Wie tausende
Schweizer Unternehmen
nachhaltiger wirtschaften

Text: Simon Eppenberger | Bilder: Marc Welti | Magazin: Grüne Chance – November 2021

Vor drei Jahren waren sie in der Schweiz zu zweit, nun führt sie als Country Managerin über dreissig Menschen: Alina Swirski über den rasanten Erfolg des nachhaltigen Geschäfts von Too Good To Go.

Via App rettet Too Good To Go Esswaren vor dem Wegwerfen und legt dabei eine beachtliche Entwicklung hin. In weniger als drei Jahren erreichte Ihr Unternehmen allein in der Schweiz 1,3 Millionen registrierte Nutzerinnen und Nutzer und mehr als 4200 Partnerbetriebe. Wieso ist das Geschäft mit übrig gebliebenen Lebensmitteln ein so grosser Erfolg?

Das Geschäftsmodell ist einfach und spricht die Leute an. Wir bieten eine Win-win-win-Situation: Unsere Partnerbetriebe gewinnen durch weniger Lebensmittelverschwendung und zusätzliche Kundschaft, Konsumentinnen und Konsumenten indem sie etwas für die Nachhaltigkeit tun und Lebensmittel zu einem reduzierten Preis erhalten. Die dritte Gewinnerin ist die Umwelt, deren Ressourcen geschont werden. Das alles macht so sehr viel Sinn und ist entsprechend überzeugend.

Wie lange dauert es, um einen Betrieb von Ihrem Angebot zu überzeugen?

Das hängt von der Grösse und der Struktur ab. Ein Unternehmen kann sich in zehn Minuten online registrieren und nach einer halben Stunde damit beginnen, Lebensmittel zu retten. Wir investieren aber auch viel
in den Vertrieb und gehen auf Entscheidungsträgerinnen und  träger zu. Manche sagen nach einer halben Stunde direkt Ja, bei anderen dauert es länger, bis die Integration in die eigenen Prozesse steht.

Hören Sie auch Kritik oder erleben Sie Widerstände?

Ziemlich wenig, aber Herausforderungen und Widersprüche gibt es. Viele denken, sie haben keinen Foodwaste oder dieser sei mit 30 oder 40 Franken pro Tag zu klein, um etwas zu ändern. Dabei gehen in vielen Betrieben Lebensmittel verloren und es lohnt sich bereits ab diesen Beträgen, diese mit uns zu retten.

Zeit ist auch Geld und das Wegwerfen ist schnell erledigt.

Der Aufwand für das Lebensmittel retten mit Too Good To Go ist mit ein, zwei Minuten pro Lebensmittelpaket sehr klein, die Vorteile überwiegen auch auf der Kostenseite klar. Oft geht es vielmehr darum, welche Priorität die Nachhaltigkeit in einem Unternehmen hat.

Too Good To Go ermöglicht es Unternehmen, auf effiziente Weise weniger Lebensmittel zu verschwenden, mit neuen Kundinnen und Kunden in Kontakt zu treten und Kosten zu reduzieren. Dieses Konzept funktioniert einfach via App – und ist seit der Gründung 2016 in Dänemark auf starkem Wachstumskurs. Inzwischen ist Too Good To Go bereits mit über 1000 Mitarbeitenden in 16 Ländern aktiv. In der Schweiz sind vom lokalen Kleinbetrieb zum internationalen Lebensmittelkonzern über 4700 Unternehmen sowie 1,4 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten mit dabei.

www.toogoodtogo.ch

Woran messen Sie Ihren Fortschritt im Bereich der Nachhaltigkeit?

Wir wollen Menschen und Unternehmen inspirieren. Das ist schwierig zu messen. Was wir direkt sehen, ist die Zahl der geretteten Mahlzeiten. Zum dreijährigen Jubiläum in der Schweiz haben wir drei Millionen erreicht. In Zusammenarbeit mit MyClimate haben wir errechnet, dass dies einem eingesparten CO2-Äquivalent von rund 7’500 Tonnen entspricht.

Wie sieht die Entwicklung Ihres Unternehmens international und in der Schweiz aus?

Global haben wir über 43 Millionen registrierte Nutzerinnen und Nutzer, die bisher über 88 Millionen Mahlzeiten gerettet haben. In der Schweiz haben wir nach drei Jahren über 1,4 Millionen registrierte Nutzerinnen und Nutzer. Unser Ziel ist es, Foodwaste zu verhindern. Auch wenn das nicht komplett gelingen wird, wollen wir so viele Menschen und Unternehmen wie möglich erreichen und sie zum Kampf gegen Lebensmittelverschwendung inspirieren.

