Wissenschaft = Erfolg

Text: Eric Johnson | Bilder: Marc Wetli | Magazin: Life & Science – Juli 2017

Für Novartis – ein weltweiter Pharmagigant und ein Schweizer Grossunternehmen – ist technische Exzellenz der Grundstein zum Erfolg. CEO Joe Jimenez erläutert, wie er diese sichert, warum organisches Wachstum eine Notwendigkeit darstellt und wo die Pharmabranche von der Verrechnungspreisbildung zum Erfolgshonorar wechselt.

Management oder Wissenschaft – was ist für Novartis wichtiger?

Unser Geschäft dreht sich um Wissenschaft. Im Zentrum stehen dabei Forschung und Entwicklung. Deshalb suchen wir weltweit die besten Wissenschaftler, ganz egal, wo sie arbeiten oder leben. Wir kommen zu ihnen, nicht sie zu uns. So unterhalten wir Forschungs- und Entwicklungsstandorte in Europa, den USA und Asien. Das Organi­­sationsprinzip von Novartis beruht darauf, die besten Wissenschaftler zu finden und sie ihre Entdeckungen und Arbeit machen zu lassen. Ich verlange von ihnen herausragende Wissenschaft – ihre Managementfähigkeiten sind weniger entscheidend. Trotzdem erwarte ich, dass sie in der Verwaltung von Programmen, Mitarbeitern und Ressourcen bewandert sind. Von unseren Managern wiederum fordere ich erstklassiges Manage­ment und wissenschaftliche Kenntnisse. Wir streben also sowohl in der Wissenschaft als auch beim Management eine Kombina­tion aus Brillanz und Können an.

Wie gewinnen und binden Sie die Besten?

Wir sind in einer Branche tätig, in der Men­schen arbeiten, die anderen helfen wollen. Wir gewinnen unsere Mitarbeiter, indem wir ihnen aufzeigen, inwiefern wir den Erhalt und die Verlängerung von Leben als Kernaufgabe verstehen. Als bei uns vor drei Jahren viele wichtige Patente ausliefen, startete ich das Programm «Long Live Life». In dessen Rahmen forderten wir unsere Mitarbeiter auf, persönliche Geschichten von Familienmitgliedern, Freunden oder Kollegen zu erzählen, die von einer Krank­heit betroffen waren und denen Novartis helfen konnte. Einige dieser Geschichten waren sehr bewegend. Sie trugen dazu bei, dass unsere Mitarbeiter das Ziel unseres Unternehmens emotional verinnerlichten. Das steigert Motivation und Engagement, gerade wenn das Unternehmen schwierige Zeiten durchlebt.

«Die beste Wertschöpfung in unserer Branche ist die hauseigene.»

Wer sind Ihre wichtigsten Mitbewerber im Kampf um Talente, und wie konkurrieren Sie mit ihnen?

Unser Talentwettbewerb richtet sich nicht gegen andere grosse Pharmafirmen, sondern gegen Biotechnologie-Unternehmen. Manche Wissenschaftler glauben, dass sie bei kleinen Startups schneller und mehr bewegen können, da sie dort mehr Freiheit geniessen würden. Daher geben wir unseren Wissen­schaftlern viel Freiheit für eigene Ent­deckungen. Sie sind bei uns genauso frei wie in einem Biotech-Unternehmen. Denn bei der Forschung schreiben wir ihnen wenig vor. Zudem trennen wir die Wissenschaftler bewusst von den Marketingteams. Diese sollen unsere Wissenschaftler nicht mit falschen Erwartungen entmutigen. Wir gewähren die Freiheit für Entdeckungen, weil sich damit neue Chancen eröffnen.

Der gebürtige Kalifornier Jospeh Jimenez Jr. begann seine Laufbahn in der Konsumgüterbranche (Fast Moving Consumer Goods) und machte sich in diesem Sektor einen Namen; zuerst bei Clorox, dann bei ConAgra Foods und schliesslich bei H. J. Heinz. Hier war er CEO zunächst für Nordamerika und anschliessend für Europa. 2007 stiess er als Division Head zu Novartis und wurde 2010 zum CEO ernannt. In seiner Universitätszeit in Stanford war Jimenez Weltklasse-Schwimmer. Heute krault er nach wie vor gerne im Pool seines Hauses bei Basel – jetzt allerdings mehr aus Fitnessgründen als mit Wettkampfzielen.

Wie messen Sie Exzellenz in der Wissenschaft?

Es ist schwierig, den wissenschaftlichen Fortschritt jährlich zu messen, da wir in zehnjährigen Produktlebenszyklen arbeiten. Deshalb haben wir quantitative Indizes entwickelt, die den Fortschritt auf dem Weg zu einem marktfähigen Arznei­mittel aufzeigen. Ein wichtiges ist der Proof of Concept, das heisst der Nachweis, dass ein bestimmtes Molekül beim Menschen eine therapeutische Wirkung erzielt. Wir suchen ständig nach neuen Wegen, über das sogenannte Drug Targeting die Wirkung von Medikamenten beim Patienten zu opti­mieren. Daher geben wir unseren Forschern jedes Jahr das Ziel vor, eine bestimmte Anzahl von Proof of Concepts vorzulegen.

