenigen Flügen sitzen, sonst schaffen sie es nicht ins Programm. Ausländische Teams, denen deutlich mehr Zeit zur Verfügung steht, führen hin und wieder einen Verbandsflug auf dem Rücken aus, was extrem schwierig ist. Das würde ich nie tun – auch weil ich überzeugt bin, dass dies das Publikum gar nicht richtig mitbekommt.
Wie nehmen Sie den Zuspruch, das Vertrauen in der Bevölkerung wahr?
Wir erhalten sehr viel Wertschätzung vom Publikum.
Hat sich dies verändert mit der Klimadiskussion?
Erstaunlicherweise nicht. Es gibt vereinzelte Anfragen. Aber wir fliegen eigentlich zu wenig als Team, als dass wir einen grossen Einfluss auf die Emissionen hätten.
Wie lange werden Sie noch für die Patrouille Suisse fliegen?
Mit 42 muss man die Staffel verlassen. Ich werde aber, wie viele andere vor mir, schon vorher austreten. Inzwischen bin ich zehn Jahre dabei. Irgendwann sollte man jüngeren Leuten Platz machen.
Gunnar Jansen persönlich
Wann sind Sie zum ersten Mal ein Flugzeug geflogen?
Mit 16, in einem selbst gebauten Flieger eines Freundes im Tessin. Er hatte mir kurz das Steuer überlassen. Den ersten Flug in einer Militärmaschine absolvierte ich während der Rekrutenschule mit 19 in einer PC-7.
Welches war Ihr Traumberuf als Kind?
Ich wollte Astronaut werden. Die Faszination für den Weltraum ist geblieben. Heute bin ich froh, dass ich nicht so weit weg muss.
Welche Rituale pflegen Sie in der Patrouille Suisse?
Wir fliegen mit weissen Socken. Es geht darum, am Tag der Vorführung zu 100 Prozent bereit zu sein. Vergisst man sie, muss man barfuss in die Schuhe. Weiter klopfen wir uns vor einem Flug als Glückwunsch auf den Fallschirm. Und nach dem Flug kommt es zum Handshake. Schliesslich feiern wir einen Piloten, wenn er im Ausland zum erstmals vor 100’000 Leuten ein Schönwetter-Programm geflogen hat. Er geht dann baden ...
Welches ist Ihr liebstes Flugzeugmodell?
Die F-16. Das Flugzeug fasziniert mich seit meiner Kindheit. Geflogen bin ich es aber noch nie.
Welche Flugshow gefällt Ihnen am besten?
Jene beim Lauberhorn-Rennen in Wengen, vor allem wegen der Kulisse. Es ist einmalig, vor der Eiger-Nordwand einen Looping zu vollziehen.
Wie schnell sind Sie privat unterwegs?
Ich habe gerne schöne Motoren und fahre hin und wieder auf der Rennstrecke.
Wie sind Sie ansonsten privat?
Das absolute Gegenteil. Ich fische gerne und betreibe Astrofotografie. Dabei lade ich meine Batterien auf. Ich schätze es, einmal alleine zu sein, nicht sprechen zu müssen
Ihre liebste Feriendestination?
Wenn es einen Strand hat, dann bin ich glücklich.
Welches persönliche Ziel wollen Sie in diesem Jahr noch erreichen?
Grundsätzlich möchte ich möglichst viele junge Leute für die Aviatik begeistern. Da die Patrouille Suisse 2019 ihr 55-Jahre-Jubiläum feiert, findet eine Feier mit vielen ehemaligen Piloten statt. Ihnen möchte ich eine besonders schöne Vorführung bieten.
Was wollen Sie unseren Lesern mitgeben?
Man darf sich nie auf dem ausruhen, was man schon erreicht hat. Dies gilt auch beim Vertrauen: Man muss jeden Tag daran arbeiten und darf sich nicht zurücklehnen.