«Viele denken, sie haben keinen Foodwaste oder dieser sei zu klein, um etwas zu ändern.»

Wie sieht das Wachstum bei den Unternehmen in der Schweiz aus?

Pro Monat sind im Durchschnitt 200 Unternehmen neu an Bord, um sich gegen Foodwaste einzusetzen. Was uns sehr freut: Ein Drittel davon kommt proaktiv auf uns zu – oft auch durch die Empfehlung von Mitarbeitenden, welche Too Good To Go privat nutzen und die Vorgesetzten darauf aufmerksam machen. Inzwischen sind über 4700 Unternehmen registriert.

Aus dem Verkauf der Lebensmittel erhält Too Good To Go einen Anteil. Wie rentabel ist das?

Unser Geschäftsmodell würde es grundsätzlich erlauben, innerhalb kürzester Zeit profitabel zu werden. Allerdings verfolgen wir mit unserer Mission eine Wachstumsstrategie, um unsere Präsenz weltweit auszubauen. Gleichzeitig investieren wir in die Sensibilisierung zum Thema Lebensmittelverschwendung und lancieren laufend neue Initiativen und Kampagnen dazu. Und wir behandeln unsere Mitarbeitenden fair. Das kostet etwas. Aber wir generieren den Cashflow aus eigener Kraft und haben private Investoren, die nicht den schnellen Profit anstreben. Darauf sind wir stolz.

Die Digitalisierung ist ein Kernelement des Erfolges von Too Good To Go. Sie ermöglicht allen Beteiligten sehr einfache Prozesse. Wie gross ist das Potential der Digitalisierung beim Thema Nachhaltigkeit insgesamt?

Es ist sehr gross. Die Digitalisierung wird beispielsweise im Konsumbereich dazu führen, dass vermehrt nachhaltige Angebote leicht zugänglich werden. Das wird immer mehr Leute ansprechen. In vielen Bereichen wird die Digitalisierung einen effizienteren Umgang mit Ressourcen ermöglichen.

Alina Swirski (34) wuchs in Berlin auf, besuchte dort eine französische Schule und anschliessend die École hôtelière in Lausanne. Danach durchlief sie bei der UBS in der Schweiz ein Trainee-Programm und wechselte nach vier Jahren bei der Bank zu einem Event-Start-up nach Hongkong. Später schloss Swirski in Barcelona den Master in Business Administration ab und kam 2018 wieder in die Schweiz, um bei Too Good To Go im Verkauf einzusteigen – als zweite Mitarbeitende der Niederlassung. Im April 2020 übernahm sie als Country Managerin die Führung der inzwischen rund 30 Mitarbeitenden. Swirski lebt mit ihrem Partner und dem gemeinsamen Kind in Zürich.

Was möchten Sie mit Ihrem Unternehmen im Jahr 2030 erreicht haben?

Die UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung will Lebensmittelverluste auf Einzelhandels- und Verbraucherebene bis dahin halbieren. Das Ziel verfolgen auch wir bei Too Good To Go und noch mehr: Unsere Vision ist ein Planet ohne Lebensmittelverschwendung. Mit unserer App allein können wir das nicht erreichen. Deshalb verstehen wir uns als Bewegung, die mit Politik, Unternehmen, Schulen und privaten Haushalten zusammenarbeitet. Wir haben beispielsweise eine Public-Affairs-Person in Brüssel, die sich für unsere Anliegen einsetzt, sind an Schulen aktiv und ermutigen Unternehmen, «Waste Warrior Brands» zu werden und sich damit intern wie extern gegen Foodwaste zu engagieren.

Was kann jeder einzelne Mitarbeitende zu einem nachhaltigeren Unternehmen beitragen?

Allen muss klar werden: Es geht nicht nur um die grossen Aktionen von Politik oder Wirtschaft. Die Haltung «Ich kann allein eh nichts ausrichten» ist falsch. Viele kleine Schritte bringen viel. Man kann beispielsweise den eigenen Arbeitgeber auf nachhaltige Lösungen aufmerksam machen, andere im persönlichen Umfeld inspirieren, Erfahrungen teilen, kreativ sein bei der Lebensmittelverschwendung etc.

Viele nachhaltige Produkte sind teurer als andere. Auch in der Schweiz können oder wollen sich das viele Privatpersonen und Firmen nicht leisten. Kann nachhaltiger Konsum und nachhaltiges Wirtschaften trotzdem einen Systemwandel herbeiführen – oder wird es etwas Elitäres bleiben?

