Text: Tabea von Ow | Bilder: www.foto-shooting.ch | Magazin: Aus Mut gemacht – Oktober 2022
Was Daniela Marino sich in den Kopf setzt, zieht sie durch. Das gilt auch für die Gründung des Unternehmens CUTISS. Die CEO über ihren Ehrgeiz bei Wettbewerben, kalkulierbare Risiken und Schicksale von Kindern mit Verbrennungen.
Frau Marino, Ihr Unternehmen entwickelt Hauttransplantate aus Eigenzellen von Patient:innen. Wie haben Sie die erste erfolgreiche Transplantation erlebt?
Das war im Jahr 2014. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen – der Patient, ein Bub, hatte starke Verbrennungen. Das gesamte Team hat die Transplantation angespannt an der Glasscheibe eines Operationssaales im Universitätsspital Zürich mitverfolgt. Wir haben alle gezittert. Doch es hat funktioniert und mir ist klar geworden: Wir müssen diese Technologie auch anderen Menschen zugänglich machen.
Wie viele Jahre Entwicklung steckten damals im Produkt?
Etwa 14 Jahre. Davon war ich rund fünf Jahre im Team. Anfänglich untersuchte ich als Biotechnologin, wie man aus Blutgefässen Zellen isoliert und züchtet. Kurz nachdem ich zum Team gestossen bin, ging aber leider das Geld aus. Also half ich mit, bei der EU-Kommission eine Finanzierungsunterstützung zu beantragen.
CUTISS ist ein Spin-off der Universität Zürich. 2017 gegründet, stellt es personalisierte Hautimplantate aus Patientenzellen her. Diese werden bei Hautschädigungen wie Verbrennungen eingesetzt. Derzeit befindet sich das Produkt DenovoSkin in Europa und der EU in klinischen Studien der Phase IIb. 2020 wurde das Unternehmen mit dem TOP 100 Swiss Startup Award ausgezeichnet. Investoren sind unter anderem die Zürcher Kantonalbank, das Pharmaunternehmen Giuliani und Wyss und der gemeinsame Accelerator der Uni Zürich und der ETH. Das Patent für DenovoSkin ist im Besitz der Universität Zürich, CUTISS hält exklusive Markenrechte.
www.cutiss.swiss
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Zuallererst mussten wir das Labor auf die sogenannten Good Manufacturing Practices umstellen. Diese sind Pflicht für die Herstellung pharmazeutischer Produkte, wenn man sie an Menschen testen möchte. So übernahm ich ganz neue Aufgaben: Ich war stark involviert im Aufbau eines Zulassungsteams, organisierte Sitzungen und Studien, schrieb Dossiers, meldete Patente an und so weiter. Ich begann, meine Rolle ausserhalb des Labors zu geniessen, und merkte, dass mir die Unternehmensführung liegt.
Dann haben Sie CUTISS gegründet?
Nein, noch nicht: Zum Zuschuss der EU-Kommission gehörte auch ein Business-Planning-Seminar in Frankreich. Ich freute mich auf kostenlose Zeit am Meer und nahm nicht einmal meinen Laptop mit. Doch am Ende der Woche gab es einen Wettbewerb. Und ich würde lieber vom Schlag getroffen werden, als bei einem Wettbewerb nicht mitzumachen! Ich lieh mir vom Hotel einen Laptop und hielt am Ende der Woche meine erste Präsentation vor Investor:innen.
«Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann ziehe ich es durch.»
Und wie haben die Investor:innen reagiert?
Sie wollten sich sofort beteiligen. Aber wir hatten ja noch gar keine Firma. Übers Wochenende reifte dann der Gedanke und am Montag ging ich zu meinem Chef und sagte: «Ich will mit unserer Idee ein Unternehmen gründen.»
Welche Hürden mussten Sie dabei überwinden?
Einfach war es nicht, ich hatte schliesslich keine Ahnung, was zu tun war. Mein Chef und meine Familie hielten mich für verrückt. Dazu kommt, dass ich nicht lange vor der Gründung mein erstes Kind bekommen hatte, es war also auch familiär etwas kompliziert. Aber ich komme aus Süditalien und bin ziemlich stur. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann ziehe ich es durch.
Dr. Daniela Marino (40) ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von CUTISS. Sie wuchs in der sizilianischen Stadt Agrigento auf und absolvierte ihr Masterstudium in Biotechnologie an der Universität von Mailand. Anschliessend promovierte sie an der ETH Zürich (Doktorat, PhD). Ihr wissenschaftliches Spezialgebiet sind Stammzellen in der vaskulären Biologie. 2009 trat sie als Postdoc beim Forschungsprogramm der Universität Zürich und des Kinderspitals Zürich ein, aus dem CUTISS hervorging. Marino forschte an der Vaskularisierung der Implantate, also daran, der künstlichen Haut zusätzliche Eigenschaften wie Blut- und Lymphgefässe hinzuzufügen.
Sie ist Mutter von zwei kleinen Kindern.
Viele hätten wohl Angst, gerade wenn die eigene Familie die Idee nicht gut fände. Was gab Ihnen die Sicherheit, dass es der richtige Weg war?
Ich wusste: Das Risiko ist gut kalkuliert. Was sollte schon passieren? Schlimmstenfalls würde ich zurück in die Forschung gehen. Wenn man nie etwas Verrücktes ausprobiert, kommt man nicht voran. Aber dass man scheitern kann, muss man natürlich bei allem und immer in Betracht ziehen. Gehe ich zum Beispiel ins Casino, nehme ich immer nur einen bestimmten Geldbetrag mit. Und wenn der aufgebraucht ist, gehe ich nach Hause. Das ist kalkuliertes Risiko.
«Man muss bei allem und immer in Betracht ziehen, dass man scheitern kann.»
Bei der ersten Operation, bei der Ihr Produkt DenovoSkin angewendet wurde, war da das Risiko auch kalkulierbar?
Natürlich hatten wir die Haut schon auf verschiedenen Plattformen ausprobiert. Aber das war das erste Mal, dass wir eine Biopsie von einem Patienten genommen, in unser Labor gebracht, die Zellen extrahiert, das Hautpflaster hergestellt und es dann wieder auf dem Körper angebracht haben – und das bei einem Kind. Das war ein Moment der Angst für alle. Die Eltern waren sehr mutig. Aber sie waren bereit, alles zu tun für ihr Kind und um die Forschung voranzutreiben. Wie erwartet hat es funktioniert.
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Wie sehr berühren Sie solche Fälle von Kindern mit starken Verbrennungen?
Alle Patient:innen berühren mich emotional. Inzwischen sind es bereits um die 40, die wir behandelt haben. Wir verfolgen natürlich ihre klinische Geschichte, weil sie Teil unserer Forschung sind. Am meisten hat mich die Geschichte eines Jungen bewegt, der letztes Jahr mit unseren Implantaten behandelt wurde – er war erst 20 Tage alt. Jetzt geht es ihm wieder besser.
Daniela Marino – Ganz persönlich
Beim Begriff «Mut» denke ich als Erstes an …
eine Felsklippe, von der aus ich ins Wasser springen muss.
Mut hat für mich die Farbe …
Schwarz.
Meine Mut-Vorbilder sind …
mein Vater und Rita Levi-Montalcini!
Dieses Tier verkörpert meinen persönlichen Mut am besten …
ein wildes Pferd.
Wer mutig entscheiden will, muss …
eine Ich-kann-das-Einstellung haben.