Gleichung mit ungleichen Parametern
Die Wachstumsgleichung bestimmt sich durch zahlreiche Faktoren. Einerseits enthält sie systeminhärente Grössen wie Marktentwicklung, Mitbewerberumfeld, den Reifegrad des Unternehmens oder die Innovationszyklen der Produkte und Services. Andererseits wird das Wachstum durch die Erwartungen der Eigentümerschaft mitgestaltet. Je nach Investoren-konstellation ist die Gewichtung kurzfristiger versus langfristiger Aspekte unterschiedlich und allenfalls durch konkrete Exit-Pläne überlagert. Kurzfristig gewinnorientierte Forderungen begünstigen nicht immer jene Entwicklungsschritte, die das Unternehmen für langfristig solides Wachsen braucht.
Viele gute Gründe zu wachsen
Auf der strategischen Agenda steht Wachstum meist an erster Stelle. Allerdings können sowohl die angepeilten Ziele als auch die erwarteten Vorteile variieren. Unternehmen mit einem neuen Geschäftsmodell wollen dessen Adaption mit Wachstum erreichen. Sie bauen ihre Kundenstruktur in hohem Tempo aus, um sie später zu kapitalisieren. Wer eine Kostenführerschaft verfolgt, hat es auf Skaleneffekte in Volumen, Produktionskapazitäten und anderen Kerngrössen abgesehen. Dieses Wachstumsziel steht vorwiegend dort im Mittelpunkt, wo sich Produkte wenig differenzieren, zum Beispiel in der Unterhaltungselektronik.
Wachstum bringt weitere wertschöpfende Vorteile, etwa höhere Investitionsmöglichkeiten, breitere Marktzugänge oder auch Potenzial für weitere Diversifizierung. Zudem gilt, je stärker ein Unternehmen wächst, desto spannender und vielseitiger werden die Aufgaben und Entwicklungschancen für aktuelle und potenzielle Mitarbeitende.
Vorsicht Wachstumsfallen!
Bei extremen Wachstumszielen und hohem Tempo droht die Gefahr, dass Strukturen und Systeme für Qualität, Compliance, Sicherheit und generell effiziente Prozesse nicht in gleichem Tempo mitziehen. In der Folge steigt deren Anfälligkeit und die Resilienz sinkt. Eine Organisation braucht eine gewisse Zeit, um Wachstum zu absorbieren. Gerade bei anorganischem Wachstum – etwa durch den Zukauf von spezifischen Kompetenzen oder auch Kapazitäten – braucht es Zeit, die neuen Elemente zu integrieren und effektiv zu nutzen. Auch wenn organisches Wachstum sehr schnell geschieht, kann das Risikoprofil des Unternehmens zunehmen, wenn hohe Investitionen und ein Anstieg des Fixkostenanteils erfolgen. Ist viel Kapital in Strukturen und Systemen gebunden, kann das bei konjunkturellen Einbrüchen oder anderen Krisenszenarien die Flexibilität des Unternehmens bedrohlich einschränken.
Ein Muss: Konsolidieren und Bereinigen
Im fortgeschrittenen Reifegrad eines Unternehmens können je nach Marktsituation auch andere als wachstumsorientierte Strategien angezeigt sein: Komplexität reduzieren, Prozesse vereinfachen und standardisieren, Portfolios bereinigen, Synergien schaffen und damit die Profitabilität wiederherstellen oder stärken. Wer etwas von Baumpflege versteht, kennt das Prinzip: Damit ein Baum maximalen Ertrag liefert, muss man ihn regelmässig und planvoll zurückschneiden. Demnach ist auch bewusstes Nicht-Wachsen in spezifischen Situationen durchaus nachhaltig. Zyklische Branchen wie die Halbleiter- oder Textilindustrie nutzen beispielsweise Abwärtszyklen, um zu konsolidieren und den nächsten Wachstumsschritt vorzubereiten.
Kurz und bündig
Wachsen ist relativ – zum Markt, zu den Segmenten, zu Mitbewerbenden, zur Konjunktur und zu vielem mehr. Um nachhaltig skaliert zu wachsen, braucht ein Unternehmen eine situative Betrachtung und bewusste Entscheidungen, welche Elemente und Strategien den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens sicherstellen. Eine gute Abstimmung zwischen Inhaberschaft, Verwaltungsrat und Geschäftsleitung ist erfolgsentscheidend. Das Prinzip «Reculer pour mieux sauter», also gezieltes Auftanken und Verdauen, bevor der nächste Wachstumssprint erfolgt, sollten die Unternehmen in ihre Überlegungen einbeziehen.