Neulich las ich eine Studie eines Beratungsunternehmens im Lebensmittelbereich, das zum Schluss kommt: Die Bereitschaft wächst, für verantwortungsbewusste Produkte auch mehr zu bezahlen. Das trifft insbesondere auf die Generationen Z und Alpha (Jahrgang 2010 bis 2025, Anm. d. Red.) zu. Sie werden weniger, aber viel bewusster konsumieren. Je mehr das tun, desto weniger elitär ist es.

Trotzdem: Im Kampf um Kundschaft wird der Preis ein starkes Argument bleiben.

Wer bewusster konsumiert, sieht nicht nur den Preis im Verkauf, sondern denkt auch an die Folgekosten für die Umwelt und Gesundheit. Und viele haben ein Sparpotential. Pro Jahr verschwendet jede Person in der Schweiz etwa für 600 Franken Lebensmittel. Dies entspricht ungefähr dem durchschnittlichen Budget für Lebensmittel pro Monat und Haushalt. Ohne Verschwendung könnte man also jedes Jahr einen Monat lang gratis Esswaren einkaufen.

«Die Digitalisierung wird einen effizienteren Umgang mit Ressourcen ermöglichen.»

Too Good To Go ist eine zertifizierte «B Corporation» und verpflichtet sich damit hohen Standards punkto Transparenz und ökologischer sowie sozialer Verantwortung. Zudem ist der Profit nicht die oberste Maxime. Welche Priorität sollte das Thema Nachhaltigkeit für eine Geschäftsleitung haben?

Über kurz oder lang hängt der Geschäftserfolg davon ab. Immer mehr Kundinnen und Kunden kaufen fair und umweltbewusst hergestellte Produkte. Und neue, fähige Arbeitskräfte wollen für verantwortungsbewusste, nachhaltige Unternehmen arbeiten.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Herausforderungen im Bereich Nachhaltigkeit?

Oft fehlen das Bewusstsein und das Wissen. Und vor allem wird das eigene Wirken unterschätzt. Eine Umfrage von Too Good To Go unter 500 Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz hat beispielsweise ergeben, dass 40 Prozent glauben, zuhause keinen Foodwaste zu generieren. Dabei werden in der Schweiz pro Jahr 2,8 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet – ein Drittel davon in Haushalten. Wenn also jede und jeder etwas bei sich ändert, hat das grosse Auswirkungen.      

Bedeutet nachhaltiges Wirtschaften gleichzeitig, nicht wachstumsorientiert zu wirtschaften?

Absolut nicht. Nachhaltiges Wirtschaften bringt ökonomische, ökologische und soziale Aspekte in Einklang und ermöglicht ein gesundes Wachstum. Wichtig ist die Balance von Profit und verantwortungsbewusstem Handeln. Das mag kurzfristig teurer sein, zahlt sich aber langfristig aus.

Alina Swirski – Ganz persönlich

Was ist Ihr persönlicher Beitrag zu einer nachhaltigeren Zukunft?
Momentan ist es meine Tätigkeit für ein Unternehmen, das eine 100 Prozent nachhaltige Mission hat. Wir alle haben im Alltag wenig Zeit und Energie für die vielen wichtigen Dinge im Leben. Deshalb freue ich mich, meine Zeit wertvoll einsetzen und einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten zu können.

Auf welche Errungenschaften möchten Sie in 30 Jahren zurückblicken können?
Die Kinder, Familie und Freizeit in eine Balance mit der Arbeit gebracht und die Zeit für Dinge eingesetzt zu haben, die mir wichtig sind. Und Nachhaltigkeit in der Führung praktiziert zu haben. Menschen und Mitarbeitende fair behandelt zu haben – sie gefördert zu haben, wenn ich die Möglichkeit dazu hatte, transparent und ehrlich mit ihnen umgegangen zu sein, Feedback gegeben und immer zugehört zu haben, um ihre Anliegen und Arbeit zu verstehen – egal ob CEO oder Praktikantin oder Praktikant!

Was möchten Sie Ihren Nachkommen mit auf den Weg geben?
Das Leben ist zu kurz, um Dinge tun, die nicht motivieren, hinter denen man nicht stehen kann. Und es tut nicht weh, nett und respektvoll zu sein.

Sie wurden beim Ausbruch der COVID-19-Pandemie Country Managerin. Was hat sie das Jahr 2020 gelehrt?
Wir haben plötzlich erlebt, was wir vorher nur theoretisch wussten: Die Unvorhersehbarkeit des Lebens kann krass sein. Und der direkte menschliche Kontakt ist unglaublich wichtig für die psychische Gesundheit. Er wird nie durch Technologie ersetzt werden können. Wir sind eben «social animals».