«Wir versuchen uns von einem transaktionalen «Bezahlung-pro-Tablette»-Ansatz auf einen ergebnisorientieren Ansatz zuzubewegen.»

Finden Neuentwicklungen eher intern statt, oder kaufen Sie diese ein?

Die beste Wertschöpfung in unserer Branche ist die hauseigene. So werden 75 bis 80 Prozent unserer «Arzneimittel-Pipeline» unternehmensintern entwickelt, der Rest wird eingekauft oder über Lizenzen gewonnen. Ein wichtiger Grund dafür ist die Preisgestaltung beim Kauf. Pharma­unternehmen sind mittlerweile so gross, dass sie auf einem bereits hohen Level weiter wachsen müssen. Gleichzeitig kämpfen wir mit Umsatzverlusten aufgrund abge­laufener Patente. Als Folge jagen alle den Akquisitionskandidaten da draussen hinterher, was zu einem astronomischen Anstieg der Kaufpreise führt.

Die Novartis AG entstand 1996 aus der Fusion der zwei legendären Schweizer Unter­nehmen Ciba Geigy und Sandoz – und wurde selbst zur Legende. Der Umsatz belief sich 2016 auf fast 50 Milliarden USD, die Anzahl der Mitarbeiter (oder Kollegen, wie Jimenez sie nennt) auf insgesamt 120’000 weltweit und 13’000 in der Schweiz. Schon früh ver­kaufte das Unternehmen seine umfangreichen Beteiligungen im Chemie- (jetzt haupt­sächlich im Besitz von BASF und Clariant) und Agrochemie-Sektor (jetzt Syngenta), um sich auf Pharmazeutika zu konzentrieren. Der jährliche Umsatz der vier absatzstärksten Arzneimittel von Novartis beträgt etwas mehr als 10 Milliarden USD.

www.novartis.ch

Sie sind für schnelle Entscheidungen bei Novartis bekannt. Wie haben Sie das geschafft?

Die Intelligenz eines Novartis-Mitarbeiters liegt weit über dem Durchschnitt. Manchmal jedoch verkomplizieren kluge Menschen die Dinge unnötigerweise. Ich erinnere mich an eine Sitzung über Innovationsmanagement in meinen ersten Jahren. Damals versuchten wir zu entscheiden, ob ein Wirkstoff basierend auf den Ergebnissen aus Phase II in Phase III wechseln sollte. Nach einer langen, regen Diskussion vertagte die Gruppe die Entscheidung auf den nächsten Monat. Ich stellte mich dagegen und meinte: «Wir haben genug Daten. Lasst uns die Kon­sequenzen daraus ableiten und heute entscheiden.» Damit wollte ich einen Prozess vereinfachen, der von äusserst fähigen Menschen übermässig komplex gestaltet worden wäre.

Wirkt sich die Tatsache, dass die Weltbevölkerung älter wird, für die Pharmabranche nachteilig aus?

Ja, das ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits wächst die Pharmabranche, da die Bevölkerung wächst und altert. Bis 2030 werden eine Milliarde mehr Menschen auf der Erde leben und jeder Dritte wird über 50 sein. Damit wird auch die Nachfrage nach medizinischer Versorgung steigen. Anderer­seits können die weltweiten Gesundheits­systeme noch nicht einmal ihre heutigen Kosten tragen. Daher bewegen wir uns bei Novartis von einem transaktionalen «Bezahlung-pro-Tablette»-Ansatz auf einen ergebnisorientieren Ansatz zu. Bei diesem werden wir für das bezahlt, was die Tablette wirklich bringt. Unser aktuelles Medikament gegen Herzinsuffizienz etwa reduziert Spitalaufenthalte drastisch. Also ermöglichen wir denen, die Spitaleinweisungen bezahlen, uns nach dem Ergebnis zu honorieren – sprich, nach der Reduktion der Spitalkosten. Das entspricht eigentlich einem Erfolgs­honorar. Wir verfolgen diesen Ansatz in vielen Ländern, auch in der Schweiz. Wir sind überzeugt, dass er die Gesundheits­kosten langfristig um 25 Prozent senkt.

«Unser Geschäft dreht sich um Wissenschaft.»

Wie lange wird das dauern?

Lange. Für die Evaluation von Ergebnissen sind viele Daten erforderlich, über die einige Gesundheitssysteme nicht verfügen. Viele sind nicht an einer ergebnisbasierten Bezahlung interessiert, weil sie die Nach-verfolgung der Ergebnisdaten mehr kosten würde, als sie an Honoraren sparen könnten. Das aber ändert sich, je wichtiger Big Data wird. Was ein Medikament leistet, lässt sich immer einfacher nachvollziehen. Immer mehr Systeme – etwa der staatliche britische Gesundheitsdienst – sammeln Inputs und Outputs und erfassen diese zentral. Damit werten sie die Ergebnisse aus und analysieren, wie viel sie kosten und einsparen. Darin liegt die Zukunft der Pharmabranche.

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Rote Tabletten in der Herstellung.